Die Genese psychischer Erkrankungen gehört zu den größten Mysterien der medizinischen Forschung. Eine neue Studie unterstreicht nun die Zusammenhänge zwischen vorgeburtlichen Komplikationen und vermehrter Expression von Schizophrenie-assoziierten Genen. Erstmalig konnte durch eine nachgeburtliche Begleitung von Neugeborenen die Auswirkung früher Komplikationen auf die kindliche Entwicklung sowie dem Risiko, später an einer Schizophrenie zu erkranken, gezeigt werden.
Alles eine Frage der Gene?
In Deutschland sind etwa 1% der Gesamtbevölkerung im Laufe ihres Lebens von der Schizophrenie betroffen. Eine Häufung im Auftreten schizophrener Erkrankungen in Familien deutet auf die genetische Komponente in deren Entwicklung hin.
Bereits in vorausgegangenen Studien konnten Forschungsgruppen der Johns Hopkins University und der University of North Carolina Ursprünge der Schizophrenie auf bestimmte Gene zurückführen, die während der Schwangerschaft in der Plazenta exprimiert werden. Diese Gene werden von der Plazenta gesteigert aktiviert, wenn vorgeburtliche Komplikationen wie Bluthochdruck und/oder Frühgeburtlichkeit auftreten. In der Gesamtheit wurden die verantwortlichen Gene von den Forscher:innen in einem genomischen Risikoscore (GRS) zusammengefasst. In ihrer aktuellen Anschlussstudie wurde nun eine Kombination von verschiedenen Risikofaktoren zur Ausbildung einer Schizophrenie herausgearbeitet. Die Auswertung soll es ermöglichen Säuglinge zu identifizieren, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie im Laufe ihres Lebens aufweisen. Hierfür wurde bei 242 Neugeborenen mit vorangegangener frühkindlicher Komplikation die Korrelation zwischen dem GRS und dem neonatalem Hirnvolumen sowie der kindlich-kognitiven Entwicklung analysiert. Die Neugeborenen wurden dafür in ihren ersten zwei Lebensjahren begleitet. Zunächst wurde der genomische Risikoscore (GRS) aus der Summe der beobachteten Risikoallele berechnet. Anschließend analysierten die Forscher:innen die Beziehung des GRS mit dem neonatalen Hirnvolumen, das kurz nach der Geburt mittels MRT gemessen wurde. Folgend untersuchten sie die Beziehung des GRS mit der kognitiven Entwicklung der Säuglinge im Alter von 1 und 2 Jahren. Es wurden Messungen der Grob- und Feinmotorik, der visuellen Rezeption sowie der expressiven und rezeptiven Sprache erhoben.
Die Studie ist die erste Studie, die den Zusammenhang zwischen den plazentären Schizophrenie-assoziierten-Genen und der frühzeitigen kindlichen Reifung hervorhebt. Dabei zeigte sich eine negative Korrelation zwischen dem plazentären GRS und dem neonatalen Gehirnvolumen. Ebenso stellten die Autor:innen eine negative Korrelation zwischen dem plazentären GRS und der kognitiven Entwicklung der Kinder nach einem und zwei Jahren fest.
Rückschlüsse bei bereits Erkrankten
Die kognitiven sowie strukturellen Beeinträchtigungen machten die Forschenden als Grundlage der späteren Entwicklung schizophrener Erkrankungen aus. Ob sich ihre Ergebnisse auch anhand bereits manifester Schizophrenien validieren lassen, untersuchten die Forscher:innen in einer Stichprobe von 269 erwachsenen, gesunden Probanden und 154 Patienten mit Schizophrenie. Bei der gesunden Kontrollgruppe zeigte sich dabei keine Assoziation von verringertem Hirnvolumen in MRT-Aufnahmen und dem plazentären GRS. Im Gegensatz dazu wurde bei Patienten, die im frühen Erwachsenenalter eine Schizophrenie ausbildeten, Überbleibsel dieser frühen Risikoeffekte in ihrem Genom nachgewiesen. Die Studie zeigte eine kleine, aber signifikante negative Korrelation des plazentären GRS mit dem Hirnvolumen bei Patienten mit Schizophrenie. Bei genauerer Untersuchung fiel auf, dass dieser Zusammenhang nur bei männlichen Patienten beobachtet wurde. Die Autor:innen schlussfolgern, dass die Beziehung zwischen plazentärer GRS und Hirnvolumen bei Patienten mit Schizophrenie geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist.
Ein Blick in die genetische Zukunft
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Annahme der multifaktoriellen Genese der Schizophrenie. Sowohl eine genetische Disposition, als auch pränatale Komplikationen haben Einfluss auf das Risiko im Laufe des Lebens an einer Schizophrenie zu erkranken. Gleichzeitig bleibt zu betonen, dass das Vorliegen dieser Risikofaktoren bei Neugeborenen keinesfalls das spätere Auftreten der Erkrankung garantiert. Dennoch erhoffen sich die Wissenschaftler:innen in Zukunft durch die Messung des GRS in der Plazenta in Kombination mit der Untersuchung der kognitiven Entwicklung und der frühen Lebenskomplikationen einen wichtigen Ansatz zur Risikoidentifikation der Neugeborenen zu etablieren.
Während eine mögliche Präventionsstrategie zwar noch weit in der Zukunft liegt, bringt uns die Studie dem Verständnis näher, wie Gene die Entwicklung der Schizophrenie bestimmen und welchen Einfluss eine Schwangerschaft auf deren Ausprägung hat.