Wann und vor allem mit welchen Impfstoffen solltet ihr immunsupprimierte Patienten impfen? Erfahrt hier, worauf ihr besonders achten solltet.
„Schützt eure immunsupprimierten Patienten mit Impfungen“
In diesem Interview spricht Dr. Rebecca Hasseli-Fräbel, Oberärztin für Innere Medizin und Rheumatologie an der Uniklinik Münster, über die Bedeutung von Impfungen bei Patienten mit Immunschwäche. Dabei unterscheidet sie verschiedene Arten von Immunschwächen und erläutert, warum Impfungen für diese Patienten besonders wichtig sind. Sie betont auch, dass nicht immer alle Impfstoffe bei immunsupprimierten Patienten eingesetzt werden können und dass der Zeitpunkt der Impfung gut abgewogen werden muss. Wenn ihr mehr erfahren möchtet, schaut ins Video.
Transkript des Interviews mit Frau Dr. Hasseli-Fräbel zum Thema: Impfen bei Immunsuppression. Es handelt es sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video.
DocCheck: Hallo, Frau Doktor Hasseli-Fräbel. Sie sind Oberärztin für Innere Medizin und Rheumatologie an der Uniklinik Münster und heute hier für ein kurzes Interview zum Thema Impfen bei Immunsuppression. Darüber freuen wir uns sehr.
Dr. Rebecca Hasseli-Fräbel: Vielen Dank für die Einladung.
DocCheck: Wenn wir über Impfungen bei Immunsuppression sprechen, über welche Arten von Immunschwäche reden wir dann überhaupt?
Hasseli-Fräbel: Genau, das ist eine gute Frage. Vor allem, weil die Rheumatologie nur einen Teil davon abdeckt. Wir unterscheiden hier primäre Immundefekte – da haben vor allem die Immunologen oder Zentren, die sich mit den Immundefekten beschäftigen, primär mit zu tun. Dann haben wir Erkrankungen, die dazu führen, dass das Immunsystem nicht ordentlich funktioniert. Dazu gehören beispielsweise die entzündlich rheumatischen Erkrankungen, aber auch entzündliche Darmerkrankungen oder Autoimmunerkrankungen aus der Dermatologie.
Dann haben wir Medikamente, die dazu führen können, dass die Patienten eben eine Immunschwäche oder einen Immundefekt entwickeln, beispielsweise bei Patienten, die eine Tumordiagnose haben. Das können flüssige Tumoren sein, wie zum Beispiel bei den Hämatoonkologen. Es können aber auch solide Tumoren sein. Und es betrifft auch Patienten, die ein neues Organ bekommen. Da muss man ja verhindern, dass es zur Abstoßung kommt und dementsprechend wird das Immunsystem herunterreguliert.
DocCheck: Das ist ja schon sehr breit gefächert. Was ist denn generell bei diesen Patienten bezüglich einer Impfung zu beachten?
Hasseli-Fräbel: Insgesamt ist es ja so, dass das Immunsystem bei all diesen Patienten in irgendeiner Art und Weise nicht ordentlich funktioniert. Das heißt, dass sie jetzt per se unabhängig von der Therapie initial dazu neigen, infektanfälliger zu sein. Wenn die Patienten sich dann einen Infekt einfangen, ist das Problem, dass sie nicht normal darauf reagieren, wie jemand, der keinerlei Immundefekte oder -einschränkungen hat. Deswegen ist es wichtig, dass wir dem vorbeugen. Und unsere wichtigste Waffe zur Vorbeugung von schweren Infektionen ist natürlich die Impfung.
DocCheck: Wenn wir an die Kontraindikationen von Lebendimpfungen denken bei immunsupprimierten Patienten – gilt das für all diese eben erwähnten Arten und alle Schweregrade, oder würden Sie da unterscheiden?
Hasseli-Fräbel: Also, wenn man Medizin studiert hat, dann weiß man, dass Antwortmöglichkeiten mit „immer“ und „nie“ ausgeschlossen sind – das heißt, die kreuzt man nicht. Und dementsprechend ist das so, dass es nicht immer eine Kontraindikation gibt und dass es nicht darum geht, nie Lebendimpfstoffe einzusetzen. Man muss aber gut abwägen. Beispielsweise ist es so, dass in der Rheumatologie unter bestimmten immunmodulatorischen Therapien eben Lebendimpfstoffe nicht eingesetzt werden sollten. Dazu gehören eigentlich fast 90 % unserer Präparate, die wir in der Rheumatologie einsetzen. Da gibt es ein paar Ausnahmen, wie zum Beispiel Hydroxychloroquin, Mesalazin, Sulfasalazin; darunter kann man Lebendimpfstoffe applizieren.
Totimpfstoffe sind in der Regel ohne größere Einschränkungen einsetzbar. Das Problem hierbei ist, dass die Totimpfstoffe zu einer Zeit appliziert werden sollten, wo eben auch eine Immunogenität ausgelöst werden kann. Das heißt, wenn wir Therapien haben, die per se dazu führen, dass das Immunsystem nicht adäquat darauf reagieren kann – sei es, der Patient hat gerade ein neues Organ bekommen, eine Stammzelltransplantation oder hat eine Therapie wie zum Beispiel Rituximab, sodass die Immunantwort nicht oder nicht adäquat ausgelöst werden kann – dann muss man sich fragen, ob der Zeitpunkt der Impfung sinnvoll ist.
Auch bei den primären Immundefekten ist das so, dass bei bestimmten Erkrankungen Lebendimpfstoffe nicht empfohlen werden, etwa bei HIV-Patienten, wenn die nicht gut eingestellt sind. Hierbei sind vor allem die CD4-positiven Lymphozyten ausschlaggebend. Aber eben nie der Satz „Lebendimpfstoffe sind nie zu applizieren“, sondern es muss wirklich abgewogen werden. Grob kann man sagen: In der Regel ist es so, dass häufig Lebendimpfstoffe kontraindiziert sind bei diesen Patienten und dass Totimpfstoffe in der Regel einsetzbar sind, aber der richtige Zeitpunkt abgewogen werden muss.
DocCheck: Wenn wir von den Standardimpfungen jetzt mal absehen, gibt es bestimmte Impfungen, die Sie hervorheben wollen, die ganz wichtig sind für immunsupprimierte Patienten?
Hasseli-Fräbel: Insgesamt in der Allgemeinbevölkerung haben wir sehr schlechte Impfquoten und da ist es so, dass bestimmte Erreger eine besondere Rolle spielen – vor allem abhängig von der Saison, wie zum Beispiel Erreger der Atemwege, Pneumokokken, Influenza, jetzt vor allem ja auch Covid. Zum Glück haben wir die Pandemie hinter uns, aber das sind so die Impfungen, die bezüglich der Atemwege eine besondere Rolle spielen.
Dann, mit zunehmendem Alter, unabhängig von irgendwelchen Immunerkrankungen, ist es so, dass Herpes zoster eine wichtige Rolle spielt. Die Prävalenz steigt mit höherem Lebensalter und dementsprechend ist es so, dass wir natürlich unsere Patienten davor schützen sollten. Das heißt, die Pneumokokkenimpfung ist eine sehr wichtige Impfung, die wir kontrollieren sollten, ob das appliziert wird.
Die saisonale Influenza-Impfung ist ganz wichtig, Covid ist ganz wichtig. Da ist auch die Frage, wie oft, wie viel, in welchen Abständen. Da werden wir sicherlich noch im Gespräch darauf zurückkommen. Und eben der Totimpfstoff gegen Herpes zoster, um das Risiko für Komplikationen, falls der Patient an irgendeiner dieser Erkrankungen leidet, so niedrig wie möglich zu halten.
DocCheck: Wenn wir jetzt mal auf die Pneumokokkenimpfung kommen, die üblicherweise ja im höheren Lebensalter empfohlen ist – ich glaube, wenn ich mich recht entsinne, ab 60 – ist diese zum Beispiel schon früher sinnvoll bei immunsupprimierten Patienten. Sind da geringere Abstände nötig? Welcher Impfstoff würde da von Ihnen empfohlen werden?
Hasseli-Fräbel: Bei immunsupprimierten bzw. immun nicht-adäquaten Personen wird empfohlen, dass man die Patienten zweifach impft. Einmal primär mit dem Konjugatimpfstoff mit beispielsweise Prevenar® als erstes und dann im Abstand von 6–12 Monaten dann den Polysaccharidimpfstoff Pneumovax®. Dieser Abstand von 6–12 Monaten ist hierbei wichtig, dass man dann eben auch wartet und nicht zu früh impft, damit man nicht in eine Impflücke reinläuft und man so eine Art Booster dann auch hat.
Wenn man dann diese Impfung sequenziell durchgeführt hat, ist somit der Impfkomplex erst einmal abgeschlossen und dann ist es so, dass momentan empfohlen wird, alle sechs Jahre bei bestimmten Patienten zu überprüfen, ob nicht eine erneute Boosterung notwendig ist. Ganz spannend wird das, weil wir jetzt ja auch neue Konjugatimpfstoff demnächst kriegen, die schon in der Pädiatrie eingesetzt werden. Da stellt sich die Frage in Zukunft, welche Rolle dann noch der Polysaccharidimpfstoff haben wird. Aber das sind Aufgaben der STIKO, die sie wahrscheinlich in den nächsten Monaten noch angehen werden.
DocCheck: Das ist ja schon ein sehr konkretes Schema und auch für die Niedergelassenen sicherlich sehr interessant. Sie haben gerade schon Covid erwähnt, die Covid-Impfung. Wie sehen Sie den Stellenwert oder sollte grundsätzlich eine Antikörperbestimmung, eine Titerbestimmung, gemacht werden – zum Beispiel nach der Grundimmunisierung, nach der ersten oder nach der zweiten Booster-Impfung? Halten Sie das für sinnvoll?
Hasseli-Fräbel: Genau, das ist eine ganz spannende Frage. Also, wer sich schon häufiger mit mir ausgetauscht hat, weiß, dass ich jetzt nicht der größte Fan der Antikörperbestimmung bin. Das Problem hierbei ist, dass wir nach drei Jahren Covid eigentlich nicht genau wissen, welcher Antikörperspiegel was aussagt. Wir wissen, wenn keine Antikörper nachweisbar sind oder wenn sie sehr niedrig sind, dass wir keine humorale Impfantwort nachweisen können. Wir wissen aber nicht, ab welchem Level wir dem Patienten grünes Licht geben können, dass das Infektrisiko oder auch das Risiko für einen schweren Verlauf dann adäquat reduziert ist.
Dementsprechend ist es so, dass beispielsweise bei der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie im Oktober eine Empfehlung herausgegeben worden ist, wo die zweite Boosterimpfung empfohlen wird – und zwar im Abstand von sechs Monaten zur ersten Boosterimpfung. Das heißt: die Impfung Nummer vier, sechs Monate nach der dritten Impfung. Falls sich der Patient in der Zwischenzeit infiziert haben sollte, kann eine vierte Impfung drei Monate nach der Infektion in Erwägung gezogen werden. Hierbei hat sich mittlerweile gezeigt, dass es da keine Präferenz der Impfstoffe gibt. Die zeigen alle sehr, sehr gute Sicherheitsprofile. Man muss sich auch mal vor Augen führen, mit welcher Geschwindigkeit Optionen hier auf den Markt kamen, die wirklich Leben gerettet haben. Es ist hier irrelevant, ob jetzt der mRNA-Impfstoff von Biontech-Pfizer ist oder von Moderna. Auch die Patienten, die zuvor mit den Vektorimpfstoffen geimpft worden sind, haben hier im Verlauf ein deutlich niedrigeres Risiko für schwere Verläufe aufgewiesen.
Und wir haben jetzt ganz aktuell von Seiten der DGRh eine Auswertung aus dem COVID-19-Register, wo wir eben solche Durchbruchinfektionen untersucht haben. Da sehen wir beispielsweise, ohne die Antikörper zu bestimmen, dass Patienten, die dreifach geimpft sind, unabhängig von der Therapie – da sind auch Patienten dabei, die Rituximab immer bekommen haben und Rituximab führt dazu, dass keine adäquaten Antikörper gebildet werden können – signifikant mit geringeren Sterberaten assoziiert werden, im Vergleich zu den Ungeimpften. Und das ist ja schon ein Statement. Wir haben keine Daten zu den Antikörperspiegeln, aber alleine der Fakt der dritten Impfung hat dazu geführt, dass die Mortalität deutlich reduziert war.
DocCheck: Tatsächlich – als hätten Sie meine Gedanken lesen können, haben Sie die letzte Frage, die ich hatte, eigentlich schon beantwortet. Insofern vielen Dank für diesen kurzen, prägnanten Einblick in Impfungen bei Immunsuppression! Ich habe mich sehr gefreut über das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Hasseli-Fräbel: Vielen herzlichen Dank für die Einladung nochmal und schön, dass dieses wichtige Thema der Impfung hier aufgenommen worden ist.
Bildquelle: DocCheck und Towfiqu barbhuiya, unsplash