2006 scheint das Jahr der neuen Antibiotika zu sein - neue Wirkstoffe versprechen den lang erhofften Sieg über viele Erreger. Doch der Schein trügt: im Wettlauf gegen Resistenzbildungen wird es auch dieses Mal langfristig keinen Sieger geben.
Die Nachricht aus Münster überraschte Freund und Feind. Seitnunmehr vier Monaten erobert ein neu entwickeltes Antibiotikum dendeutschen Markt und verspricht das, wovon die meisten Ärzte bislang nurträumten: Es bekämpft multiresistente Bakterien und verhindert dieEntstehung neuer resistenter Arten. Vor allem Krankenhäuser sollendavon profitieren. Denn über drei Millionen Patienten stecken sichjährlich in europäischen Kliniken mit Keimen an, die auf herkömmlicheAntibiotika gar nicht, oder nur noch sehr schlecht reagieren. Für50.000 Krankenhauspatienten im Jahr endet die Unbesiegbarkeit derErreger tödlich. "Mit dem neu entwickelten Wirkstoff Tigecyclin könnenviele dieser Menschen gerettet werden", verkündete angesichts solcherZahlen Peter-Andreas Löschmann, Medizinischer Direktor der deutschenWyeth Pharma GmbH in Münster bei der Vorstellung des Präparats im Maidieses Jahres.
Nachdem der Wirkstoff bereits von der amerikanischenGesundheitsbehörde zugelassen wurde, ist das Medikament nun als erstesPräparat aus der Klasse der Glycylzykline auch in Deutschland erlaubt.Das Mittel soll bei komplizierten Haut- und Weichgewebsinfektionen,sowie bei Entzündungen des Bauchraumes zum Einsatz kommen.
KeinEinzelfall
Das Potenzial des Medikaments ist beachtlich - aber keinEinzelfall. Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum fürInfektionsforschung, ehemals Gesellschaft für BiotechnologischeForschung (GBF) in Braunschweig, haben einen neuartigen, natürlichenWirkstoff entdeckt, der verschiedene Arten von Bakterien am Wachsenhindert. So wirkt die Substanz "MMA" ( 7-O-malonyl-Macrolactin A) -gegen den berüchtigten Stamm des Methicillin-resistenten Staphylococcusaureus oder MRSA. Zudem wirkt die Substanz gegen Vancomycin-resistenteEnterokokken (VRE), die Darmkrankheiten auslösen können, sowie gegenbesonders gefährliche Varianten des Krankenhaus-Keims Burkholderiacepacia, der immungeschwächte Menschen befällt und sich chronisch inihrem Körper festsetzt. Vermutlich stört MMA bei all diesen Bakteriengezielt die Zellteilung.
Trotz derartiger Erfolge geben die Fachleute keine Entwarnung.Denn die Erreger reagieren auf neue Medikamente - und sind diesen nachwenigen Jahren auf Grund von Resistenzbildungen wieder überlegen. Hinzukommen weitere Finnessen der Krankheitserreger. "Manche Bakterienverfügen über ein ausgeklügeltes molekulares Kommunikationssystem, mitdem sie sich während einer Infektion verständigen. Damit können siehöchst effektiv so genannte Biofilme aufbauen. Das sinddreidimensionale Bakterienverbände, die sich hartnäckig im Körperhalten und oft sehr schwer mit den gängigen Antibiotika zu bekämpfensind", erklärt dazu Rudi Balling, Leiter des Helmholtz-Zentrum fürInfektionsforschung, und: "Wenn wir jetzt einen Wirkstoff finden, derdie Kommunikation stört, könnten wir den Patienten, die unter solchenInfektionen leiden, viel besser helfen". Dazu fordert Balling einUmdenken in der Wirkstoffforschung: "Wir dürfen beispielsweise nichtnur Antibiotika entwickeln und einsetzen, die Bakterien töten, indemsie deren Zellwand zerstören. Vielmehr müssen wir auch nach anderenZielstrukturen suchen".
Die Suche geht weiter ...
Die Suche nach der potenten Pille gegen die Super-Erregeravanciert daher zum High-BioTech Unterfangen. Um auf Dauer wirksameAntibiotika zu entwickeln müssen Wissenschaftler den genetischen Codeder winzigen Übeltäter kennen, die es zu bekämpfen gilt. Für Aufsehensorgte vor wenigen Tagen die Entschlüsselung des Genoms einesuropathogenen E.coli-Stammes. Die von Wissenschaftler derGeorg-August-Universität Göttingen freigelegten genetischenInformationen wurden mit den bereits bekannten Genomsequenzen deskommensalen Escherichia coli-Stammes und drei weiterer, pathogenerStämme verglichen. Dabei fanden die Forscher heraus, dass dieUnterschiede zwischen "guten" und "schlechten" Colibakterien durchmosaikartige Einschübe von genetischem Material in die Erbsubstanzbestimmt werden - so genannten Pathogenitätsinseln. Nun zeigte sich:Beim E.coli-Stamm 536 lösen die Gene von sechs Pathogenitätsinselnletztendlich Harnwegsinfektionen aus. Mit Hilfe der entschlüsseltenGenom-Informationen konnten die Forscher zudem das "Wesen" derUropathogenität analysieren - von Faktoren also, die das Anheften derBakterien in den Harnwegen ermöglichen, die Erschließung vonNährstoffen sichern und die Freisetzung von Giftstoffen bewirken.
Es sind kleine Durchbrüche wie dieser, die irgendwann zum neuenAntibiotikum führen können - wenn alles gut geht. Damit die Medizin denWettlauf gegen die Bakterien gewinnt, sind aus Sicht vonInfektionsforscher Balling einzelne neue Wirkstoffe zwar wichtig, aberin geringer Zahl noch nicht ausreichend. Sein Tipp: "Wir müssen unsgute Handwerker zum Vorbild nehmen. Die kommen auch nicht nur mit einemWerkzeug auf die Baustelle, sondern mit einem ganzen Werkzeugkasten."