Sie sehen aus wie ganz normale Zellen. Doch sie haben es faustdick hinter den Ohren. In einer neuen Gentherapiestudie haben Ärzte fünf HIV-Infizierte mit genetisch veränderten T-Zellen beladen. Mit nur einer Infusion gab es erstaunlich dauerhafte Effekte.
Als vor mittlerweile knapp drei Jahren an der Universität von Pennsylvania jeweils zehn Milliarden CD4-positiver, gentherapeutisch behandelter T-Zellen per Infusion in die Adern von insgesamt fünf HIV-Infizierten gekippt wurden, hatten diese Menschen schon eine therapeutische Odyssee hinter sich. Auf mindestens zwei antiretrovirale Kombinationstherapien hatten die Patienten zuvor nicht angesprochen. Sie hatten mindestens 5000 Kopien HIV-RNA in jedem Milliliter Serum, und dazu nur noch zwischen 200 und 500 T-Zellen pro Milliliter Blut. Heute, zwei bis drei Jahre später, sind die fünf, immerhin, noch am Leben.
Hat HIV einen verkappten Ödipus-Komplex?
Seit in den neunziger Jahren die hochaktive antiretrovirale Therapie entwickelt wurde, hat es trotz weltweit milliardenschwerer Forschungsprogramme keinen weiteren therapeutischen Durchbruch mehr bei der Behandlung von HIV-Infizierten gegeben. Versuche, eine Impfung gegen HIV zu entwickeln, sind reihenweise gescheitert. Die Elimination des einmal im Körper ansässigen Virus bleibt weiter ein frommer Wunsch. Zwar ist die antiretrovirale Therapie eine der größten Erfolgsgeschichten der modernen Medizin. Doch trotzdem gibt es Patienten, bei denen die ganze Armada der AIDS-Medikamente irgendwann aufgebraucht ist, Patienten, bei denen einfach nichts mehr hilft. Genau für diese Menschen hat das Ärzteteam um Bruce Levine aus Philadelphia eine Gentherapiestrategie entwickelt, die Erinnerungen an die Ilias weckt. Körpereigene, CD4-positive T-Helfer-Zellen wurden den Patienten entnommen und außerhalb des Körpers vermehrt. Die Zellen erhielten dann eine Gentherapie, bevor sie Trojanischen Pferden nicht unähnlich re-infundiert wurden. Zum Einsatz kam dabei ein so genannter Lentivektor, der sich in das Genom der Zielzellen integriert und dort konspirativ tätig wird. Die Forscher bekämpften dabei Gleich mit Gleich: Der Lentivektor war nämlich eine HIV-Mutante, die sich dem Genom der Immunzellen anschmiegt und dort die Produktion von Antisensemolekülen koordiniert. Diese interferieren mit der Vermehrung der echten HI-Viren, indem sie die Synthese von HIV-envelope-Proteinen blockieren. Auf diese Weise soll die Ausbreitung des Virus gehemmt werden. Vom Standpunkt des HI-Virus aus betrachtet ist die Sache also geradezu freudianisch: Fleisch vom eigenen Fleische richtet sich nach externer Indoktrination durch den fiesen Molekularbiologen gegen die eigenen Eltern.
Viraler Stillstand nach nur einer Infusion
Vom Patientenstandpunkt aus betrachtet ist die gewaltsame Abkopplung des HI-Virus von seinen Eltern durchaus zu begrüßen. Die Daten zur Effektivität sprechen zumindest für weitere Versuche in derselben Richtung. So blieb die Viruslast bei allen Patienten entweder stabil oder sank ab. Bei einem der fünf Patienten kam es sogar zu einem deutlichen Abfall dieses Parameters, der dann auch von Dauer war. Ob das eine Folge des Gentransfers ist, darauf wollen sich die Wissenschaftler allerdings noch nicht einhundertprozentig festlegen. Theoretisch wäre es nämlich auch denkbar, dass die T-Zell-Infusion selbst das Immunsystem wieder angetrieben hat. Dies sei allerdings bei früheren Studien, in denen nicht genetisch veränderte T-Zellen transfundiert wurden, nie beobachtet worden, so Levine. Seitens der zellulären Antwort kam es zumindest bei vier der fünf Patienten nicht zu einer weiteren Verringerung bei den CD4-positiven Zellen. Bei drei dieser vier Patienten verbesserte sich auch die Situation bei den T-Gedächtniszellen.
Schonende Lentiviren? Kein Krebs nach knapp drei Jahren
Die Gentherapieerfahrungen der Universität von Pennsylvania machen aber vor allem deswegen Mut, weil die bisherigen Daten zur Verträglichkeit der Therapie gut aussehen, und das nach immerhin zwei bis drei Jahren Nachbeobachtungszeit. Da auf Blutzellen gerichtete Gentherapien bekanntlich Krebs auslösen können, ist so ein Ergebnis schon fast die halbe Miete. "Bis heute wurde die Infusion von allen Patienten gut toleriert", unterstreicht Levine, der über die Studie in den Proceedings of the National Academy of Sciences berichtet. Hinweise für Mutationen, die auf den Gentransfer zurückzuführen seien, gebe es bisher nicht. "Bei Gentransfers in Stammzellen lag die Latenzperiode allerdings bei drei Jahren, bevor die Probleme klinisch evident wurden. Die Patienten müssen deswegen noch länger nachverfolgt werden, um die Sicherheit abschließend zu beurteilen". Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA sieht das ähnlich und verknüpfte die Zustimmung zu der Studie mit der Verpflichtung, die Patienten satte 15 Jahre lang jährlich zu kontrollieren. Auf jeden Fall sind die bisherigen Ergebnisse für eine Pilotstudie schon ganz beachtlich. Entsprechend wurde mittlerweile eine von dem Vektorhersteller VIRxSYS finanzierte Nachfolgestudie bei den National Institutes of Health registriert, die überprüfen soll, was passiert, wenn statt einer mehrere Infusionen gegeben werden. Dieser erste Schritt in Richtung Dauertherapie wird die Nagelprobe hinsichtlich der Wirksamkeit des Verfahren sein.