Die Patientin wird mit akuter Dyspnoe in die Notaufnahme eingeliefert. Ihr Zustand verschlechtert sich immer weiter – bis ein eindrucksvolles Röntgenbild endlich Licht ins Dunkel bringt.
Zusammenfassung
In diesem Case Report erzählt Moritz Tellmann von einem spannenden Fall aus der Notfallmedizin: Eine Patientin aus einem Pflegeheim wird mit akuter Dyspnoe in die Notaufnahme eingeliefert. Sie ist kaum ansprechbar, hat eine hohe Atemfrequenzen und trotz einer nichtinvasiven Beatmungstherapie nähert sie sich immer weiter dem respiratorischen Versagen. Das Ärzteteam beginnt sofort damit, die Differenzialdiagnosen gründlich abzuarbeiten, unternimmt eine ausführliche klinische Untersuchung, führt eine Echokardiografie und eine pulmonale Sonografie durch. Man stößt zwar auf ein abgeschwächtes Atemgeräusch links und einen verminderten Klopfschall, findet jedoch nichts, was die Situation erklären könnte. Der Zustand der Patientin verschlechtert sich weiter, doch endlich bringt ein sehr eindrucksvolles Röntgenbild Licht ins Dunkel. Wie man der Patientin helfen konnte und warum eine ausführliche Differenzialdiagnostik so wichtig ist, seht ihr im Video.
Transkript des Videos mit Dr. Moritz Tellmann zum Thema Case Report: Enterothorax. Es handelt sich um eine 1:1-Abschrift des Gesprochenen im Video.
Dr. Moritz Tellmann: Ich möchte hier einen intensiv- und notfallmedizinischen Fall vorstellen, der für uns in der Klinik wirklich spannend war. Es handelt sich um eine Patientin, 1964 geboren, die vom Rettungsdienst aus einem Pflegeheim in unserer ZNA vorgestellt und vorangemeldet wurde, mit dem Stichwort: respiratorische Insuffizienz, akute Dyspnoe. Letztlich wurde die Patientin bereits unter einer laufenden NIV, also einer nichtinvasiven Beatmungstherapie, in der Notaufnahme bei uns vorgestellt. Hier wurde relativ schnell die Entscheidung gefällt, aufgrund des fortschreitenden, drohenden respiratorischen Versagens, dass man sie eben prompt auf die Intensivstation verlegt. Auch, weil zu dem Zeitpunkt die Versorgungskapazitäten der Notaufnahme etwas eingeschränkt waren.
Die Patientin wurde dann unter der bereits rettungsdienstlich etablierten NIV bei uns auf der Intensivstation vorgestellt, mit notärztlicher Begleitung. Wir sahen eine Patientin, die nach der Gabe von etwas Morphin und einer etablierten NIV-Therapie kaum ansprechbar war und sehr hohe Atemfrequenzen zeigte, sprich ein drohendes NIV-Versagen bot. Bei dieser Patientin war zuallererst die Arbeitshypothese, dass möglicherweise ein pneumonisches Geschehen zu dieser respiratorischen Insuffizienz geführt habe.
Die Patientin hatte kein Fieber, möglicherweise hatte man aber Rassel-Geräusche über der Lunge gehört, aber auch – und das ist jetzt spannend – ein abgeschwächtes Atemgeräusch auf der linken Thoraxseite. Wir haben die Patientin natürlich unmittelbar klinisch in Augenschein genommen und die Differenzialdiagnosen abgearbeitet. Das heißt, wir haben wirklich eine saubere klinische Untersuchung durchgeführt, bei der wir auch abgeschwächte Atemgeräusche auf der linken Thoraxseite, vor allem basal, aber auch bis in den Bereich der vierten, fünften Rippe, feststellen konnten.
Die Perkussion ergab hier auch eine Dämpfung des Klopfschalls. Weitere Diagnostik mit Echokardiografie, die schwer durchzuführen war, zeigte aber erst mal eine normale kardiale Pumpfunktion. In der Pleura- oder pulmonalen Sonografie konnte ein Pneumothorax recht schnell ausgeschlossen werden, ebenso eine pulmonale Überwässerung wie beim Lungenödem. Zumal hatte die Patientin eine stabile Hämodynamik, war also nicht katecholaminpflichtig, leicht tachykard, was hier aber eher auf die gestresste respiratorische Situation geschoben wurde.
Dennoch zeigte sie eine dramatisch reduzierte Oxygenierung. Wir hatten bei einer FiO2 mittlerweile von circa 80 %, eine Sp02-Sauerstoffsättigung von allenfalls knapp über 90, die etabliert werden konnte, mit der NIV. Das Ganze bei zunehmender Vigilanzminderung. Und das Entscheidende kam eigentlich dann, als wir bei der Patientin im Rahmen der drohenden Erschöpfung ein Röntgenbild etablieren wollten, um diese Diagnostik hier noch zu vervollständigen.
Das Röntgenbild, jetzt eingeblendet (03:15), ist wirklich sehr imposant. Die Patientin hatte nämlich einen deutlichen respiratorisch-kompromittierenden Enterothorax entwickelt. Das bedeutet, sie hat auf dem Boden einer schon jahrelang bekannten Hiatushernie nun eine Dislokation von Gastrointestinalgewebe, insbesondere von Darm, Kolon in den Thorax auf der linken Seite erlitten und dadurch ist eine respiratorische Erschöpfung geboten. Das bedeutet im Grunde, dass hier letztendlich die Lunge so in ihrer Oxygenierungsfähigkeit, aber auch Decarboxylierungsfähigkeit eingeschränkt war, dass die Patientin sich in ein konsekutives NIV-Versagen hineinarbeitete.
Es wurde relativ schnell die Entscheidung zur endotrachealen Intubation und Notfallnarkose gestellt, was hier problemlos gelang und die respiratorische Situation verbesserte sich danach auch kurzzeitig erst mal. Es kam zu einer besseren Oxygenierung, einer besseren Decarboxylierung bei hohen CO₂-Werten sowohl in der Blutgasanalyse als auch endexspiratorisch. Die große Frage war natürlich, wie schreitet man jetzt hier therapeutisch voran?
Die Kollegen der Allgemeinchirurgie wurden bei uns im Haus natürlich hinzugezogen. Bei diesem hochgradigen Enterothoraxverdacht, auch hier übrigens im Röntgenbild (04:33) mit einer deutlichen Mediastinalverlagerung nach rechts bereits, wo man ja tendenziell sagen würde: Okay, das hat auch Auswirkungen auf die Hämodynamik durch Abscherung der zurückführenden Blutgefäße, insbesondere der Vena Cava superior und inferior. Die Patientin hatte aber, wie gesagt, kein Hämodynamik-Problem und es wurde im gemeinsamen Konsens zuallererst einmal entschieden, weil es natürlich auch wieder eine klassische Wochenend-Situation war, hier nun nicht operativ tätig zu werden.
Und erfreulicherweise zeigte sich auch konsekutiv nach endotrachealer Intubation und Überdruckbeatmung, mit natürlich initial recht hohen Beatmungsdrücken, teilweise mit Spitzendrücken von 30 mbar, die wir da brauchten, dass dieser Enterothorax aber zurückgedrängt werden konnte. Das heißt: Durch die Entfaltung der Lunge und die Beatmung kam es zu einer Reversion.
Dieser Enterothorax und die Problematik konnten somit akut erstmal behandelt werden. Dennoch ist es ein sehr eindrucksvoller Fall. Eine wichtige Differenzialdiagnose auch der akuten Dyspnoe, der respiratorischen Insuffizienz. Die Patientin ist natürlich auch noch bronchoskopiert worden, um hier Atelektasen zu sichten, wiederzueröffnen, um möglicherweise noch einen Sekretverhalt im Rahmen von einem pneumonischen Geschehen, das hatte sie so weit nicht, auszuschließen.
Es erfolgten noch eine Gastro- und Koloskopie, um natürlich auch die Inkarzeration von Darmgewebe auszuschließen. Auch das bot die Patientin nicht. Die laborchemischen Parameter gaben keine manifeste Infektsituation her und die Patientin konnte dann letztendlich nach und nach dem Weaning wieder zugeführt werden und befindet sich nach wie vor im Weaning-Prozess.
Aber vielleicht ein kleines Learning aus diesem Fall, bevor vorschnelle Entscheidungen getroffen werden: Erst mal ein sauberes intensivmedizinisches Abarbeiten der Differenzialdiagnosen, insbesondere bei Dyspnoe – und einer respiratorischen Insuffizienz natürlich auch Hinzuziehen der entsprechenden Fachabteilungen. Hier ergo die konsiliarisch betreuenden Ärzte der Gastroenterologie und der allgemeinen Chirurgie. Die Patientin wurde in diesem Kontext übrigens nicht operiert, da das Problem erst einmal relativ schnell behandelt werden konnte. Und letztendlich ist auch nach rückblickender Sicht auf die Dinge nicht davon auszugehen, dass es ein akutes Problem dieser Dislokation gewesen war, sondern dass möglicherweise ein chronischer Enterothorax zu einer akuten respiratorischen Dekompensation geführt hat.
Und für alle, die sowas noch nicht gesehen haben, bitte das Röntgenbild einmal eindrucksvoll speichern und merken. In diesem Sinne: Frohes Schaffen!
Bildquelle: DocCheck