Die politischen Veränderungen im deutschen Gesundheitswesen schlagen voll auf die Arzt-EDV durch. Neue Abrechnungsmodelle, neue Anforderungen an die Versorgungssicherheit und nicht zuletzt die umstrittene Gesundheitskarte machen den Arztrechner zu einer Dauerbaustelle. Fertigstellung? Offen.
Es gibt sie noch, die niedergelassenen Ärzte, die in ihrer Praxis ganzohne Rechner auskommen. Aber es sind wenige geworden, sehr wenige. DieIT-Statistiken der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sprecheneine deutliche Sprache: Exakt 110.421 Installationen listet die neuesteZusammenschau auf. Von Rügen bis zum Bodensee ist die Praxis-EDV damitder Standard. Wer darauf verzichtet, hat Orchideenstatus.
Die Praxis-IT-Landschaft ist bunt, artenreich und oft sehr individuell
Auf den IT-Seiten der KBV werden die IT-Installationen für jedenKV-Bezirk und praktische jede Fachrichtung auf Top 10- und Top20-Listen herunter gebrochen. Die besonders spannende Liste Installationsstatistik-Systemegibt schwarz auf weiß, was oft kolportiert wird: 201 verschiedenePraxis-EDV-Systeme sind bei den deutschen Kassenärzten im Einsatz.Nicht wenige davon gibt es nur ein einziges Mal in ganz Deutschland. Inder Installationsstatistik-Anbieter finden sich immerhin noch 171 Einträge. Dieses Bild allerdings verzerrt die Wirklichkeit. Die CompuGroup mit ihren Tochterfirmen ist alleine für über 40.000 Installationen zuständig, rund 38 Prozent des Marktes. Docexpert kommt auf zwölf, MCS inklusive pie data auf knapp neun, Psyprax auf sechs und Frey ADV auf vier Prozent.
Zusammen decken die Top 5 fast siebzig Prozent des Marktes (nachInstallationen) ab. Die Top 15 kommen auf 85 Prozent. DieKonsolidierung der Branche läuft längst. Die CompuGroup hat schon vorJahren damit begonnen, Konkurrenten aufzukaufen. Andere Anbieter setzenauch auf Kooperationen. So hat die MCS AG nach der Übernahme von piedata kürzlich auf ihrer Hauptversammlung den GeschäftsbereichPraxiscomputer ausgegliedert, um hier Raum für ein Joint Venture zuschaffen. Ziel dürfte es sein, ein Gegengewicht zur übermächtigenCompuGroup zu bilden. Docexpert gilt als heißer Kandidat für diesePartnerschaft. Zehn kleinere Anbieter haben sich unterdessen unter demDach der Gemeinschaft Unabhängiger Softwarehäuser versammelt, vorallem, um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gemeinsamzu stemmen.
Die Abrechnung wird zum Treiber für die EDV-Modernisierung
Zu den einschneidenden Veränderungen, mit denen derzeit alleHersteller von Praxis-EDV-Systemen zu kämpfen haben, gehört diewachsende Vielfalt von extrabudgetären Vergütungsmodellen, die alleeine eigene Dokumentation und Abrechnung erforderlich machen. Das allesper Hand zu erledigen, scheint auf Dauer kaum praktikabel. Es werdendeswegen von den EDV-Herstellern wie von KV-Seite Anstrengungenunternommen, um die Abrechnungsprozesse EDV-technisch zu vereinfachen.Die EDV-Hersteller setzen hier auf Softwaremodule, mit denen Ärzteintegrierte Versorgungsverträge und Disease Management-Programmeverwalten und geeignete Patienten in ihrer Datenbank identifizierenkönnen. Ein Beispiel unter mehreren ist das IVMportalvon Docexpert, das Formulare bereit hält, automatischePlausibilitätsprüfungen anbietet und einen Gesamtüberblick über dieextrabudgetären Verträge einer Praxis verschafft.
Auch die "Abrechnung auf Knopfdruck", bei der auf den Versand einesDatenträgers zugunsten einer Online-Datenübertragung verzichtet wird,haben zumindest einige KV-Bezirke schon realisiert. "Von Ärzten wirddas bis jetzt aber eher zögerlich angenommen", sagt Stefan Kampe vonder KV Westfalen-Lippe. Rund zweihundert Ärzte hätten sich bisher für eine Nutzung des KV Safenet entschieden, bei dem sich Ärzte einen zertifizierten Provider auswählen können, über den sie dann eine Reihe von KV-Dienstennutzen können. "Die Online-Abrechnung beinhaltet auch, dass der ArztPrüfhinweise direkt zurück bekommt, die dann in den Praxis-EDV-Systemenangezeigt werden", so Kampe. Ärzte können über das Safenet außerdemDMP-Bögen versenden, die Meldungen für das Krebsregister NordrheinWestfalen erledigen und sogar mit anderen Safenet-Kollegen kostenlosper VoiceoverIP telefonieren. "Einige Mammographiezentren nutzen dasbereits", so Kampe. Die sind in Sachen IT ohnehin an vorderster Front:Sie setzen das Safenet auch ein, um digitale Mammographien zuversenden. Zum Teil übernimmt die KV auch gleich dieLangzeitarchivierung.
Das Datenschutzkreuz mit der Onlineanbindung
Das vom KV Safenet genutzte und auch in den Diskussionen um dieEinführung der elektronischen Gesundheitskarte favorisierteKonnektor-Modell eines "virtual private network" (VPN) ist nicht dereinzige Weg, mit dem eine Praxis-EDV sicher online gebracht werdenkann. Es geht nämlich auch ohne, wie die ursprünglich für Turbomedentwickelte und mittlerweile für alle CompuGroup-Systeme verfügbareKommunikationslösung ais.net (früher: Turbomed.net) zeigt. Ais.net istein Werkzeug für den direkten Datenaustausch zwischen Ärzten im Sinneeiner Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Genutzt wird dabei Chatroom-Technik,was gegenüber normalen E-Mails den Vorteil hat, dass die Information inder Praxis-EDV besser weiter verarbeitet werden können. Ais.netverzichtet auf das VPN und bekam dennoch ein Datenschutzgütesiegel des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutzin Schleswig-Holstein, aktuelle Firewall und Virenschutz vorausgesetzt.Es gibt allerdings nach wie vor Datenschützer, die es kategorischablehnen, einen Rechner, der Patientendaten trägt, ans Internet zuhängen. Ob das eine auf Dauer haltbare Position ist, erscheintzumindest fraglich. Die Alternative existiert seit Langem, nämlich diegute alte ISDN-Verbindung. Die zehn Firmen der GemeinschaftUnabhängiger Softwarehäuser setzen auf ISDN in ihrer GUSbox,die unter anderem die Leitungen für die elektronische Gesundheitskartebereit halten soll. Auch bei Kommunikationslösungen in Ärztenetzen istoft ISDN im Einsatz, etwa bei der zum Austausch von Befunden zwischenÄrzten eingesetztenComDox-Software von MCS (beziehungsweise pie data).
Am Horizont: Die Online-Praxis
Bei der Frage, wie intensiv künftige Arztpraxen im Netz präsent seinwerden, scheiden sich derzeit noch die Geister. "Für uns ist noch nichtersichtlich, für welchen Dienst eine Praxis dauerhaft online seinsoll", sagt etwa Gerhard Frey, Geschäftsführer der Frey ADV ("Quincy"). Eine interessante Antwort kam kürzlich von unerwarteter Stelle. Das Unternehmen ifap,das Arzneimitteldatenbanken für Praxis-EDV-Systeme anbietet, hat mitdem Programm i:fox erstmals ein Medikamentenmodul vorgestellt, daskünftig für komplexe individuelle Sicherheits-Checks über eine Flatrateauf einen Server zugreift. Gedacht ist beispielsweise an Kontrollen derMedikamentendosis bei Niereninsuffizienz, aber auch anKontraindikations-Checks auf Basis der medizinischen Daten derPraxis-EDV. Die Vorteile dieses Ansatzes: Die Praxis-EDV muss nichtständig nachgerüstet werden. Sämtliche Sicherheitsinformationen sindstets auf dem neuesten Stand. Und es kann für aufwändigere Checks aufvorhandene Webinstrumente zurück gegriffen werden, ohne dass auf demPraxisrechner irgendwelche zusätzlichen Installationen nötig sind. Istdie schöne neue Praxis-EDV-Welt also eine Online-Welt? Das letzte Wortist noch nicht gesprochen, aber es erscheint zunehmend plausibel.