Neue Wege, Arzneimittel in den Körper zu verfrachten, gibt es immer wieder. Forscher des Fraunhofer-Instituts haben sich jetzt ein besonders skurriles Verfahren ausgedacht. Lesen Sie hier, warum Apothekenkunden künftig ihr Gebiss über den Tresen reichen werden.
Sie kennen das Problem: Ihre Kunden kommen alle paar Wochen in die Apotheke und holen sich ihre Dauermedikation ab. Mal sind zwei Wochen zwischen zwei Rezepten, mal sechs. Die Schlussfolgerung, dass irgendetwas mit der Compliance nicht stimmt, liegt nahe. Aber was kann der Apotheker schon tun?
Prothese aus pharmakologischer Indikation
In Zukunft eine ganze Menge: Zusammen mit dem behandelnden Arzt könnte er sich dazu entschließen, bei entsprechenden Patienten den benötigten Wirkstoff nicht mehr als Tablette oder Kapsel zu verabreichen, sondern durch den hohlen Zahn. Das ist jedenfalls der Plan von Wissenschaftlern, die vor einigen Jahren in einem von der EU unterstützten Konsortium zusammen gefunden haben. Sie begannen damit, eine Zahnprothese zu entwickeln, die nicht nur beißen kann, sondern auch noch Medikamente an die Mundschleimhaut abgibt. Das System wird in der kommenden Woche erstmals als Prototyp auf der Medizintechnikmesse MedTec in Stuttgart vorgestellt. "Die Zahnprothese besteht aus einem Reservoir, in dem sich das Medikament befindet, einem Ventil, zwei Sensoren sowie elektronischen Komponenten", sagt Projektleiter Dr. Oliver Scholz vom Fraunhofer-Institut IBMT in St. Ingbert. Über eine Membran sickert der Speichel in das Reservoir ein. Ein Teil des Medikaments wird gelöst, und das Ganze wird dann über einen Abflusskanal wieder zurück in den Mundraum befördert. "Hier werden die Wirkstoffe dann von den Schleimhäuten der Wangen aufgenommen", so Scholz. Einer der Vorteile dieser Prothese gegenüber ähnlichen, schon existierenden Modellen ist, dass sie relativ klein ist. Sie kann also nicht nur bei Menschen eingesetzt werden, bei denen die Dritten ohnehin schon traurige Realität sind. Zwei Zahnlücken nebeneinander reichen völlig aus, denn die Prothese kommt problemlos in zwei künstlichen Backenzähnen unter.
Schleusen auf, der Spiegel sinkt!
Technischer Clou an der neuen Prothese ist die integrierte Sensortechnik. Der Kanal, über den das im Speichel aufgelöste Medikament in Richtung Mundhöhle abfließt, wird nämlich kontinuierlich überwacht. Ein Flusssensor ermittelt, wie viel Flüssigkeit durch den Kanal fließt. Und ein chemischer Sensor registriert die Arzneimittelkonzentration. Am Ende des Kanals gibt es nun ein klitzekleines Ventil, das in Abhängigkeit von den Messwerten auf oder zu gemacht wird. Wenn also eine bestimmte Menge Wirkstoff abgegeben wurde, stoppt das System und schaltet den Gang erst wieder frei, wenn die nächste Dosis ansteht. Auf diese Weise soll nicht nur die Compliance verbessert werden, sondern auch eine kontinuierlichere Aufnahme der Medikamente erreicht werden. Spitzen und Täler in den Konzentrationskurven werden verhindert.
Volltanken bitte!
Damit der Patient nicht jedes Mal, wenn die Dosierung geändert wird, zum Zahnarzt rennen muss, haben die Fraunhofer-Wissenschaftler praktischerweise gleich noch eine Fernbedienung für ihre Prothese entwickelt. Hiermit kann der Arzt die Dosierung steuern. Die Fernbedienung zeigt aber auch an, wenn das Medikament im hohlen Zahne zur Neige geht. In diesem Fall heißt es dann Apotheke aufsuchen. "Einmal auftanken" könnte demnach künftig zu einer genuin pharmazeutischen Tätigkeit werden. Für denkbar hält Scholz aber auch ein Pfandsystem: "Der Patient tauscht die leere Prothese einfach gegen eine neu befüllte aus. Im gleichen Zuge können der Batteriewechsel und die Wartung vorgenommen werden". Vielleicht geht das alles sogar schneller als gedacht: Noch in diesem Jahr soll Intellidrug, so der Name des Systems, in klinischen Studien überprüft werden. Zum Einsatz kommen soll zunächst einmal der Opiatantagonist Naltrexon.