Durch den Verzehr von Obst und Gemüse gelangen gesundheitsschädliche Pflanzenschutzmittel in den Körper. Aus einer aktuellen Arbeit geht hervor, dass auch mit weniger Pestiziden gute Erträge erzielt werden können. Ist die Studie zu gut, um wahr zu sein?
Pflanzenschutzmittel haben je nach chemischer Struktur unterschiedliche Effekte auf Umwelt und Gesundheit. Besonders umstritten ist Glyphosat. Die Europäische Chemikalienbehörde (ECHA) kommt zum Schluss, es gebe keine Anhaltspunkte für eine Klassifikation als karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch. Experten der Internationalen Krebsagentur IARC fanden zumindest „begrenzte Hinweise“ für eine krebserzeugende Wirkung beim Menschen und „ausreichende Beweise“ bei Versuchstieren. Damit nicht genug: Manche Substanzen gelten als endokrine Disruptoren, indem sie hormonähnliche Effekte zeigen. Gerade in Ökosystemen kommt es zu Biodiversitätsverlusten, beispielsweise durch das Verschwinden mancher Amphibien. Viele Argumente sprechen dafür, den Eintrag zu minimieren. Schon vor Jahren hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Eckpunkte vorgelegt. Ein nationaler Aktionsplan sieht vor, Risiken von Pflanzenschutzmitteln für die Natur bis 2023 um 30 Prozent zu verringern. Zahlen sprechen jedoch eine deutliche Sprache: Laut Umweltbundesamt hat sich der Absatz entsprechender Chemikalien seit 2006 auf mehr als mehr als 46.000 Tonnen erhöht. Darunter befanden sich etwa 39 Prozent Herbizide. © UBA Jetzt zeigt Martin Lechenet, Paris, dass weitaus größere Einsparungen möglich wären, ohne die Produktivität zu verringern. Er arbeitet am INRA, dem französischen Institut für landwirtschaftliche Forschung.
Zusammen mit Kollegen hat er Daten von 946 Bauernhöfe in Frankreich erhoben. Alle Betriebe bauten Obst und Gemüse konventionell an. Lechenet fand auf Basis von Simulationen, dass 77 Prozent aller Höfe weniger Chemikalien einsetzen könnten, ohne dass es zu Einbußen beim Ertrag kommt. Nur bei knapp einem Viertel aller untersuchten Güter würde es Nachteile geben. Laut Studie handelt es sich dabei vor allem um Monokulturen wie die Kartoffel- und Zuckerrübenplantagen im Norden Frankreichs. Das heißt im wenig überraschenden Umkehrschluss: Mit vielfältigen Anbaumethoden gelingt es am ehesten, auf Pestizide zu verzichten. Setzen sie auf mechanische Bodenbearbeitung, auf verschiedene Kulturpflanzen oder auf den Fruchtwechsel, benötigen sie auch weniger Chemie. Die Autoren schätzen, dass in der Summe 42 Prozent weniger Pestizide eingesetzt werden könnten. Lechenets Arbeit kommt nicht aus heiterem Himmel. Écophyto 2018, ein nationaler Aktionsplan, sieht vor, dass die Grande Nation bis 2015 ihren Verbrauch halbiert. Eigentlich sollte das Ziel bereits im Jahr 2018 erreicht werden. Ähnliche Probleme hat Deutschland: In Deutschland wächst der Prozentsatz an Flächen im ökologischen Landbau nur zögerlich. Die 20-Prozent-Zielvorgabe ist fern. © UBA/BMEL
„Die Ergebnisse zeigen sehr schön, dass die Notwendigkeit des Einsatzes von Pestiziden nicht so hoch ist wie mitunter behauptet“, kommentiert Professor Dr. Josef Settele. Er ist stellvertretender Departmentleiter Biozönosenforschung und Leiter der Arbeitsgruppe Tierökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ, Halle. Insbesondere die Anwendung von Insektiziden sei häufig entbehrlich, ohne dabei Ertrags- und Gewinneinbußen zu erleiden würen. „Das ist für den europäischen Kontext recht neu, für mich auch plausibel und erwartbar, aber bislang eben kaum belegt.“ Settele hält die Ergebnisse auf Deutschland übertragbar, sieht aber bei der Akzeptanz Probleme: „Pestizide sind oft ein recht kostengünstiger Teil im gesamten Paket an Management-Maßnahmen und werden daher oft auch prophylaktisch mit ausgebracht.“ Deshalb bringt er eine Pestizidsteuer ins Gespräch.
Professor Dr. Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg bewertet die methodische Herangehensweise als plausibel. „Kritisch finde ich, dass die Datengrundlage nur drei Jahre einbezieht.“ Mitunter gebe es starke Schwankungen. Auf eine weitere Schwachstelle weist Dr. Jürgen Schwarz vom Julius Kühn-Institut JKI, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Kleinmachnow, hin: „Die in der aktuellen Studie gefunden Ergebnisse beruhen auf Modellrechnungen und Vergleichen mit benachbarten Betrieben. Sie sind also nicht mit tatsächlich gemessenen Daten, wie zum Beispiel in exakten Feldversuchen, vergleichbar.“ Dr. Horst-Henning Steinmann vom Zentrum für Biodiversität und Nachhaltige Landnutzung, Georg-August-Universität Göttingen, sieht bei der Diskussion aller Daten durchaus Spielräume. „Für plausibel halte ich den generellen Befund, dass für einen Teil der Betriebe der Pflanzenschutz tatsächlich nützlich ist, während ein anderer Teil sogar mit weniger Pflanzenschutz auskommen kann.“ Alle errechneten Einsparpotenziale seien unter deutschen Voraussetzungen möglicherweise nicht in diesem Umfang zu erreichen.
„Ohne Frage werden in einigen Situationen Pestizide von Landwirten übernutzt, was heißt, dass man die Menge an Pestiziden reduzieren könnte, ohne dadurch Ertragseinbußen zu haben“, ergänzt Professor Dr. Matin Qaim vom Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen. „Allerdings ist die Höhe der möglichen Einsparungen, die im Artikel von Lechenet et al. berichtet wird, überraschend und methodisch nicht nachvollziehbar. Details zu Regressionsanalysen würden „weitgehend im Verborgenen bleiben“, und Modellschätzungen würden nicht gezeigt. Als weitere Schwäche sieht Qaim, dass die Autoren nicht zwischen verschiedenen Kulturarten differenzieren. „Insofern finde ich die Ergebnisse hinsichtlich ihrer Größenordnung nicht überzeugend.“ Steinmann resümiert: „Man darf bei solchen Studien nicht vergessen: Hinterher ist man immer schlauer.“ Manche Situationen könnten nicht genau vorhergesagt werden – Entscheidungen müssten aber getroffen werden.