Kopfschmerzen bei Gewitter, schmerzende Narben bei Kälte – beim Arzt und in der Apotheke klagen viele Patienten über Wetterfühligkeit. Aber gibt es sie wirklich?
Habt ihr Patienten, die davon berichten, Migräne zu bekommen, wenn ein Wetterumschwung naht? Oder wurde euch schon von schmerzenden Narben bei kalten Temperaturen berichtet?
In einer vom Umweltbundesamt beauftragten Studie wurden 1.623 Personen zum Thema Wetterfühligkeit befragt. Hier waren 50 % der Befragten der Meinung, dass das Wetter einen Einfluss auf ihre Gesundheit hat. Die häufigsten Symptome bei den wetterfühligen Befragten waren: Kopfschmerzen und Migräne (59 %), Müdigkeit (55 %), Abgeschlagenheit (49 %), Gelenkschmerzen (42 %) und Schlafstörungen (40 %). Ganze 29 % der Wetterfühligen gaben an, dass sie im Jahr vor der Befragung mindestens einmal wegen des Wetters nicht in der Lage waren, ihrer normalen Tätigkeit nachzugehen. Die Daten bestätigten frühere Ergebnisse.
Aber was ist dran? Gibt es so etwas wie Wetterfühligkeit wirklich? Auch im Video (weiter oben) berichten zwei PTA von ihren aktuellen Erfahrungen aus der Apotheke. Bei Wetterwechseln hätten sie vermehrt Kunden, die sich über Müdigkeit, Wasseransammlungen in den Beinen, Migräne, Kopfschmerzen oder Schwindel beklagen. Auch juckende oder ziehende Narben seien gehäuft bei bestimmtem Wetter zu beobachten. Eva Bahn empfiehlt ihren Kunden, ein Wettertagebuch zu führen, indem sie ihre Beschwerden festhalten können. Sie weist auch auf die Gefahrenindizes des Deutschen Wetterdienstes (DWD) hin.
Täglich veröffentlicht der DWD Gefahrenindizes für Wetterfühlige. Er erklärt Wetterfühligkeit auf seiner Webseite so: „Auf Temperatur- und Wetteränderungen reagiert der Körper mit Regulationen des vegetativen Nervensystems, die unter anderem auch Auswirkungen auf das hormonelle Geschehen haben. Ob diese Anpassungsvorgänge unbemerkt verlaufen oder zu Befindensbeeinträchtigungen führen (Wetterfühligkeit), hängt zum einen von der individuellen Anpassungsfähigkeit des Organismus ab, zum anderen von Art und Intensität des Wettereinflusses.“
Problematisch könne es werden, wenn durch Erkrankungen die Regulationsfähigkeit eingeschränkt sei oder eine Abweichung von der Norm der Regulation bestehe, z.B. zu niedriger oder auch zu hoher Blutdruck. Die kurzfristigen Änderungen im Wetterablauf seien ein Stressor für den Organismus, da sie eine Anpassung verlangen würden. „Man spricht von der Biotropie des Wetters. [...] Die Stärke der Biotropie hängt von der Intensität der physikalischen Vorgänge in der Atmosphäre ab.“
Prof. Hans Richner ist Atmosphärenphysiker in Zürich und hat 40 Jahre lang die Wetterfühligkeit zusammen mit Medizinern erforscht. Er berichtet DocCheck gegenüber: „Aus naturwissenschaftlicher Sicht stehe ich den sogenannten Biowetter-Prognosen mehr als skeptisch gegenüber.“ Ein Vergleich mit Horoskopen liege durchaus nahe, so Richner. „Wenn Sie im Internet die verschiedenen Vorhersagen für einen bestimmten Ort miteinander vergleichen, werden Sie rasch feststellen, dass sich die verschiedenen Prognostiker in vielen Beschwerdearten widersprechen.“ Immerhin – die Prognosen seien in den letzten Jahren objektiver geworden. „Aber offenbar wollen die Leser derartige Vorhersagen! Auf meine Kritik hin entgegnete man mir vor einigen Jahren noch mit der Aussage: ‚Was wollen Sie denn? Die Leute möchten das haben, und wir verdienen schließlich Geld damit.’“
Wissenschaftlich gesicherte Zusammenhänge gibt es laut Richner in vier Bereichen:
„Der thermische Wirkungskomplex ist das Zusammenwirken von Temperatur, Feuchte, Strahlung und Wind. Alle diese Größen beeinflussen die Energiebilanz unseres Körpers, also die Energie, die unser Körper aufwenden muss, um seine Solltemperatur zu halten. Im Extremfall kommt der Körper in einen so genannten Hitzestress bzw. Kältestress“, erklärt Richner. Jeder kenne diese Zusammenhänge intuitiv und nutze sie aus – etwa beim Luft zufächeln im Sommer oder beim aus kaltem Wind in eine geschützte Ecke gehen im Winter. Aber: „Für eine Wetterfühligkeit im Sinne, dass Personen bei ganz bestimmten Wetterlagen Beschwerden irgendwelcher Art (Narbenschmerzen, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen etc.) haben, gibt es keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen.“
Er habe mit seinem Team vor einigen Jahren eine große Studie über Wetter und Herzinfarkte durchgeführt. Es wurden über 6.500 Herzinfarkte, die eine Hospitalisierung notwendig machten, einerseits mit Wetterparametern aus der Region, andererseits mit einer Klassifizierung der Witterungslage korreliert. „Es wurden etliche signifikante (d.h. Irrtumswahrscheinlichkeit < 5 %) Korrelationen gefunden. Aber: In verschiedenen Regionen waren es unterschiedliche Parameter, welche Korrelationen zeigten. In extremen Fällen fanden wir gar eine Korrelation mit umgekehrten Vorzeichen! Fazit ist, dass diese Resultate mit größter Wahrscheinlichkeit zufällig zustande kommen, und dass sie als Folge des statistischen Schnüffeleffektes angesehen werden müssen“, so Richner. Auch in der Literatur gebe es teils massive Widersprüche.
Angela Schuh, Professorin für medizinische Klimatologie betont in einem Interview, dass manche Menschen besonders anfällig für bestimmte Wetterlagen seien. „Frauen sind eher betroffen als Männer, ältere Menschen eher als jüngere, Stubenhocker eher als leidenschaftliche Spaziergänger – und vor allem trifft die Wetterfühligkeit diejenigen, die besonders sensibel sind und eine Offenheit für das Thema besitzen.“ Die Medizinerin und Meteorologin resümiert, man müsse die Wetterfühligkeit seiner Patienten als Arzt ernst nehmen. „Der Leidensdruck ist da, unabhängig von naturwissenschaftlichen Beweisen.“
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