Der Berg hat gekreißt und ein neues Eckpünktchen geboren. Spitzenvertreter der Koalition haben sich, wie es unisono heißt, auf einen "guten" Kompromiss in der Gesundheitsreform geeinigt. Was dabei rauskommt, muss geprüft werden, so Querulant Stoiber! Zweifel kommen auf und für Zeitbomben-Theoretiker ist es ein gefundenes Fressen.
Im Schatten der Gesundheitsreform
Für diejenigen, für die die Fehlgeburt der Gesundheitsreform der letzte Beweis der Reformunfähigkeit der großen Koalition ist, war eine Meldung von pressetext ein gefundenes Fressen. "Gesundheitsreform beschleunigt Bankrott" heißt es da, und weiterhin: "Von der Öffentlichkeit unbemerkt" findet sich im Eckpunktepapier der Satz: "Impfungen, sofern von der STIKO empfohlen, und Mutter-Vater-Kind-Kuren werden in Regel- und Pflichtleistungen überführt". Die daraus abgeleitete, absehbare Insolvenz der gesetzlichen Krankenkassen wird mit "knallharten" Fakten belegt. Beispielsweise für die HPV-Impfung (Humane Papillomaviren) gegen Gebärmutterhalskrebs - steckt noch in der Entscheidungsphase - werden mehrere Milliarden Euro hochgerechnet. Im Fadenkreuz der Verantwortlichen stehen die STIKO (Ständige Impfkommission) und die Pharmaindustrie, denen Vetternwirtschaft und Preistreiberei vorgeworfen wird. Der Leser, der eine Zeitbombe wittert, ist gern geneigt, der Argumentation mit Applaus zu folgen.
Verunglimpfung durch Impfgegner
Erste Verunsicherung kommt bei der für Oktober angekündigten Pressekonferenz der neu gegründeten "Aktionsgemeinschaft Impffreiheit" auf. Als Sprecher werden genannt: der Umweltmediziner und Vorsitzende der Partei "Unser Aufbruch", der Herausgeber der Zeitschrift "impf-report" und der Vorsitzende von Libertas & Sanitas e.V. und als Flankenschutz ein ehemaliger Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts - insgesamt die harte Liga der sektoid-verdächtigen Impfgegner. Die erste Vermutung, dass es sich um weltfremde Fanatiker handelt, wird durch das im Internet und in Buchform veröffentlichte Gedankengut erhärtet, beispielsweise mit "Impfen ist Gotteslästerung", erschienen im Klein-Klein-Verlag. Aber zugegeben, die erneute Verunglimpfung der Bevölkerung ist ein geschickter Schachzug unter Nutzung eines einzigen Satzes in dem Eckpunktepapier der Gesundheitsreform.
STIKO distanziert sich
Was sagt die STIKO am Robert-Koch-Institut, die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen (s. §20 des Infektionsschutzgesetzes) gibt, zu den Vorwürfen der Vetternwirtschaft? Gar nichts. Im Gegenteil, die Pressesprecherin weigert sich, Stellung zu nehmen. Auf das "Niveau dieser Scharlatane", die u.a. die Evolution negieren, müsse sich das Robert-Koch-Institut nicht begeben, heißt es. Schade!
Unterschiedliche Handhabung der STIKO-Empfehlungen
Unabhängig von der verwerflichen Panikmache der Impfgegner, bleibt die Frage, wie die gesetzlichen Krankenkassen, die Ärzte und die STIKO die Überführung von Impfungen in Regel- und Pflichtleistungen bewerten. Bisher werden Impfungen, die im epidemiologischen Bulletin der STIKO veröffentlicht werden, von den Landesgesundheitsbehörden "öffentlich empfohlen", so im Ratgeber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein nachzulesen. Die einzelnen Krankenkassen müssen dann innerhalb von vier Monaten auf Länderebene entscheiden, ob sie der Empfehlung der STIKO folgen und die Impfung in ihren Leistungskatalog aufnehmen. Das führt teilweise dazu, dass abhängig von der Kassenzugehörigkeit geimpft wird oder auch nicht und dass dies auch noch je nach Bundesland unterschiedlich sein kann.
Entflechtung des Flickenteppichs gefordert
Der Berufsverband der Kinder-und Jugendärzte fordert daher seit vielen Jahren eine einheitliche, durchgängige Verpflichtung für den Impfschutz. Es gibt keine wirksamere Primärprävention, so der Vorsitzende des Länderrates Dr. Thomas Fischbach. Unabhängig davon, dass Kindern schlimme Krankheiten erspart bleiben, würden die Statistiken nachvollziehbar belegen, dass Impfen weniger kostet als die medizinische Behandlung. Das klingt human und ökonomisch vernünftig.
Hervorragende Prävention bereits umgesetzt
Auch bei den Krankenkassen bricht beim Thema Pflichtleistung von Impfungen keine Panik aus. Von der AOK Rheinland/Hamburg beispielsweise erfährt man, dass es eine vertragliche Vereinbarung mit den KVen gibt, in der die Übernahme aller von der STIKO empfohlenen Impfungen geregelt ist. Die "hervorragende" Prävention ist bereits umgesetzt, heißt es aus der Presseabteilung. Von Bankrott keine Rede. Auch für die STIKO ist die Gesundheitsreform kein Thema, so die Stellungnahme auf die Frage, ob sich etwas für die Kommission ändern wird. Sie habe den eindeutigen Auftrag des Gesundheitsministeriums, eine Bewertung nach medizinischen Notwendigkeiten auf der Grundlage von epidemiologischen, klinischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen abzugeben. Fazit: Die Impfgegner haben offensichtlich auf das falsche Pferd gesetzt. Das heißt aber nicht, dass alle Zeitbomben entschärft sind. Die Krankenhäuser beispielsweise sind bereits auf Konfrontations-Kurs vorbereitet.