Von der Industrie hört man häufig, dass Ärzte neue Technologien nicht annehmen und sogar blockieren würden. Mein Eindruck heute war ein anderer und bestätigt mich in der Meinung, dass mehr praktizierende Ärzte von der Industrie zu Rate und in die Entwicklungen miteinbezogen werden sollten.
Dieses Jahr steht beim ESC alles unter dem Motto: 40 Jahre Perkutane transluminale Koronarangioplastie (PCI). Doch in viele Vorträge schleichen sich wie ganz selbstverständlich immer wieder die Worte „Digital Health“ und „Big Data“ ein, die das eigentlich große Thema unserer Zeit zu sein scheinen.
Und so wundert es kaum, dass der Dr. Eric J. Topol in seiner Rede bei der Eröffnung des ESC von genau nichts Anderem sprach. Dieser groß gewachsene und charismatische Redner fesselte das Publikum mit Geschichten über die drahtlose Zukunft der Medizin. Er sprach über EKG-Geräte in der Größe von zwei USB-Sticks, die mittels Auflegen mehrerer Finger auf ein kleines Pad in der Lage sind, binnen 30 Sekunden ein vollständiges EKG aufzuzeichnen und an ein Smartphone zu senden, wo es ausgewertet werden kann. Er sprach von selbstlernenden Programmen, die in der EKG-Beurteilung mittlerweile selbst einem geübten Kardiologen den Rang streitig machen können.
Nierensteine auf dem Smartphone präsentiert
Eric Topol lebt seine Vision und spricht nicht nur davon. Das Auditorium folgte ihm mit Spannung, als er von einer akuten Krankheit sprach, bei der er unter unsäglichen Schmerzen litt und ich hielt kurz den Atem an, als er sehr lebhaft seine Selbstuntersuchung mithilfe des Handys und einem daran angeschlossenen Ultraschallkopf veranschaulichte.
Sein behandelnder Arzt war damals wohl mehr als irritiert, als Topol ihm mehrere Nierensteine per Smartphone präsentierte. Das anschließende CT hätte man sich offenbar sparen können, denn Topol und sein Handy sollten Recht behalten. Die später geborgenen Nierensteine konnte das gut unterhaltene Publikum dann auch gleich auf der riesigen Leinwand beim ESC begutachten.
Eine große Enttäuschung
Das mittlerweile euphoristierte Publikum erlitt wohl eine große Enttäuschung, als es nach dem Vortrag in die Industriehallen des ESC strömte und nach den verheißungsvollen Neuerungen und Geräten suchte. Ich war auf jeden Fall enttäuscht.
Zunächst führte mich meine Suche zu Medtronic, die das Anliegen, ein EKG-Gerät für die Hosentasche besitzen zu wollen, gar nicht richtig verstanden. Stattdessen boten diese mir ein Gerät an, dass aus einem Brustband mit dazugehöriger Uhr bestand. Eine dauerhafte Aufzeichnung für drei Tage ist damit möglich. Als Highlight angepriesen wird, dass das Display der Uhr das aktuelle EKG dargestellten kann. Bedarfsweise kann der Patient dieses auch als Ereignis markieren.
Das ist bestimmt ein schönes Gerät, aber impliziert die EKG-Darstellung auf der Uhr, dass der Patient die Auswertung selbst vornimmt? Oder dient das gar keinem Zweck, sondern ist mehr als ein optisches Highlight zu verstehen? Oder sind solche Uhren Menschen vorbehalten, die einen Sinusrhytmus von Vorhofflimmern unterscheiden können?
Das alte Bild von großen EKG-Geräten
Der Vorteil erschloss sich mir nicht und stellte jetzt auch kein Ersatz für das Gerät dar, dass ich eigentlich suchte, aber keiner so richtig kannte.
Gedanklich könnte man die Idee mit der EKG-Uhr weiterführen und schnell wäre man bei einer Art Smartwatch als alternative Möglichkeit für Patienten, denen bislang nur ein implantierbarer Ereignisrekorder blieb.
Eine Uhr, die in der Lage ist, kontinuierlich ein EKG aufzuzeichnen, welches von einem Programm ausgewertet wird und bei wichtigen Ereignissen ggf. eine Benachrichtigung an den behandelnden Arzt versendet. Stattdessen bot sich überwiegend das alte Bild der EKG-Geräte – von denen das kleinste die Größe eines Tabletts hatte.
Ebenso scheint die Möglichkeit einer Smartphone-Echo-Kombination auf den ersten Blick als logische Konsequenz der aktuellen Entwicklungen. Phillips bot auch genau eine solche Kombination an. Der erste Wermutstropfen: Der Schallkopf ist nur mit einem Android-Gerät kompatibel und in meinem Fall auch nur und vielleicht mit einem Adapter. Mit einem iPhone besteht keine Vernetzungsmöglichkeit. Das Testen am eigenen Gerät wäre aber ohnehin nicht möglich gewesen, da die Software für das Gerät nur in Verbindung mit dem Kauf des Geräts erhältlich ist.
Der Preis ist zu hoch
Die Live-Demonstration am lebenden Objekt war insgesamt dennoch überzeugend. Sehr gute Bildqualität, alle Funktionen, die man für eine gute Übersicht braucht. Zum Kaufpreis käme nur leider noch ein neues Handy hinzu, falls das eigene nicht kompatibel ist.
Als schärfster Konkurrent auf dem Gebiet der Echokardiographie ist erstmal GE zu nennen, die ich als zweiten Anlaufpunkt wählte, aufgrund des großen Andrangs an ihrem Stand.
Mit Vscan hat GE damals den Vorstoß in Richtung Kitteltaschen-Echo geleistet und plant daher auch leider keine an ein Handy anschließbare Schallköpfe zu entwickeln. Vorteil des Kombigeräts von GE ist mit Sicherheit die Datensicherheit. Es gibt mittlerweile etliche Apps, die dafür bekannt sind, alle Daten unserer Handys zu sammeln und zu stehlen. Wie steht es also um die Sicherheit von Patientendaten?
Das GE-Gerät schickt die erhobenen Daten mittels WLAN in z.B. die Klinik-Cloud, wo die Bilder gespeichert werden können. Das Problem der Lesbarkeit wurde behoben, sodass jetzt die Bilder über DICOM laufen.
Klein, schnell und wenig Kosten: Hier wird nicht investiert
Siemens konnte dem leider nichts entgegensetzen. Da setzt man zunehmend auf Großgeräte. Ein einziges Echogerät in handelsüblicher Größe konnte hier am Stand begutachtet werden, den restliche Platz füllten Bildschirme in Heimkinogröße. In den Sektor Klein-schnell-wenig-Aufwand-und-wenig Kosten wird offenbar nicht investiert.
Ich wurde umfangreich beraten und mir wurde erklärt, warum ich unbedingt große Datensätze, komplizierte Berechnungen und Erhebungen brauche. Aus Sicht des Vertreters besteht der kardiologische Alltag einzig oder zumindestens überwiegend aus komplexen Fragestellungen und Erhebungen vor Interventionen, aber da konnten wir uns irgendwie nicht einigen.
Der Einsatzbereich kleiner Kitteltaschen-Geräte wäre seiner Meinung nach auf Länder beschränkt, die sich keine bessere Technologie leisten können. Schade, kann ich da nur sagen.
Nehmen Ärzte neue Technologien nicht an?
Von der Industrie hört man immer wieder, dass Ärzte die neuen Medien und Technologien nicht annehmen und häufig sogar blockieren würden. Mein Eindruck heute war ein anderer und bestätigt mich in der Meinung, dass mehr praktizierende Ärzte von der Industrie zu Rate gezogen und in die Entwicklungen integriert werden sollten.
Ganz unauffällig stand am Ende des Tages dann plötzlich eine Mitarbeiterin von CardioSecur an unserem Doccheck-Stand und während sie sich mit unserem Team austauschte, starrte ich auf ihr Handy, das sie in der Hand hielt und das offenbar gerade ihr EKG aufzeichnete.
Die App zeichnet das EKG auf, bewertet dies und gibt Handlungsempfehlungen, die auf den eigenen Referenz-EKGs basieren, wie z.B. einen dringenden Arztbesuch. Das EKG kann auch per Mail an den behandelnden Arzt gesendet werden und die Kosten für die EKG-Kabel mit vier Elektroden sind überschaubar. Das Anlegen geht einfach und schnell. So muss Medizin der Zukunft sein.
Viele Grüße von Klaudia Gavrilis. Ich werde weiterhin vom ESC berichten.