Wie soll ein Arzt eine Anamnese erheben, wenn er die Sprache seines Patienten nicht versteht? Das ist nur ein Aspekt von vielen, wenn es um die Arzt-Patienten-Beziehung geht. Warum Ärzte selbst hier in der Verantwortung sind.
Zusammenfassung:
Rassismus im Gesundheitswesen ist ein komplexes Problem, das sich auf verschiedenen Ebenen auswirkt. Dr. Hans Vogt und Dana Abdel Fatah sprechen in diesem Interview über die Auswirkungen von Rassismus auf die Versorgung und Outcomes betroffener Patienten. Sie betonen die Bedeutung der historischen Kontinuität und der Experimente in der Medizin. Es gibt immer noch viele Barrieren für Asylsuchende, Zugang zum Gesundheitswesen zu erhalten und es besteht kein Rechtsanspruch auf Sprachvermittlung. Dies erschwert die Kommunikation zwischen Arzt und Patient und beeinträchtigt die Qualität der Versorgung. Erfahrt im Video mehr über die Auswirkungen von Rassismus im Gesundheitswesen und wie ihr als Arzt dazu beitragen könnt, ihn zu verhindern.
Transkript des Interviews mit Dana Abdel Fatah und Dr. Hans Vogt zum Thema Rassismus in der Medizin. Es handelt sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video.
DocCheck: Hallo, Frau Abdel Fatah, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung; und hallo, Herr Dr. Vogt, Sie sind wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung und heute hier zum kurzen Interview zum Thema Rassismus und Vorurteile in der Inneren Medizin oder generell in der Medizin. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr auf das Interview!
Fangen wir direkt mit der ersten Frage an: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Rassismus im Gesundheitswesen in Deutschland?
Dr. Hans Vogt: Also man kann sagen, Rassismus spielt auf verschiedenen Ebenen im Gesundheitswesen eine Rolle, wie er auch auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft eine Rolle spielt. Und damit geht einher, dass Rassismus auch erstmal ein Faktor für Gesundheitsoutcomes sein kann, also zum Beispiel über sozioökonomischen Status, Arbeitsbedingungen, Lebensbedingungen; also Gesundheit auch jenseits des Gesundheitswesens unmittelbar betroffen sein kann, Gesundheitszustände betroffen sein können von Rassismus oder Erfahrungen mit Rassismus.
Zum anderen innerhalb der Gesundheitsversorgung oder des Gesundheitswesens, da kommt er auch auf verschiedenen Ebenen vor. Sowohl was Patienten angeht, als auch, dass Gesundheitspersonal von Rassismus betroffen sein kann. Was die Patienten angeht, da sowohl bezüglich der Versorgung, sprich der Qualität der Versorgung, und andererseits auch bezüglich des Zugangs zu Versorgung.
Dana Abdel Fatah: Vielleicht, um nochmal kurz zu ergänzen: Wenn wir über Rassismus reden, ist es extrem wichtig, über die Geschichte der Kontinuität zu reden. Und da ist es ja auch nochmal die Frage, welche Rolle hat Medizin eigentlich aus einer geschichtlichen Perspektive? Welche Rolle hat Rassismus in der Medizin gespielt? Und da ist es natürlich sehr wichtig, auch über die Experimente zum Beispiel von Robert Koch und anderen Ärzten der Zeit vor 100 Jahren zu reden. Afrika hat damals einfach einen Boden für Experimente geboten. Und in der Zeit, wo es in Deutschland verboten war, Experimente an Menschen zu machen, nur an Tieren, waren es eigentlich die Experimente in Afrika, an Menschen, die das Leben von tausenden von Menschen gekostet haben.
DocCheck: Ja, absolut. Und man muss sagen, selbst jetzt gibt es ja immer noch manchmal Kontroversen zu klinischen Studien für Zulassungen, die ausschließlich oder sehr fokussiert in arme Länder, asiatische Länder zum Beispiel gehen, wo dann ja auch schnell solche Gerüchte und Vorurteile aufkommen. Das wird ja nur gemacht, weil es da deutlich einfacher ist.
Abdel Fatah: Wir dürfen nie vergessen, dass es nicht nur auf eine andere Art und auf personelle Ebene reduziert ist. Ich glaube, Strukturen, Gesetze spielen eine starke Rolle. Wir müssen uns immer noch daran erinnern oder immer wieder eine Forderung machen, dass Asylsuchende immer noch starke Barriere erleben beim Zugang zum Gesundheitswesen. In den ersten 18 Monaten haben sie nur Anspruch auf bestimmte Leistungen und das bezieht sich auf Notaufnahme oder Schmerzen. Und in bestimmten Bundesländern besteht immer noch eine Pflicht, eine Art von Bürokratieschein zu holen.
Ich glaube, ein wichtiger Punkt, worüber wir auch gesprochen haben, sind diese ganzen Sprachbarrieren. Es gibt immer noch keinen Rechtsanspruch auf Sprachvermittlung und das ist tatsächlich bedauerlich und traurig, weil in anderen Ländern, zum Beispiel in England, ist das ein Recht, das seit Jahren, Jahrzehnten besteht. Und, obwohl es Forderungen seit den 90er Jahren gibt, muss diese Sprachvermittlung halt einfach über die Krankenkasse finanziert sein und muss für jede Person unabhängig vom Versicherungsstatus zugänglich sein. Das haben wir in Deutschland immer noch nicht geschafft.
DocCheck: Ja und ein ganz wichtiger Punkt, weil wie soll ich eine Anamnese erheben, wenn ich mich nicht verständigen kann? Dann höchstens mit einer App so notdürftig, aber an sich ist die Qualität natürlich von vornherein dadurch.
Abdel Fatah: Und es sind ganz oft Kinder, die dann auf einmal übersetzen müssen für ihre Eltern und dann über intime Sachen oder manchmal sogar über Todesfälle sprechen. Und das ist eigentlich zuwider von Kinder- und Jugendrechten.
DocCheck: Können Sie denn einen Unterschied zwischen einzelnen Fachrichtungen festmachen?
Vogt: Also dazu gibt es bisher so gut wie nichts und unser Fokus lag da auch nicht drauf. Also dementsprechend kann man da wenig dazu sagen. Es gibt eine Studie, die ist aber noch nicht veröffentlicht – die auch Teil des Rassismus-Monitorberichts sein wird –, die Hinweise darauf liefert, dass beim Zugang oder der Vergabe von Terminen bei verschiedenen Arztpraxen verschiedener Fachdisziplinen genau da keine Unterschiede festgestellt wurden.
DocCheck: Jetzt haben Sie ja gerade schon gesagt, ein wichtiger Punkt ist, Sprachbarrieren müssen überwunden werden, die Kosten dafür müssen getragen werden. Was haben Sie sonst für Lösungsansätze? Was sind die wichtigen Punkte, Ihrer Meinung nach, die zeitnah angegangen werden müssen?
Vogt: Ja, wir befinden uns gerade noch in der Auswertung der Ergebnisse. Dementsprechend kann man da jetzt auch noch nicht so viel auf Details eingehen im Moment. Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismus-Monitor wird im Herbst einen Bericht veröffentlichen, der auch Verhandlungsempfehlungen enthält. Was man erst mal grundsätzlich sagen kann, was sehr wichtig ist, ist, dass das Thema überhaupt angegangen wird, dass es anerkannt wird und dass reflektiert wird darüber. Dass überhaupt die erste Thematisierung da ist, ist ein ganz wichtiger Punkt.
Abdel Fatah: Wenn wir anfangen, in Lösungsansätzen zu denken, dann ist es ja auch extrem wichtig, wie gesagt, strukturelle Ebenen zu betrachten. Und dann die Ökonomisierung. Ökonomisierung ist ein Thema, worüber wir nicht ausreichend sprechen, gerade im Zusammenhang mit Rassismus. Weil, letztendlich werden Mehrbedarfe, zum Beispiel Krankenhäuser, gar nicht berührt. Also wenn man zum Beispiel mehr Zeit braucht mit Patienten, wegen Sprachbarrieren. Das System sorgt gar nicht dafür, dass diese Person oder die Fachkräfte in einer Kommunikation sind. In einem System, wo es nur um Effizienz geht, denkt man: Okay, ich kann mit dieser Situation nicht umgehen.
Und wir wissen von der psychosozialen Forschung, dass in Zeiten von Stress einfach Stereotypen aktiviert werden, weil es einfacher ist, in Gruppendynamiken zu denken, als diese Person einfach als Individuum zu denken. Und dann geht’s: Okay, Araber haben wahrscheinlich die Tendenz, Schmerzen zu übertreiben, das ist stärker bei denen. Das ist krass, wie einfach das ist, auf Stereotypen zurückzugreifen und das ist gar keine Rechtfertigung. Das ist natürlich ein No-Go.
Ich glaube, wir müssen ja auch einen anderen Zugang zu Medizin, wir müssen mehr diese humanistische Perspektive in den Vordergrund rücken. Aber ich glaube, wir müssen die Politik auch in die Verantwortung nehmen. Es kann nicht sein, dass man sagt: Okay, jetzt haben wir eine Tendenz und ich finde es schlecht, um es vielleicht zuzuspitzen und zu sagen, eine Art von Wirtschaft, die gerade entsteht, aber das reicht nicht aus. Also die Politik kann nicht nur Geld zu Fortbildungen Verfügung stellen. Es muss darüber hinausgehen, wir müssen mehr Ressourcen investieren, aber auch gleichzeitig die Fragen von Sprachen angehen.
Also das muss einfach zeitnah angegangen werden. Das steht schon im Koalitionsvertrag, dass eigentlich die Sprachfrage übernommen wird oder integriert wird in die gesetzliche Krankenversicherung. Aber bisher haben wir nichts gesehen und die Frage der Finanzierung bleibt immer noch offen. Das muss ja auch nochmal angegangen werden.
DocCheck: Jetzt haben wir viel über das System im Gesamten gesprochen. Sie haben schon gesagt gewisse Vorurteile, die einfach existieren, die abgebaut werden müssen. Haben Sie denn vielleicht noch Tipps für die Ärzte, gerade auch für die niedergelassenen Kollegen, was sie selbst konkret tun können, um Teil der Lösung zu sein?
Vogt: Also, Stichwort Stereotypisierung. Ja, genau. Es ist also, wie schon gesagt, die Thematisierung, die Anerkennung. Die Reflexion ist erst mal wichtig und dann bezüglich der Ärzte auch einfach die eigene Machtposition, also auch jenseits von Rassismus, aber auch diesbezüglich, zu reflektieren. Sprich auch das eigene Selbstbild, was Objektivität und vor allem Neutralität angeht, zu reflektieren und dahingehend gegebenenfalls einzulenken. Und auch die eigenen Arbeitsbedingungen, die man natürlich nicht immer ändern kann, aber sich auch zu vergegenwärtigen, was Dana jetzt schon gesagt hat, dass das schnell zu Stereotypisierungen führen kann, in bestimmten Kontexten, bestimmten Arbeitsbedingungen. Da muss man versuchen, damit – auch wenn es schwerfällt, weil man da sehr tief drinsteckt – reflektiert umzugehen und im besten Fall irgendwie einzulenken. Und dann zu versuchen, diese Verhältnisse auch irgendwie ein Stück weit zu ändern, auch nur für sich im Kleinen.
Abdel Fatah: Es ist tatsächlich die Verantwortung der Ärzte, dass sie auch dafür pushen und sich dafür einsetzen, dass das Thema Teil ihrer Einrichtungen wird. Ich habe heute gelernt, dass das Uniklinikum Hamburg jetzt eine Rassismus-Beauftragte hat. Das ist etwas Positives. Wir haben ganz oft Diversität-Beauftragte und ich glaube, das ist nicht das Gleiche. So Sachen wie auch Leitstrategien gegen Rassismus müssten ein Bestandteil … also wir müssen ja diese Tabuisierung ein bisschen abbrechen im Gesundheitswesen. Auch in meiner Erfahrung bei der Kommunikation mit Ärzten, ist es extrem schwierig, es gibt einfach ein Unbehagen. Man möchte sich gar nicht damit auseinandersetzen. Und es wird ja immer wieder gesagt: „Aber das gibt es bei uns nicht, wir sind ja neutral, wir sind verpflichtet, alle irgendwie gleich zu behandeln.“
Wir wissen, das ist ja gar nicht der Fall. Von daher, ich glaube, das ist die Verantwortung von Ärzten, dass sie sich dafür einsetzen, dass sie sich organisieren. Ja, auch, dass man das Gesundheitssystem reformiert. Wir brauchen, glaube ich, ein anderes Verständnis von „Was ist Gesundheit und wie wollen wir überhaupt unser Gesundheitswesen gestalten?“ Und das ist eh gerade ein Thema in der Politik, weil sie gesehen haben, das System funktioniert so nicht weiter. Wir brauchen ein anderes Verständnis davon.
Es ist vielleicht noch wichtig, zu ergänzen, dass die Datenlage immer noch sehr dünn ist, wenn es um Rassismusforschung geht. Die meisten Anliegen, die wir haben, stammen aus Migrationsforschung und Gesundheit. Und die lassen leider systematisch Communities aus, die über Generationen leben, denn Migrationshintergrund erfasst im Vordergrund eigentlich die erste und zweite Generation, das heißt zum Beispiel schwarze Communities, die in Deutschland seit Jahrzehnten leben, werden durch diese Kategorie einfach nicht gut erfasst. Aber zum Glück haben wir zum Beispiel die erste Studie, den Afrozensus, die vor zwei Jahren durchgeführt wurde. Es ist leider keine prospektive Studie, aber genauso wichtig eigentlich, weil es die erste ist, die tatsächlich Auskünfte und Analysen liefert, was für Erfahrungen machen eigentlich die schwarzen Communities in Deutschland und die liefert ja auch gute quantitative Daten.
DocCheck: Ja, vielen Dank Ihnen beiden für dieses Interview zu einem total wichtigen Thema und noch viel Spaß auf dem Kongress!
Vogt: Danke, ebenfalls!
Bildquelle: DocCheck und Marcel Strauß, Unsplash