Roboterarme mit Gedanken zu steuern, das war bisher die große Vision von Neuro-Ingenieuren. Doch es geht auch anders: Statt einen Computer Blechprothesen bedienen zu lassen, kommen Neurochips jetzt als elektronischer Hirnbypass zu neuen Ehren.
Die Bilder von Menschen, die mit obskuren Kopfbedeckungen vor Monitoren sitzen und ohne Einsatz ihres Körpers am Bildschirm Ping-Pong spielen, sind um die Welt gegangen. Zumindest einige Arbeitsgruppen, darunter mehrere in Deutschland und Österreich, haben die Technik des Brain-Computer-Interface (BCI) so weit voran getrieben, dass Menschen mit Lähmungen schon heute davon ganz konkret profitieren. Die Berliner, die Grazer und die Tübinger BCI-Forscher nutzen dabei vor allem EEG-Signale. Entsprechendes Training vorausgesetzt, können Patienten mit Querschnittlähmung oder amyotropher Lateralsklerose zumindest in einigen Fällen allein mit der Kraft der Gedanken Computer bedienen, was den Alltag enorm erleichtern kann. Die Bedienung von Prothesen, das hehre Ziel der BCI-Forschung, steckt allerdings noch in den Kinderschuhen.
Warum in die Ferne schweifen?
Aber müssen es immer Roboterarme sein? Bei Patienten mit primären Muskelerkrankungen sind sie zweifellos die einzige Option, wenn die körperlichen Funktionen wieder hergestellt werden sollen. Wenn das Problem aber neurogen ist, dann verfügen die Betroffenen zumindest anfangs noch über prinzipiell funktionierende Gliedmaßen. Hier setzen Wissenschaftler von der Universität Washington und vom Nationalen Primatenforschungszentrum in Washington an. Statt elektrische Potenziale oder EEG-Kurven abzuleiten und in Rechner zu füttern, nutzen sie die Signale lieber, um sie wieder direkt in das Nervensystem zurück zu leiten. Das Ziel: Defekte Areale sollen durch eine Art Hirn-Bypass, Neurochip genannt, umschifft werden. "Der Neurochip zeichnet die Aktivität von Zellen im Motorkortex auf", erläutert der Physiologe Professor Eberhard Fetz, der die Arbeiten leitet. "Er kann diese Aktivität in einen Stimulus umwandeln, der direkt zurück geschickt wird ins Gehirn, ins Rückenmark oder auch in den Muskel. Dadurch wird also eine künstliche motorische Bahn aufgebaut."
In ihren jetzt in der Zeitschrift Nature publizierten Untersuchungen haben die Wissenschaftler gesunde Affen eingesetzt, bei denen sie den Neurochip implantiert haben. Die ganz normalen Hirnsignale während ganz alltäglicher Aktivitäten der Versuchstiere wurden an einer Stelle des Motorkortex aufgezeichnet, vom Neurochip weiter geleitet und dann an einer anderen Stelle des Motorkortex wieder eingespeist. Mit Hilfe eines Verfahrens, das intrakortikale Mikrostimulation (ICMS) genannt wird, haben die Forscher dann untersucht, ob durch diesen Aufbau tatsächlich neue Leitungsmuster im Gehirn entstehen.
Einmal hin, einmal her, rund herum das ist nicht schwer.
Tatsächlich gelang der entsprechende Nachweis von durch den Bypass hervorgerufenen, neuroplastischen Veränderungen durchaus spektakulär, auch wenn man bei diesem Versuchsaufbau nicht unbedingt der Affe sein möchte. Wurde mit der ICMS-Apparatur in jenem Bereich stimuliert, in dem die aufzeichnenden Elektroden lagen, dann drehte sich der Arm des Affen in die eine Richtung. Wurde dort stimuliert, wo die Elektroden lagen, die die elektrischen Impulse wieder ins Gehirn fütterten, drehte sich der Affenarm in die andere Richtung. Das war bevor der Bypass scharf geschaltet wurde. Nachdem die Tiere 24 Stunden lang mit aktivem Neurochip durch die Käfige gehüpft waren, sah die Sache anders aus: Die Armbewegung, die durch ICMS an der Stelle ausgelöst wurde, wo die stimulierenden Elektroden lagen, ähnelte plötzlich jener im Ausgangsareal. "Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass neuronale Verbindungen, die vorher nicht so aktiv waren, durch den Bypass verstärkt wurden", so die Wissenschaftler.
Besonders ermutigend war, dass die Veränderungen nicht nur kurzfristig zu beobachten waren. Nachdem der Bypass abgeschaltet wurde, hielten sie immerhin für mehr als eine Woche an. Die entscheidende Frage ist jetzt natürlich, ob ein solches "Umleiten" der Hirnströme auch dann gelingt, wenn bereits ein für die Durchführung einer bestimmten motorischen Aktivität entscheidendes Hirn- oder Rückenmarksareal zerstört ist. Diesen Nachweis haben die Wissenschaftler noch nicht erbracht. In jedem Fall wäre es wohl ein Wettlauf mit der Zeit. Denn die von der normalen Hirnfunktion abgetrennten Bereiche verändern sich im Laufe der Regenerationsprozesse, was natürlich Einfluss auf die Stimulierbarkeit haben könnte. Aber auch wenn die klinisch einsetzbare Hirnprothese noch nicht unmittelbar vor der Tür steht: Zumindest neue Erkenntnisse über die Neurophysiologie von Lernprozessen könnten sich mit der Bypass-Technik gewinnen lassen.