Der pensionierte Arzt Willy Bettinger (87) wird in seinem Haus am Bodensee von dem Polen Michael Jans, der seit über einem Jahr bei ihm wohnt, isst und schläft, betreut und gepflegt.
Die beiden sind ein Herz und eine Seele geworden. Michael war vorher Möbelverkäufer in dem 1300 km entfernten Nowe in Polen und hat von dem alten Arzt viel fürs Leben gelernt. Er kocht, macht den Haushalt, kümmert sich um Haus und Garten und verdient 1400 Euro im Monat. Zwischen den beiden Männern stimmt einfach die Chemie, sagen beide.
Im Hinblick auf den demografischen Wandel und die fortschreitende Überalterung der Gesellschaft in Deutschland kommt dem Bereich der Pflege in der Sozial- und Gesundheitspolitik eine immer größere Bedeutung zu. Es wird nach Alternativen gesucht, um den hohen Kosten auszuweichen. Pflege von alten oder kranken Angehörigen, zuhause rund um die Uhr, ist in Deutschland kaum zu bezahlen, deshalb geht der Blick immer öfter in Richtung der Billiglohnländer in Osteuropa. Von dort kommen schon ab 1.100 Euro im Monat Haushaltshilfen mit sehr guten Deutschkenntnissen, die sich um die pflegebedürftigen Menschen kümmern. Von den rund zwei Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden 90 Prozent zu Hause gepflegt. Berufstätige Angehörige können die Betreuung nicht rund um die Uhr über- nehmen. Eine berufstätige Person, die sich für bestimmte Zeit selbst um den betroffenen Angehörigen kümmern möchte, hat nach der Pflegereform 2008 Anspruch auf unbezahlte, sozial- versicherte Freistellung von der Arbeit für die Dauer von nur sechs Monaten.
Für die Betroffenen ist die Situation sehr schwer: sie wollen lieber von vertrauten Menschen und in gewohnter Um- gebung versorgt werden. Seit 2010 dürfen diese Haushaltskräfte, nach Paragraph 21 der Beschäftigungsverordnung, neben der Unterstützung im täglichen Leben auch "notwendige pflegerische Alltagshilfen" übernehmen. Am 1. Mai fallen die Zugangsbeschränkungen für Arbeitnehmer aus den im Jahr 2004 der EU beigetretenen acht osteuropäischen Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Slowakei, Tschechien und Ungarn zum deutschen Arbeitsmarkt weg. Sie können nun zu denselben Bedingungen arbeiten wie deutsche Arbeitnehmer. Bislang benötigten sie dafür eine spezielle Arbeitserlaubnis. Für Rumänien und Bulgarien, die der EU 2007 beigetreten sind, gelten die Übergangsregelungen noch bis 2014 weiter.