Die Innere Medizin steht vor vielen Herausforderungen. DGIM-Chef Prof. Ulf Müller-Ladner ist trotzdem guter Dinge. Erfahrt hier, wie es nach der Pandemie weitergeht.
Transkript des Interviews mit Prof. Ulf Müller-Ladner zum Thema: Zustand nach Pandemie – Innere Medizin in Deutschland. Es handelt es sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video.
DocCheck: Herr Professor Ladner, wie ist derzeit die Situation der Inneren Medizin in Deutschland?
Prof. Ulf Müller-Ladner: Die Situation der Inneren Medizin in Deutschland ist derzeit erfreulich stabil mit steigender Tendenz. Wir haben ja inzwischen fast 30.000 Mitglieder bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Das heißt, die Attraktivität ist nach wie vor ungebrochen – und zwar auf allen Altersebenen.
DocCheck: Gibt es genug Internisten oder hat die Pandemie, die ja gerade diesen Fachbereich doch überdurchschnittlich gefordert hat, da einige Lücken geschlagen?
Müller-Ladner: Wen Sie fragen, wird die Antwort bestimmen. Das heißt, wenn Sie die Kassenärztliche Vereinigung fragen, gibt es natürlich zu viele, es ist überall Überversorgung. Wenn Sie die Patienten oder die Kolleginnen und Kollegen fragen, ist es natürlich zu wenig, weil wir an vielen Punkten einfach nicht genügend Personal haben – sowohl ärztliches als auch nicht-ärztliches – um alle Patienten zu versorgen und auch allen Wünschen entgegenzukommen. Die Innere Medizin ist anspruchsvoller geworden, sie hat mehr Möglichkeiten und dafür stehen nicht überall ausreichend Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung.
DocCheck: Welche Fachbereiche sind besonders gut ausgestattet und wo würden Sie sagen, müsste man am ehesten ein bisschen nachhelfen?
Müller-Ladner: Naja, wenn Sie alle fragen, werden alle unterversorgt sein. Wenn man die Zahlen anschaut, ist es schon so, dass die sogenannten kleinen Fächer – Rheumatologie, Endokrinologie, Angiologie – unterrepräsentiert sind; in manchen Verhältnissen 1:10 gegenüber Kardiologen und anderen Fachgebieten. Das ist sicherlich zum Teil historisch bedingt. Auch, weil natürlich die essenziellen Organe des Lebens wie Herz und Lunge immer dominant sind. Aber auch die Endokrinologie hat durchaus ein Nachwuchsproblem und wenn man sich die Alterspyramide anschaut, mit zunehmenden diabetologischen Schwierigkeiten, sind eigentlich alle Fachgebiete gefragt, da nachzulegen. Aber klar, die kleinen Fächer, die aber extrem viele Patienten versorgen – gerade Rheumatologie, es gibt viele Millionen entzündlicher Erkrankungen – da sind die Wartezeiten schon ziemlich lange, wenn sie eine Neuerkrankung haben.
DocCheck: Eine Antwort auf den Mangel ist ja immer der Nachwuchs. Was würden Sie sagen, müsste unternommen werden, damit der Fachbereich Internistische/Innere Medizin wieder attraktiver wird bzw. attraktiv bleibt?
Müller-Ladner: Also attraktiv ist er auf jeden Fall. Es gibt ganz viele der Studierenden, die das gerne machen möchten und auch machen. Der Knackpunkt sind immer die Ausbildungsplätze, weil die natürlich nicht so dicht gesät sind oder nicht mehr so dicht gesät sind wie früher. Das heißt, jede Stelle, die an einer Klinik oder einer Weiterbildungsstelle existiert, sichert auch den Nachwuchs und weckt natürlich auch die Begeisterung. Das ist nicht immer und überall gegeben. Auch die Zeit, die man für den Nachwuchs aufwenden kann, ist natürlich durch viele, viele Dinge, die zusätzlich so passieren, eingeschränkt – und das verzögert das Ganze, es macht das Ganze länger. So schnell kann man die jungen Kollegen gar nicht backen, wie der Bedarf da ist.
DocCheck: Dazu hat uns auch eine Frage aus der Community erreicht. Ein Internist möchte hier folgendes wissen – ich zitiere: „Die internistische Weiterbildung hat während der Pandemie stark gelitten. Gerade in klassischen Problembereichen wie Gastro und Kardio wurde es noch schwieriger, die nötigen Kataloge zu erfüllen. Wie wird sichergestellt, dass die jungen Klinikärzte, die einen Großteil der Pandemie-Last getragen haben, jetzt nicht die Dummen sind?“
Müller-Ladner: Also die Dummen sind sie auf jeden Fall nicht, denn die Krankheiten sind ja noch da und die Weiterbildungsstätten sind auch da. Aber ich denke, wenn wir jetzt den Normalbetrieb wieder aufnehmen, dass dann das oberste Ziel ist, die Rotation sicherzustellen. Das heißt, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen auch tatsächlich das Wissen erwerben können, das sie nachher – wenn sie dann alleine arbeiten oder verantwortlich arbeiten – auch zur Verfügung haben. Das heißt, die Aufgabe ist eine sinnvolle Rotation, eine zügige Rotation, wobei man immer eingeschränkt dazu sagen muss – ich gehöre ja auch noch zu denen, die acht Jahre gebraucht haben zum Internisten, heutzutage sind es sechs, also kleines bisschen Spielraum ist schon drin – zu viel Hektik sollte man auch nicht machen. Wenn man 30, 40 Berufsjahre vor sich hat, dann gibt es viel, was man noch sehen und lernen kann.
DocCheck: Und dann mal etwas Aktuelles. Die DGIM hat ja kürzlich Anforderungen an die elektronische Patientenakte formuliert. Jetzt wird es konkreter. Lauterbach wird wohl bis 2024 eine bundesweite EPA mit dem Opt-out-Modell einführen wollen. Wie positionieren Sie sich jetzt dazu?
Müller-Ladner: Also die DGIM unterstützt das natürlich. Auch, was die Digitalisierung anbelangt, weil manche Dinge dann tatsächlich schneller gehen können. Das kleine Problem dürfte sein, tatsächlich zügig genug eine Harmonisierung der Technik zu haben – also kompatible Lesegeräte, die entsprechende Datenschutzverordnung zu harmonisieren, dann natürlich auch die Schulungen entsprechend zu machen, dass jeder das bedienen kann und natürlich auch sicherzustellen, dass in dieser Patientenakte alles das drin ist, was auch drin sein muss, dass derjenige, der die aufmacht, dann die Informationen vor sich hat. Insofern ist das Opt-out-System im Moment gerade das Optimale. Das kleine Problem könnte diese sogenannte Verschattung sein, wenn nämlich dann verschattende Dinge oder verschattete Dinge nicht in der Behandlung sichtbar werden und dann auch Fehlentscheidungen getroffen werden können. Da muss sicherlich klargestellt sein, dass die Kolleginnen und Kollegen dann dadurch keine Nachteile haben, sonst wird es schwierig, dass das angenommen wird. Und in zwei Jahren komplett elektronisch (80 %) – das ist wirklich sportlich. Schauen wir mal.
DocCheck: Wie sollte die DGIM oder wie sollten andere Fachgesellschaften generell in diesen Konzeptionsprozess der EPA eingebunden werden?
Müller-Ladner: Im Koalitionspapier oder in den Expertenkommissionen steht wortwörtlich drin, dass die Behandler bzw. die Anwender aktiv gefragt werden. Und ich glaube, das ist auch der Schlüssel dazu, ob das funktioniert oder nicht. Das heißt, wenn diese Dinge anlaufen, es nicht im fernen Nirgendwo gemacht wird und alle müssen es dann so nehmen, wie es kommt. Sondern dass von Anfang an diejenigen, die nachher auch die Karte reinschieben, den Bildschirm anmachen und das Ganze lesen, schauen, ob das auch so funktioniert und nicht dann vor einer Menge Problemen technischer Art stehen, die schwierig zu lösen sind. Also: Einbindung von Anfang an – sowohl was den Inhalt als auch die praktische Technik anbelangt.
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