Es gibt Schmerzsyndrome, die gesellschaftlich akzeptiert sind und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Patienten mit Fibromyalgie beispielsweise ernten wenig Verständnis. Zwar hat ihnen die moderne Apparatemedizin das Stigma des Simulanten genommen. Aber als "Psychos" gelten sie immer noch. Auch deswegen, weil Ärzte sich nicht zu helfen wissen.
"Hilfeeeee: seit 12 Jahren Schmerzen" - "Kann mir jemand helfen? Ich weiß nicht mehr weiter..." - "Warum?" - Selbst wer sich nur die Titel der Beiträge im gut besuchten Internetforum von Fibromyalgie-aktuell ansieht, begreift, dass hier Menschen leiden. Die Fibromyalgie ist eine chronische Schmerzerkrankung, wie sie im Buche steht. Und doch ist einiges anders.
Hilflose Ärzte, stumpfe Waffen
Wer chronischen Rückenschmerz oder chronische Arthrosebeschwerden mit sich herumträgt, für den ist das natürlich auch kein Vergnügen. Doch die Gesellschaft achtet diese Schmerzen in gewisser Weise. Sie gelten als Folge eines langen Arbeitslebens oder intensiver sportlicher Betätigung. Sie haben außerdem ein morphologisches Korrelat: Abgescheuerter Knorpel beziehungsweise die damit einher gehenden Knochenschäden lassen sich beim Osteoarthrosepatienten radiologisch nachweisen. Beim Rückenschmerzpatienten gibt es zumindest im Kernspin mitunter einen Prolaps des Nucleus pulposus, man findet verengte Foramina intervertebralia oder Zeichen von Zwischenwirbelgelenksproblemen. Nichts dergleichen gilt für die Fibromyalgie. Die moderne Bildgebung meldet in der Körperperipherie Normalbefunde aller Orten. Dort, wo die Schmerzen angegeben werden, ist nichts zu sehen. Schlimmer noch, die Standardwaffe der Inneren Medizin gegen chronische Schmerzen, das nicht-steroidale Antirheumatikum, bleibt stumpf. Ärzte, die einer Fibromyalgiepatientin gegenüber sitzen - und meistens sind es Frauen - zucken oft innerlich mit den Schultern. Sie testen die Schmerzmittelpalette durch, versuchen ihr Glück mit Antidepressiva und Antikonvulsiva und notieren ein "psychisch auffällig" in der Akte. Oft stimmt das auch, aber es hilft den Patientinnen natürlich nicht weiter. Und wer solche Einträge zu Gesicht bekommt, hat nachher auch nicht mehr Vertrauen zum Arzt als vorher.
Das Schmerzsystem ist aus dem Lot - nur den Grund kennt keiner
Immerhin: Dass Fibromyalgiepatienten als Simulanten abgekanzelt werden, ist selten geworden, seit die funktionelle Kernspinbildgebung zumindest Veränderungen der schmerzleitenden Bahnen im Gehirn nachweisen konnte: "Neurobiologische Studien zeigen, dass Fibromyalgiepatienten Abnormalitäten in zentralen Gehirnstrukturen aufweisen, die normalerweise für das Schmerzempfinden bei Gesunden zuständig sind", sagt Daniel Clauw von der Klinik für Rheumatologie der Universität Michigan. Mit seiner Forschung hat er in den letzten zehn Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass die meisten Ärzte heute zumindest anerkennen, dass die von Fibromyalgiepatienten beschriebenen Schmerzen echt sind. Auch Laborbefunde deuten in diese Richtung: In der Rückenmarksflüssigkeit wird bei vielen Fibromyalgiepatientinnen eine oft beträchtliche Erhöhung der Konzentration von Substanz P nachgewiesen. "Das lässt die Fibromyalgie auch im Formenkreis psychiatrischer Krankheitsbilder eine Sonderstellung einnehmen, welche sie biochemisch von anderen chronischen Schmerzkrankheiten und auch von der Depression abgrenzt", unterstreicht Professor Dieter Pongratz von der Neurologischen Klinik der LMU München. Pongratz setzt sich auch bei der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke für die Fibromyalgie ein und hat kürzlich ein aktuelles Standpunktpapier zum Thema vorgelegt. Allerdings: Weder die fMRT noch die Liquorpunktion sind Verfahren, auf die der Arzt für die Fibromyalgiediagnostik routinemäßig zurückgreifen kann. Die Fibromyalgie bleibt eine Ausschlussdiagnose. Der Schmerz an den bekannten 18 Triggerpunkten erlaubt nur dann die Diagnose, wenn nichts sonst die Beschwerden erklären kann. Dann sollte die Diagnose aber auch zügig gestellt werden, um den Betroffenen jahre- oder jahrzehntelange Ungewissheit zu ersparen: "Ein Fehler in der Vergangenheit war es, mit Feststellungen wie 'weitgehender Ausschluss einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung' die Art des Beschwerdebilds über Jahre offen zu halten", so Pongratz. "Dadurch entstand beim Kranken der Eindruck, eine große Zahl von Fachleuten wisse nicht, was ihm fehle, mit anderen Worten, es liege eine völlig rätselhafte Störung vor."
Gute Nachrichten für Warmduscher
Nicht als Spinner betrachtet zu werden, ist schon mal besser als nichts. Aber letztlich wäre das, was Fibromyalgie-Patientinnen wirklich bräuchten, eine vernünftige Behandlung. Hier sieht es bisher trübe aus: Bis heute gibt es kein Medikament, das aufgrund plazebokontrollierter Doppelblindstudien spezifisch für die Behandlung bei Fibromyalgie zugelassen wäre. Was nicht heißt, dass es überhaupt keine Evidenz gibt. Die Europäische Rheumaliga hat in einer neuen Therapieleitlinie kürzlich alle Informationen zusammen getragen. Die Leitlinie wurde im vergangenen Jahr auf dem Jahreskongress EULAR 2006 präsentiert und soll demnächst veröffentlicht werden. Ein Schwerpunkt der Empfehlungen liegt auf physikalischen Therapieverfahren: "Es gibt starke Hinweise darauf, dass eine physikalische Therapie im beheizten Pool zusammen mit körperlicher Betätigung genauso gut ist wie alle pharmakologischen Verfahren", sagte Dr. Ernest Choy von der Klinik für Rheumatologie am King's College in London. Auch für die Wirksamkeit von reinem Krafttraining spreche einiges, wohingegen die kognitive Verhaltenstherapie von den Rheumatologen keine guten Noten erhält. Ein wenig besser schneide da schon das autogene Training ab, so Choy. Und bei den Pillen? Für Tramadol gibt es im Moment die meisten positiven Studiendaten. Auch andere schwach wirksame Opioide, Natriumkanal-Blocker wie Tolperison und das bekannte Paracetamol sind mögliche Optionen. Gute Erfahrungen machen Rheumatologen außerdem mit Antidepressiva wie Amitryptilin oder Fluoxetin und mit Antikonvulsiva wie Tropisetron oder Pregabalin. Auf noch schärfere Waffen sollte wenn möglich verzichtet werden: "Von stark wirksamen Opioiden und von Kortikoiden raten wir ab", so Choy in Amsterdam.