Die USA rüsten auf: Nahezu unbemerkt hat sich die amerikanische Regierung aufgemacht, ihre Strategie für das 21. Jahrhundert neu zu überdenken - in der Arzneimittelforschung. Während der Rest der Welt klinische Studien nach altbewährtem Muster entwickelt, schickt sich die FDA seit nunmehr 2001 an, US-Unternehmen zum Umdenken zu bewegen.
Krebsmittel die besser wirken, wirksamere Cholesterinsenker, optimalereSchmerzpräparate - all das könnte in Zukunft schneller in den Regalender Apotheken zu finden sein, wenn sich das in den USA kreierte Prinzipder "adaptiven Studien" durchsetzt. Der Clou: im Vergleich zumherkömmlichen Design werden bei den so genannten adaptive trialsdie Probandengruppen flexibel behandelt - zum Nutzen der Patienten.
Adaptive Studienentwürfe, so die innovative Überlegung derPharmaexperten, ermöglichen die Verwendung von Informationen, die auslaufenden Studien gewonnen wurden - um eine laufende klinische Studiequasi in Echtzeit zu verfeinern, um auf diese Weise die Erfolgsratendeutlich zu verbessern. Zudem können nach dem Prinzip der adaptivetrials erfolglose Studien zu einem früheren Zeitpunkt identifiziertund abgeändert oder eingestellt werden.
Neue Ära für klinische Studien
Was auf ersten Blick trivial klingt, hat es in sich. Bislang könnenklinische Studien nach Beginn nicht mehr modifiziert werden. DieseVorgehensweise führt mitunter nicht nur zur Ineffizienz. Auch dieKosten für die Entwicklung schießen oft umsonst in die Höhe - am Endeerblickt kein Präparat das Licht der Welt.
Als geradezu besorgniserregend erweist sich bei den seit nunmehr 50Jahre alten Designs die hohe Fehlerquote - und auch der Rest der Bilanzist mehr als ernüchternd, wie das Fachmagazin JAMA unlängst aufzählte.So gelangen nur acht Prozent aller Medikamentkandidaten einerklinischen Phase I - Studie auf den Markt. Noch vor 15 Jahren lag dieseQuote bei 15 Prozent. Dabei ist das erst die Spitze des Eisbergs. "AmEnde einer Phase 3 Studie haben wir eine Menge Zeit, Geld und Patienteninvestiert, die Abbruchrate liegt aber trotzdem bei 50 Prozent",erklärt Janet Woodcock von der amerikanischen Zulassungsbehörde Foodand Drug Administration (FDA) das Dilemma. Noch vor einem Jahrzehnt lagdiese Rate bei lediglich 20 Prozent. Angesichts solcherHorrorstatistiken entschloss sich die FDA zur US-Offensive, und rief imJahr 2001 die Critical Path Initiative ins Leben - seitdem zähltdie neue Ära der flexiblen klinischen Studien.
Für Apotheker steigende Umsätze?
Tatsächlich haben diese das Potenzial, den klinischen Prozess radikalzu verändern. Aus Sicht von Ärzten und Patienten eine vielversprechende Alternative zu den in den USA mittlerweile als Dinosgebrandmarkten Studiendesigns der Vergangenheit. Denn die neuenPräparate kämen deutlich schneller auf dem Markt. Auch für Unternehmeneine interessante Option, denn schlanke Verfahren könnten dieEntwicklungskosten senken. Für Apotheker wiederum bedeuten neue,innovative Präparate zumindest hierzulande zunächst mehr Umsatz -Generika hierzu gäbe es es so schnell nicht.
Damit alles so kommt, wie es sich die US-Behörden wünschen, setzen dieForscher auf die Tools des 21. Jahrhunderts: Genomik und Proteomik.Grundstein der adaptive trials ist nämlich die Beobachtung, dass einigePatienten durch ihre genetische Prädisposition schneller auf dieMedikamentkandidaten reagieren als andere. Wer es demnach schafft,bereits in einer Phase I jene Patienten herauszufiltern, die ohnehinnicht auf das Mittel reagieren, gewinnt wertvolle Zeit. Die zweite Säuleder adaptiven Studien besteht in der flexiblen Zusammensetzung derProbandengruppen: erweist sich während der Studienzeit das Mittel alspotent, verstärken die Forscher die Wirkstoff-Gruppe, während diePlacebo-Gruppe minimiert wird. Signifikante Unterschiede kommen aufdiese Weise schneller zum Tragen.
Jenseits des Atlantiks hat die Neue Zeit bereits vor der FDA-Offensivebegonnen. Der US-Biotechpionier Genentech beispielsweise gab an, dassdie Entwicklung seines Blockbusters Trastuzumab ohne Einsatz dergenetischen Vorabfilter in der Phase 3 rund 11.000Brustkrebspatientinnen erfordert hätte. Weil Genentech aber auf Grundder Molekulardaten seines Wirkstoffkandidaten nur solche Frauen in dieStudie aufnahm, die eine Überexpression des Proteins HER 2 aufwiesen,ging es schneller voran. Der Clou: Zwar kommt der Eiweißstoff auch beigesunden Frauen vor, doch Krebszellen enthalten bis zu 30 Prozent mehrder HER 2-Rezeptoren, die gewissermaßen als Erkennungsanker für dasMedikament fungieren. Auf diese Weise reichten 469 Probandinnen mitfortgeschrittenem Brustkrebs für die klinische Studie der Phase 3aus. Denn das Wirkstoffmolekül benötigt HER2 zum Andocken. Doch wer dasProtein nicht überexprimiert, hat keinen Brustkrebs im fortgeschrittenenStadium - und würde daher mit diesem Wirkstoff umsonst behandelt.