Kolumbien - ein Land, das alles bietet, was man in Deutschland nur selten findet: verbleites Benzin, zuckersüße Mangos, waffenstarrende Guerillas und gefährlich schöne Frauen. Immerhin haben wir das bessere Gesundheitssystem. Oder nicht mal das? Eine Vor-Ort-Recherche.
In der flirrenden Mittagshitze erwartet mich mit César Daza Dúez vor einer Kathedrale, die mehr an einen Hostien-Discounter als an eine Kirche erinnert. Ich befinde mich in Valledupar, einer lebhaften Provinzhauptstadt am Fuße der Sierra Nevada de Santa Marta im Norden Kolumbiens. Die Stadt, deren rund 400.000 Einwohner sich stolz "Vallenatos" nennen, ist in der Region für drei Dinge berühmt: ihre mitreißende Musik, ihre Kühe und ihre illegale Schutz- und Drogentruppe, die "Paramilitares".
Aber auf meinem Recherchezettel steht nicht das illegale Grünzeug im Hinterland, sondern etwas ganz Triviales: Die Gesundheitsversorgung. Im Hospital Eduardo Arredondo Daza in einem der ärmeren Stadtviertel Valledupars habe ich Gelegenheit, mir ein Bild zu machen. Auf den ersten Blick überraschend: Das Gesundheitssystem Kolumbiens unterscheidet sich gar nicht so sehr von unserem. Und es ist deutlich besser als der zweifelhafte Ruf des Landes. Es gibt Krankenkassen, die "Entidades Prestadoras de Salud" (EPS), es gibt Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile ("Regimen contibutivo") und es gibt ein staatliches Versorgungssystem für die ärmere Bevölkerung ("Regimen subsidiado").
Ärzte im Schichtbetrieb
Arm - diese Bezeichnung trifft in einem Land, dessen Mindestlohn bei rund 200 US$ im Monat liegt, auf rund ¼ der Bevölkerung zu. So wundert es nicht, dass im Eingangsbereich der städtischen Klinik dichtes Gedränge herrscht. Hier ist eine Anlaufstelle für alle, die keine Absicherung durch eine Krankenversicherung besitzen. Das Hospital - eine Mischung aus Ambulanz und Tagesklinik - verfügt über rund 30 Betten für klinische Kurzaufenthalte und deckt die gesamte medizinische Primärversorgung ab. Rund 13 Millionen US$ jährlich lässt sich die Kommune diese Einrichtung kosten, in der 10 Ärzte und 8 Zahnärzte in 2 Schichten Dienst schieben. Im Kampf gegen Magen-Darm-Infektionen, Atemwegserkrankungen und hier und da mal das Dengue-Fieber. Schwierigere Fälle werden in die größere städtische Klinik verlegt.
Die 2006 generalüberholte Einrichtung besitzt neben zahlreichen modernen Behandlungsräumen ein eigenes, gut ausgerüstetes Labor, einen OP für kleinere chirurgische Eingriffe und 2 Kreißsäle. Und dort ist jede Menge los: Rund 10 Geburten pro Tag sorgen für einen regen Dauerbetrieb. Da zur Zeit eine andere Einrichtung bestreikt wird, hat der Klapperstorch Hochkonjunktur: Gestern, so berichtet mir der Verwaltungsleiter stolz, haben hier 30 Erdenbürger das Licht der Welt erblickt. Durchschnittalter der Mütter: 17 Jahre. Respekt. Wer als Student einmal eine Nabelschnur live durchtrennen will, sollte seine Famulatur hier machen. Allein deswegen, weil die Geburten nicht von Gynäkologen, sondern von praktischen Ärzten begleitet werden.
Krankenhaus mit Suite
Szenenwechsel. In das privatwirtschaftliche Gesundheitssystem führt mich der Gynäkologe Dr. Pumarejo ein, eine lokale Legende, der in seinen rund 50 Berufsjahren wohl an die 8.000 Geburten durchgeführt hat (Originalton: "Mas o menos"). Dabei hat er es auf 258 Patenkinder gebracht - wahrscheinlich ein Fall für das Guiness-Buch der Rekorde. Auch mit 81 Jahren praktiziert er noch, das Operieren überlässt er jedoch mittlerweile den jüngeren Kollegen. Als ich ihm von der Altersbeschränkung für Kassenärzte in Deutschland erzähle, schaut er mich mitleidig an.
Pumarejo ist einer von 25 Teilhabern der größten Privatklinik in Valledupar. Mit Atem beraubenden Tempo gleitet er mit seinem japanischen Geländewagen durch den dichten Nachmittagsverkehr und hupt erstmal energisch eine Ambulanz aus der Klinikeinfahrt. "Nur weil das ein Krankenwagen ist, darf er hier noch lange nicht blöd im Weg herumstehen.", meint er trocken.
Die Clinica Valledupar verfügt über 4 Op-Säle, 110 Betten und 3 "Suites", in denen auch Angehörige der Patienten mitübernachten können. Die Familie wird in Kolumbien auch im Krankenhaus groß geschrieben. Und offensichtlich auch der Komfort. Die Zimmer sind picobello - Flatpanel-TV, Klimaanlage - da könnte sich manches Krankenhaus in Deutschland eine Scheibe abschneiden. Medizinisch wird durch die angestellten Ärzte, 35 "Generales" und 39 Fachärzte, fast alles bedient - vom Keuchhusten bis zum dreifachen Bypass .
Für eine Handvoll Dollars
In einem pragmatisch engen Büro treffe ich auf den kaufmännischen Geschäftsführer der Klinik, Sergio Brand. Er verkündet mir stolz die Umsatzzahlen des prosperierenden Gesundheitsunternehmens, das gerade einen neuen Gebäudeflügel eröffnet: Rund 6,8 Mio US$ hat die Klinik in 2006 erwirtschaftet. Man behandelt Privatpatienten ("Prepagados") und hat Verträge mit fast allen EPSen. Die Clinica Valledupar ist außerdem wie alle anderen privaten Gesundheitsdienstleister verpflichtet, im Rahmen der Notfallbehandlung auch nicht-versicherte und bedürftige Patienten ("Vinculados") zu behandeln. Die dabei entstehenden Behandlungskosten werden aus dem staatlichen Solidarfond FOSIGA erstattet - zumindest teilweise.
Interessant ist das Gehaltsgefüge der Klinik: Das Durchschnittseinkommen eines Praktikers beträgt nur rund 2.000.000 Pesos, umgerechnet etwa 1.000 US$ pro Monat - das dürfte deutsche Ärzte kaum ermuntern nach Südamerika zu emigrieren. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass die Lebenshaltungskosten in Kolumbien deutlich niedriger liegen als bei uns. Spezialisten verdienen besser und dürfen mit 3.000 - 5.000 US$ nach Hause gehen. Das monatliche Salär einer Krankenschwester liegt je nach Ausbildungsgrad zwischen 400 und 700 US$.
Der Stimmung in der Klinik scheint das keinen Abbruch zu tun: Selten habe ich so viele freundliche Gesichter in einem Krankenhaus gesehen. Hier scheint Gesundheit noch Spaß zu machen.