Henry Ford setzte als erster das Flussprinzip um - mit der enorm zeit- und kostensparenden FlieHenry Ford setzte als erster das Flussprinzip um - mit der enorm zeit- und kostensparenden Fließbandfertigung. Hundert Jahre später hat erstmals eine Krankenhauskette, die Rhön Klinikum AG, dieses Prinzip zum Motor ihrer Rationalisierungsmaßnahmen erklärt. Tradierte Hierarchien haben hier wenig Platz. Stirbt der Chefarzt also aus?
Mindestens seit Einführung der Fallpauschalen, den so genannten DRGs, sind ganze Armaden von Unternehmensberatern, Gesundheits-Ökonomen, Forschungs-Instituten, etc. mit der Neuausrichtung von Krankenhäusern beschäftigt. Wegweisend bei der Umsetzung in puncto Rationalisierung und mehr Wirtschaftlichkeit waren schon immer die privaten Kliniken. Das Denken in Kategorien wie ärztliche Arbeitsteilung, interdisziplinäre Abteilungsstrukturen, Prozessorganisation oder Workflow-Management kommt über diesen Weg zunehmend auch in den öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern an, mit einem Unterschied - sie müssen weitaus mehr gegen betonierte Machtstrukturen kämpfen. Ob allerdings die "Industrialisierung", wie es Diplom-Kaufmann Wolfgang Pföhler, Vorstandsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG, nennt, nicht auch bei den eigenen Ärzten zu heftigen Widerständen führen wird, muss abgwartet werden. Im Mittelpunkt des kontrovers diskutierten Rhön-Szenarios steht die funktionale ärztliche Arbeitsteilung mit vier neuen Arzttypen. Die klassische Chefarztpyramide soll damit neuen Führungspositionen und Verantwortungsbereichen weichen.
Neue Führungsfunktionen ohne Chefarztposten
Laut Wolfgang Pföhler wird der Klinikarzt der Zukunft eine der vier Führungsfunktionen übernehmen: 1. als personenbezogener Berater, der die Patientenführung in der Klinik von der Aufnahme bis zur Entlassung übernimmt. Als Qualifikation reiche die des Allgemeinmediziners, allerdings mit hohen Anforderungen an die Sozialkompetenz. 2. als Spezialist für fachlich hochqualifizierte Einzelfunktionen, wie etwa Herzkatheter-Untersuchungen oder komplizierte Operationen. Er wird von allen vor- und nachgelagerten Aufgaben entbunden sein. Die Konzentration auf bestimmte Eingriffe werde sich positiv auf die Outcome-Qualität auswirken, so Wolfgang Pföhler. 3. als Systembetreuer für die Gesamtprozessoptimierung. Seine Aufgabe soll von der Bettenbelegung, der OP-Ausnutzung bis zur Sicherstellung des permanenten Zugriffs auf Patientendaten, sprich elektronische Patientenakte, reichen. Die Funktion des Systembetreuers könne auch ein Oberarzt mit Organisationstalent einnehmen. Oder 4. als Beratungsspezialist für die Einholung von Zweitmeinungen, um Diagnose und Therapie zu verbessern. Und was bleibt da für den Chefarzt mit heutigem Verständnis?Neben den vier Arzttypen macht sich Wolfgang Pföhler noch für ein weiteres neues Berufsbild stark. Der Arzt-Assistent für Patientenmanagement, kurz AAP, soll nicht-ärztliche Tätigkeiten ausführen, wie Dokumentation, Kodierung und Schreib- und Organisationsaufgaben. Er soll zu einer nachhaltigen Entlastung der ärztlichen Mitarbeiter beitragen - überlastete Kollegen dürften sich freuen.
Krankenhaus-Struktur steht insgesamt zur Disposition
So neu ist das Berufsbild des Arzt-Assistenten allerdings nicht. Es wurde bereits am Institut für Herz-Kreislaufforschung der Universität Witten-Herdecke eingeführt. Auch das Thema Prozessmanagement in Krankenhäusern steht seit Jahren auf der Angebotsliste der großen Beratungshäuser, wie beispielsweise bei PriceWaterhouseCoopers. Die Ziele ähneln sich, allein die Verpackung liest sich moderater. Auch hier geht es um neue Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche, um Standardisierung von Kernprozessen, um zielgerichtete Patientensteuerung und um bedarfsorientierte Ressourcenverteilung - aber kein Wort von Fließbandfertigung. Auch der Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Frank Ulrich Montgomery, kann an den beschriebenen vier Arzttypen nicht so viel Neues entdecken, befürchtet aber "Machtverschiebungen im Krankenhaus zu eigenen Gunsten". Michael Sander von der Lindauer Unternehmensberatung Terra Consulting befürwortet dagegen die Diskussion um neue Arzttypen im Rahmen von Lean Hospital Management. Er stellt sich aber auch die Frage, ob beispielsweise der "Key Accounter", der dem personenbezogenen Berater entspreche, ohne weiteres aus anderen Branchen auf ein Krankenhaus übertragbar ist. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass für viele Leistungsträger die heutige Krankenhaus-Struktur zur Disposition steht und Wolfgang Pföhler die Diskussion lediglich mit einem eigenen Modell angeheizt hat.
Neue Chefarzt-Rolle als Geschäftsgeheimnis
Das bestätigt auch Dr. Wolfgang Schröder, Chirurg an der Uniklinik in Köln und Vertreter der Oberärzte im Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC). "Es ist zur Zeit nur eines von vielen propagierten Modellen, wie das ärzliche Berufsbild insbesondere unter wirtschaftlichen Aspekten zu gestalten ist. Im Präsidium des BDC wird dieses Thema gerade intensiv aufgearbeitet und soll auch in Kürze in den Mitteilungen des BDC publiziert werden." Zu der Frage nach der zukünftigen Rolle des Chefarzts wollte er nicht Stellung nehmen, um die laufende Diskussion im BDC nicht vorweg zu nehmen. Auch aus dem Rhön-Klinikum kommt lediglich der Kommentar, dass es sich dabei um ein Geschäftsgeheimnis handelt. So bleibt letztlich nur das Zitat von Wolfgang Pföhler, dass Chefärzte lernen müssen, "bei Beibehaltung der bestehenden Letztverantwortung, bestimmte Aufgaben fallabschließend zu delegieren, sozusagen loszulassen, und sich von anderer Seite helfen zu lassen." Und letztlich die Frage, was denn eine Letztverantwortung sei?