Im Umgang mit geflüchteten Patienten sind Ärzte gleich mehrfach gefordert. Im DGIM-Interview berichtet Prof. Simone Scheithauer, welche infektiologischen Herausforderungen es gibt und wie wichtig ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis ist.
Transkript des Interviews mit Frau Prof. Dr. Simone Scheithauer zum Thema: Geflüchtete aus der Ukraine und Infektionskrankheiten. Es handelt sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video
DocCheck: Hallo, Frau Prof. Dr. Scheithauer, Sie sind Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie an der Uniklinik Göttingen und heute für ein kurzes Interview da zum Thema Geflüchtete aus der Ukraine und Infektionskrankheiten. Darüber freuen wir uns sehr!
Prof. Simone Scheithauer: Ganz herzlichen Dank für die Einladung!
DocCheck: Nun sind mittlerweile, Stand Februar, 1,1 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland angekommen, die natürlich hier vom Gesundheitssystem auch versorgt werden müssen. Dann ist es ja auch so, dass im Vergleich zu Deutschland die Prävalenz von gewissen Erkrankungen – nehmen wir mal Tuberkulose, Hepatitis B, HIV – in der Ukraine deutlich höher ist als bei uns. Auch die Impfquote ist ja durchaus geringer. Hürden sind vielleicht noch der fehlende Impfpass, der Impfpass in kyrillischer Schrift mit Impfstoffen, die es bei uns überhaupt nicht gibt; also einen Impfstatus zu erheben, ist sicherlich ein großes Problem. Wie sehen Sie das und was würden Sie hier an Tipps den Ärzten mit auf den Weg geben wollen?
Scheithauer: Ja, ganz herzlichen Dank. Sie haben eigentlich schon eine Vielzahl der Herausforderungen, der Probleme, aber möglicherweise auch der Lösungsstrategien angedeutet. Zum einen muss man ja erst einmal betonen, dass nicht jeder Flüchtende auch gleichzeitig ein Patient ist. Eine gesetzliche Eingangsuntersuchung ist nur vorgeschrieben, wenn die Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen erfolgt. Das ist bei vielen aus der Ukraine Geflohenen nicht der Fall, weil über private Kontakte ja auch oft eine direkte private Unterbringung erfolgt. Aber auch da ist empfohlen, dass eine ärztliche Vorstellung erfolgt, um so etwas, wie Sie es ansprachen, nämlich Impflücken zum Beispiel, aufzudecken und möglicherweise eine Nachimpfung durchzuführen. Das hat sich besonders gezeigt, als die SARS-CoV-2-Pandemie noch sehr vorherrschte und die Erkrankungszahlen hier noch häufig waren, aber natürlich auch für alle anderen Standardimpfungen. Wichtig ist, dass man die Kontakte nutzt, die man hier hat, um eben diese Sprachbarriere möglicherweise zu beeinflussen, aber auch die Motivation, sich beim Arzt vorzustellen, etwas zu erhöhen. Und ganz wichtig ist natürlich der ärztliche Kontakt für diejenigen Geflohenen, die wirklich als Patient einen Arzt bedürfen. Und das würde ich in zwei Gruppen ganz grob einteilen.
Die eine Gruppe sind die Patienten, die an einer chronischen Infektion oder Erkrankung leiden. Natürlich geht es nicht nur um Infektionen, aber zu anderen Themen bin ich leider nicht sprachfähig. Zum Beispiel einer Tuberkuloseinfektion, die unter Therapie steht. Da muss man Sorge dafür tragen, dass die Therapie nicht unterbrochen wird. Das wiederum kann den Fortschritt der Erkrankung begünstigen, aber auch die Entwicklung von Resistenzen. Und die sind eh bei den ukrainischen Geflohenen schon sehr hoch anzunehmen. Und das zweite wäre dann die Gruppe der Kriegsverletzungen, die dann direkt meist über eine Erstversorgung in der Ukraine oder einem anderen Land zu uns kommen und oftmals auch schon nicht nur die Verletzung, sondern eine Infektion haben, sehr oft aber eine Besiedelung auch mit multiresistenten Mikroorganismen. Denen, die ganz besonders schwer behandelt werden können, nämlich den gramnegativen Bakterien, die eine sogenannte Carbapenemase ausbilden und somit gegen die Breitlinienantibiotika, Carbapeneme, resistent sind.
DocCheck: Da haben Sie eine Frage von mir quasi schon fast beantwortet, nämlich genau die Resistenzen, die ja bei Tuberkulose-, MRSA-Stämmen wirklich deutlich ausgeprägter sind als in Deutschland. Sehen Sie – natürlich unter der Prämisse, dass eine maximal angepasste und effiziente Antibiotika-Therapie eingeleitet oder fortgesetzt wird – trotzdem ein gewisses Risiko, dass wir auch im gesamten Gesundheitssystem deutlich mehr Resistenzen haben werden? Tuberkulose zum Beispiel, teilweise Stämme, die gegen fast alle Antibiotika resistent sind, was ein erhebliches Problem darstellen kann.
Scheithauer: Ja, durch unsere zunehmende Globalisierung haben wir natürlich auch die möglicherweise als Risiko zu bezeichnende Konstellation, dass wir uns mehr begegnen und dass die Bakterien, die in einem Land schon eine hohe Resistenz-Rate haben, durch die dort vorherrschenden Situationen – da können ja die Menschen, die Geflohenen, nichts dafür – dann auch nach Deutschland importiert werden. Ganz wichtig ist es, das zu wissen und die Patienten frühzeitig zu erkennen und dann Hygienemaßnahmen durchzuführen – also möglicherweise die Patienten kurzzeitig zu isolieren, aber vor allem natürlich auch zu therapieren. Bei der Tuberkulose sind sicherlich die Therapie und die Erkennung und das Denken an Multiresistenz das Wichtigste, damit eine effiziente Therapie erfolgt. Bei den multiresistenten Gramnegativen handelt es sich meist um Patienten, die bereits erkrankt waren im Herkunftsland. Wir wussten auch schon vor dem Ukraine-Krieg, dass ein Krankenhausaufenthalt im Ausland, in dem eine höhere Prävalenz herrscht für ebendiese Erreger, ein Risikofaktor ist für eine Besiedelung mit diesen Erregern. Und für diese Erreger gibt es schon Screening-Regime.
Wir an der UMG streichen diese Patienten nicht nur ab, sondern wir isolieren sie auch, bevor wir die Ergebnisse haben, weil wir davon ausgehen, dass zu einem relativ hohen Prozentanteil diese Patienten mit multiresistenten Erregern kolonisiert sind. Wir machen das nicht, um die negativen Implikationen einer räumlichen Isolierung zu ignorieren, sondern weil wir große Sorge dafür tragen, dass eben diese Erreger, die bei uns an der UMG zum Glück noch sehr selten sind, auf andere Patienten übertragen werden. Die räumliche Isolierung hilft dabei. Ganz wichtig ist aber die Basishygiene, also die adäquate Händehygiene, immer dann, wenn sie indiziert ist.
DocCheck: Jetzt haben Sie auch schon angesprochen, dass es natürlich, wenn es um Erstaufnahmeeinrichtungen geht, gewisse gesetzlich vorgeschriebene Untersuchungen gibt, wie den Röntgen-Thorax zum Beispiel, was in der ambulanten Unterbringung, also in einer Wohnung oder ähnlichem, nicht der Fall ist. Was würden Sie denn sowohl niedergelassenen Kollegen, aber auch Ärzten im Krankenhaus empfehlen? Welche Untersuchungen sollten auf jeden Fall durchgeführt werden? Einfach zur Vorsorge, gar nicht jetzt in der Behandlung, sondern einfach um gewisse Erkrankungen, die dort häufiger sind, vielleicht frühzeitig zu erkennen.
Scheithauer: Die Experten vom Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose in Deutschland empfehlen auch für diese Geflüchteten eine Röntgen-Thorax-Untersuchung oder einen IGRA-Test, also ein Interferon-Gamma-Release-Assay, je nach Alter der Patienten und der Geflohenen – wir haben ja auch viele minderjährige Geflohene – einfach, weil die Inzidenz der Tuberkulose in der Ukraine sehr hoch ist. Wir haben in Deutschland eine Inzidenz von knapp unter 5 auf 100.000 Einwohner und in der Ukraine, die Angaben schwanken zwischen 71 und 73 auf 100.000 Einwohner. Das ist natürlich ein wirklich relevanter Unterschied und gleichzeitig, wie Sie eben schon in der Frage zuvor betont haben, ist eine offene Lungentuberkulose natürlich auch ein großes Übertragungsrisiko.
Ich denke, die gesetzliche Verpflichtung besteht in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht aus individualmedizinischer Sicht – da könnte man ja eigentlich keinen Unterschied machen – sondern sie ist deshalb dort schärfer gegeben, weil die Übertragungswahrscheinlichkeit höher ist aufgrund der Enge, der Situation. Und wir wissen ja auch von anderen, im Wesentlichen impfpräventablen Erkrankungen wie Masern oder Windpocken, dass sie gar nicht so selten in Erstaufnahmeeinrichtungen übertragen werden.
DocCheck: Natürlich, viele Menschen auf engem Raum und ein deutlich höheres Ansteckungsrisiko, ganz klar. Gibt es, vielleicht als letzte Frage, noch Tipps, die die Ärzte ihren neuen Patienten – auch wenn sie nicht erkrankt sind, nenne ich sie jetzt mal Patienten – wenn sie da zur Vorsorge nur sind, zu einer Erstuntersuchung, an die Hand geben können?
Scheithauer: Ich glaube, das Wichtigste ist, Vertrauen zu schaffen. Wahrscheinlich ist das genau dasselbe, was für einen nicht aus der Ukraine geflohenen Patienten erforderlich ist und hier vielleicht aufgrund der besonderen physischen und psychischen Belastung ist es noch wichtiger, Vertrauen zu schaffen und da eine Kommunikationsbasis herzustellen. Ich denke, dass gerade die niedergelassenen Kollegen damit ja sehr erfahren und versiert sind und das gut sehen, was dem einzelnen Patienten in dem Moment hilft und was nicht. Letzten Endes sollte es dazu führen, dass bei Auftreten von Symptomen oder bei Fragen einfach der Hausarzt auch ein wichtiger Ansprechpartner des Vertrauens sein kann und dass man deshalb auch die Möglichkeit bekommt, frühzeitig Diagnosen zu stellen.
DocCheck: Vielen Dank für diese tolle und kompakte Zusammenfassung. Ich denke, das ist sehr hilfreich bei einem so aktuellen Thema. Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß hier und danke, dass Sie da waren!
Scheithauer: Danke, Ihnen auch!
Bildquelle: DocCheck und Andrea Tummons, Unsplash (mobile Ansicht)