Die Veröffentlichung in "Proceedings of the National Academy of Sciences" sorgt für Aufsehen: Humaner Speichel enthält den Wunderwirkstoff Opiorphin, als natürliches Schmerzmittel rund sechs Mal stärker als Morphium. Medikamente, die Schmerzen besser tilgen aber nicht süchtig machen, scheinen realisierbar. Nur ein Mosaikstein im Bild der neuen Therapien.
Tatsächlich sind die Ergebnisse laut dem französischen Institut Pasteur im Tierversuch vielversprechend. Schon ein Milligramm Opiorphinpro Kilogramm Körpergewicht reichte aus, um den künstlichherbeigeführten Schmerz bei Ratten ebenso schnell wie Morphiumverschwinden zu lassen. Offensichtlich wirkt Opiorphin in denNervenzellen der Wirbelsäule, indem es den Abbau der Enkephalinestoppt. Diese natürlichen Opiate verbleiben somit vermehrt imOrganismus - was zur weiteren Schmerzblockade beiträgt. Weil Opiorphinchemisch betrachtet ein durchweg schlichtes Molekül ist, ließe es sichauch relativ einfach synthetisieren. Der Speichel wäre damit alsArzneimittellieferant zwar überflüssig - aber immerhin der eigentlichePate der Präparate in spe.
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Aber Opiorphin ist nur einBeispiel dafür, dass das Arsenal der Schmerztherapie ständig wächst."Wir sind heute in der Lage, in der Mehrzahl aller FälleSchmerz-Patienten nachhaltig zu helfen, indem sie eine individuellabgestimmte, multidisziplinäre Schmerztherapie erhalten", sagt dazuHans Georg Kress von der Abteilung für Anaesthesiologie undIntensivmedizin mit Schmerzzentrum an der Medizinische Universität/AKH Wien.
Kress zufolge stehen modernste Behandlungskonzepte zur Verfügung, mitdenen meistens selbst stärkste Schmerzen wirksam gelindert werdenkönnten. Die Palette reiche von klassischen Antirheumatika, modernenCoxiben und Paracetamol über Cannabinoid- und unterschiedlicheOpioid-Schmerzmittel, Kombinationen von Opioiden und Nicht-Opioiden,oder Biologika (Zytokinantikörper bzw. Antagonisten) gegen entzündlicherheumatische Erkrankungen, bis hin zu Schmerzmittelpumpen und Verfahrenwie die Spinal Cord Stimulation,also die epidurale Nervenstimulation. Dazu kommen laut Kress, derMitglied im Executive Board der European Federation of the IASPChapters, IASP - International Association for the Study of Pain (EFIC)ist, andere Medikamententypen und die große Gruppe nicht-medikamentöserVerfahren in Betracht.
Ein Blick nach Österreich zeigt, dass es an innovativen Ideen nicht mangelt. So ist die synthetisch hergestellte Substanz Ziconotidedas erste Medikament auf Basis von Conotoxinen, dem Gift derKegelschnecke Conus magus. Die völlig neuartige Substanz zur Behandlungstärkster Schmerzen eignet sich für Patienten, bei denen auch dierückenmarksnahe Gabe von Morphin nicht ausreichend wirkt oder die unterzu starken Nebenwirkungen durch eine Therapie mit starken Opioidenleiden. Der Clou: Die Anwendung von Ziconotide erfolgt über einekontinuierliche rückenmarksnahe Infusion mit einer implantierbarenPumpe - es handelt sich Kress zufolge um "das erste wirklich neueAnalgetikum zur intrathekalen Therapie von starken chronischenSchmerzen"
Hilfe per Knopfdruck
Im Bereich der Opioide selbst wiederum machen neue Anwendungswege undApplikationsformen die Innovationen aus. So stehen zur postoperativenTherapie oder Behandlung von Durchbruchschmerzen so genannteFentanyl-Lutscher zur Verfügung: spezielle Sticks, die die Aufnahme vonFentanyl über die Mundschleimhaut ermöglichen und schon innerhalb vonfünf bis zehn Minuten eine wirksame Schmerzlinderung nach sich ziehen.
Ebenfalls medizintechnisch realisierbar ist die iontophoretische Abgabevon kleinen Fentanyldosen über ein eigens dazu entwickeltesPflastersystem. Das Elektrotransportsystem für Fentanyl (ETS), bei demdurch "Knopfdruck" mit Hilfe von Schwachstrom (170 µA) alle 10 Minuteneine definierte Fentanyldosis über die Haut in den Blutkreisaufabgegeben wird, kann am Oberarm oder Oberkörper des Patientenaufgeklebt werden. Dieser betätigt bei Schmerzen eine am Systembefindliche kleine Taste, über die der Stromkreis geschlossen wird.Insgesamt können aus dem scheckkartengroßen Pflaster bis zu 80Einzeldosen innerhalb 24 Stunden abgerufen werden. ETS könnte denWiener Schmerzexperten zufolge vor allem in der postoperativenSchmerztherapie Verwendung finden.
Die Kombination ist entscheidend
Nicht minder tricky erweist sich ein retardiertes Hydromorphon-Präparatmit neuer Galenik. Eine einzige Tablette pro Tag reicht hier aus, umüber einen Zeitraum von 24 Stunden gleichbleibende Wirkspiegel zuerzielen. Die konstanten Plasmaspiegel lassen Mediziner hoffen, dassDurchbruchschmerzen in Zukunft seltener auftreten könnten als beikürzer wirkenden Opioid-Zubereitungen.
In Erprobung ist derzeit auch eine neue Behandlungsmethode, die Patienten unter Opioid-Therapie die Nebenwirkung Obstipationerspart. Mit der Entwicklung des Wirkstoffs Alvimopan soll es baldmöglich sein, das Problem der Verstopfung erstmals ursächlich zutherapieren. Das Prinzip: Der Wirkstoff blockiert die im Darm zahlreichvorhandenen Opioid-Rezeptoren, womit Opiate keine dämpfende Wirkung aufdie Darmaktivität mehr ausüben können. Weil aber Alvimopan nicht dieBlut-Hirn-Schranke überwindet, hat dessen Einsatz keinen Einfluss aufdie zentrale Schmerzdämpfung. Eine Zulassung für den europäischen Marktfür die kausale Therapie bei Opiod-bedingter Obstipation wird für 2008erwartet. Wie komplex der Einsatz wirksamer Schmerztherapien ist,demonstriert ein weiteres Beispiel. Hohe Opioid-Anteile können beieiner Narkose postoperativ zu der so genannten opioid-induzierteHyperalgesie führen. Grund für diese paradoxe Schmerzreaktion istvermutlich die Destabilisierung von Opioid-Rezeptoren. Um diesenunerwünschten Effekt auszuhebeln, setzen viele Anästhesisten neuerdingsbei Narkosen auf Kombinationstherapien. So wirkt intravenösverabreichtes Paracetamol vorwiegend über eine zentrale Hemmung derProstaglandinsynthese. Opioide hingegen wirken direkt amOpioid-Rezeptor - doch erst im Doppelpack entfallen für den Patientendie unerwünschten Opioid-Nebenwirkungen wie Sedierung, Übelkeit oderErbrechen.
Ohnehin scheint die innovative Schmerztherapie der Zukunft nicht nurauf mehrere Wirkstoffe, sondern zunehmend auf mehrere Disziplinen zusetzen. So ergab eine Beobachtungsstudie an über 500.000 Patienten undmit Hilfe von 9.400 Prüfärzte unter den Namen "Modellvorhaben Akupunktur der 10 Ersatzkassen", dass Akupunktur Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen lindert - bei über 70 Prozent aller Patienten.