Balsam für die Augen, Balsam für die Seele. Computerspiele erzeugen nicht nur Gewaltverbrecher. Sie können auch einen medizinischen Nutzen haben. Das gilt sogar für die verpönten Ego-Shooter.
Wer sich Monate lang täglich mehrere Stunden durch einen Ego-Shooter geballert hat, der weiß nicht mehr, was Wirklichkeit ist und was Fiktion. Er verlässt irgendwann das Haus, besorgt sich eine Knarre und erschießt seine Mitmenschen. Dieses Engramm holen Politiker und Journalisten immer dann aus der Schublade, wenn wieder einmal jemand irgendwo Amok gelaufen ist. Belege für die unterstellte Kausalkette bleiben sie dabei regelmäßig schuldig. Dass sich abertausende Menschen nachmittagelang bis an die Zähne bewaffnet durch Katakomben daddeln, ohne deswegen durchzudrehen, wird unterschlagen.
Tetris ist öde. Finden auch die Augen.
Forscher der Universität Rochester in New York haben sich jetzt dem Action-Reißer Unreal Tournament einmal wissenschaftlich angenommen. Das Resultat der Langezeitballerei unter Studienbedingungen waren keine Psychopathen, sondern Menschen, die nachher besser sehen konnten als vorher. Für ihr Experiment hat sich das Forscherteam um die Hirnforscherin Professor Daphne Bavelier auf dem Universitätscampus nach fleißigen Studenten umgesehen, die in ihrer Freizeit keinerlei Computerspiele konsumieren. "Das alleine war schon etwas schwierig", so Bavelier über die Suche nach Computerasketen in einer durchtechnisierten Generation. In einem ersten Test mussten die Studenten auf einem Bildschirm ein 'T' finden und dem Untersucher sagen, wie es ausgerichtet ist. Es handelt sich dabei um einen elektronischen Sehschärfetest, der in etwa dasselbe aussagen soll wie die Buchstabentafeln in der ophthalmologischen Praxis. Nach dieser Eingangsuntersuchung spielte die Hälfte der Studenten einen Monat lang fast täglich 'Unreal Tournament', die andere Hälfte dagegen das auch Computermuffeln bekannte Geschicklichkeitsspiel 'Tetris'. Nach vier Wochen wurde der Sehtest wiederholt. Und siehe da: Die Studenten, die sich durch die virtuelle Welt ballern durften, sahen im Mittel zwanzig Prozent besser als vorher. Bei denjenigen dagegen, die nur hinab fallende Steine einsortierten, änderte sich nichts an der Sehschärfe.
Jungbrunnen für eingerostete Synapsen
"Action-Videospiele verändern die Art und Weise, wie unser Gehirn visuelle Informationen verarbeitet. Im Endeffekt verbessert sich dadurch die Performance auf einer ganz normalen Sehtafel", betont Bavelier. Das Ganze ging sogar einigermaßen zügig: "Schon nach dreißig Spielstunden war die räumliche Auflösung nachweisbar besser." Dass das auch im Alltag Vorteile bringen kann, allen voran im Straßenverkehr, liegt auf der Hand. Als die Wissenschaftler genauer hinschauten, konnten sie sogar zeigen, dass der Visus nicht nur im Bereich des schärfsten Sehens, sondern auch in der Peripherie des Gesichtsfelds zulegte, also in jenen Bereichen, die das Actionspiel gar nicht "zu Gesicht bekommen" hatten. Gerade diese Beobachtung macht die Forscher optimistisch, dass es möglich sein müsste, therapeutische Spiele für zum Beispiel Patienten mit Amblyopie zu entwickeln. Diese sollten dann das Sehzentrum ähnlich beanspruchen wie 'Unreal Tournament', ohne gleich genauso grausam zu sein. Um weitere Anwendungsgebiete therapeutischer Videospiele zu ergründen, richtet das Team gerade einen 360-Grad-Virtual-Reality-Raum ein.
Zum Abgewöhnen: Software gegen Miesmacher
Mit etwas weniger Computerpower kommt der Psychologe Mark Baldwin aus, einer der Miteigentümer des Unternehmens MindHabits. Es handelt sich um eine Spinoff der Universität McGill in Montreal, Kanada. Auch MindHabits produziert Videospiele für therapeutische Zwecke. Flaggschiff ist das Spiel MindHabits Booster. Es richtet sich an Menschen mit Selbstwertproblemen. Das Prinzip ist simpel: Im Wesentlichen wird der Spieler mit Gesichtern konfrontiert, die alle ziemlich schlecht gelaunt aussehen. Auf jeder Tafel aber findet sich ein Gesicht, das fröhlich aus der Wäsche schaut. Dieses eine Gesicht muss der Spieler anklicken. "Wenn das häufig und schnell genug gemacht wird, dann wird der Spieler darin trainiert, auch im Leben nach positivem Feedback Ausschau zu halten, und nicht nach negativem", so Baldwin. Zugrunde liegt dem eine psychologische Theorie, wonach sich Menschen mit Selbstwertproblemen negatives Feedback überproportional zu Herzen nehmen, wohingegen sehr selbstbewusste Menschen aus jeglicher Positiv-Erfahrung sofort eine Bestätigung ihrer selbst ziehen. Wem das ein wenig nach Gehirnwäsche klingt, der hat vermutlich recht. Trotzdem kann man es ja mal ausprobieren.