Nicht nur Skifahrer und Autohersteller, auch Ärzte beginnen langsam, sich über die Erderwärmung Sorgen zu machen. Hier zu Lande halten sich Ärztekammern und Co zwar noch zurück. In Australien dagegen ist das Thema längst Chefsache geworden.
Auch wenn der Klimarat der Vereinten Nationen mit seinem Weltklimabericht streng genommen nichts Neues zu verkünden hatte, hat sich die Diskussion um das Thema Erderwärmung doch gewandelt. Seit erste Details des neuen Reports "Confronting Climate Change" bekannt wurden, wird diskutiert was das Zeug hält. Sogar im Weißen Haus in Washington ist das Thema angekommen, so sehr, dass die deutsche Solar- und Windkraftindustrie mittlerweile vor dem Verlust der Marktführerschaft warnt.
Nur die Ärzte bleiben stumm
Eine der Kernaussagen der UN lautet, dass die durchschnittliche Erdtemperatur, die heute 0,8 Grad höher liegt als vor Beginn der Industrialisierung, bis zum Jahr 2100 um weitere 0,6 Grad ansteigen wird, und zwar auch dann, wenn es gelingt, die Kohlendioxidemissionen stark zurück zu fahren. Ohne Anstrengungen in dieser Richtung könnten die Temperaturen Ende des 21. Jahrhunderts sogar 1,5 bis 2,5 Grad höher liegen als heute. Zugrunde liegen diesen Hochrechnungen 30.000 Publikationen und Datensammlungen der letzten zwanzig Jahre. Die Erderwärmung führe zu einer steigenden Zahl von Todesfällen, Verletzungen und Erkrankungen durch Hitzewellen, durch Überschwemmungen, Dürren und andere Klimaextreme, so die UN-Wissenschaftler. Spätestens an dieser Stelle sollte der Medizinapparat eigentlich aufhorchen. Doch in Deutschland und in vielen anderen Ländern bleiben die Ärzte beim Thema Klimawandel eigenartig stumm. So findet sich auf der Webseite der Bundesärztekammer zwar eine Rubrik "Gesundheit und Umwelt", jedoch kein einziger Eintrag zum Stichwort Klimawandel. Das ist umso bemerkenswerter, als die UN explizit Europa als eine jener Weltregionen nennt, in der vor allem mit einer Zunahme der Hitzesterblichkeit zu rechnen sei. Auch das Umweltbundesamt (UBA) schlägt in dieselbe Kerbe. UBA-Modellrechnungen zu regionalen Klimaszenarien gehen davon aus, dass die Jahresmitteltemperatur in Deutschland bis zum Jahr 2100 noch einmal um 1,8 bis 2,3 Grad Celsius ansteigt. Damit einher geht eine Verringerung der mittleren Niederschlagsmenge vor allem in den Sommermonaten um bis zu dreißig Prozent.
"Down under" machen Ärzte das Klima zur Chefsache
Angesichts mitteleuropäischer Klimaverhältnisse mag diese Aussicht für den einen oder anderen eine tröstliche Komponente haben. Ein Blick auf die Folgen des Jahrhundertsommers 2003 sollte allerdings genügen, um diese Vorfreude auf besseres Wetter etwas zu dämpfen. Als eine der ersten Ärzteorganisationen überhaupt hatte sich vor gut zwei Jahren die australische Ärztekammer mit einem vage gehaltenen Statement zum Thema Klimawandel zu Wort gemeldet. Die Folge war, dass sich einzelne Fachrichtungen mit dem Thema intensiver auseinandersetzten. Der Allgemeinärzteverband Royal Australian College of General Practitioners hat jetzt ein Papier vorgelegt, das die Folgen der Erderwärmung aus ärztlicher Sicht detailliert diskutiert. Aufbauend auf Erfahrungen mit den Hitzewellen der letzten Jahre gehen die australischen Ärzte in einer Hochrechnung davon aus, dass sich ohne deutliche Verringerung des Kohlendioxidausstoßes die Zahl der jährlichen Hitzetoten im Alter über 65 Jahren bis 2100 verdreifachen könnte. Diese Zahl gilt unter der hypothetischen Annahme einer identischen Bevölkerungszusammensetzung. Wird die Alterung der Bevölkerung mit einbezogen, dann könnte es zu einer Verzehnfachung der aktuellen Zahlen auf dann bis zu 15.000 Hitzetote pro Jahr allein in Australien kommen.
Wird der Hausarzt bald zum Tropenmediziner?
Sorge bereiten den Kollegen "down under" auch die Infektionskrankheiten. Gewarnt wird explizit davor, dass sich durch den Anstieg der Durchschnittstemperaturen die Übertragungszone für das Denguefieber nach Südaustralien ausdehnt. Sie dürfte bis zum Ende des Jahrhunderts die dicht besiedelte Region um Sydney erreichen, sodass es dort zu Endemien kommen könnte. In Australien wird deswegen bereits jetzt diskutiert, wie das Public Health-Netzwerk effizienter gemacht werden kann, um Dengue-Infektionen früher zu erkennen und mögliche Endemien so rasch eindämmen zu können. Infektionskrankheiten und Klimawandel sind durchaus auch in Deutschland ein Thema. Ob der zehnfache Anstieg der FSME -Inzidenz seit 1990 mit dem Klimawandel zusammenhängt, ist eine offene Frage. "Es gibt Schildzecken heute auch in Regionen, wo es sie früher nicht gab, zum Beispiel in Skandinavien", sagt Jutta Klasen vom UBA. Die These lautet, das in warmen Wintern weniger Schildzecken, die Überträger der FSME, erfrieren, was die Ausbreitung begünstigen könnte. Immer wieder diskutiert wird auch eine klimabedingte Rückkehr der Malaria nach Deutschland. Als klimasensible Erkrankung gilt außerdem die Leishmaniose . Erste Fälle in Südfrankreich sind bereits aufgetreten. All diese Informationen muss man sich in Deutschland derzeit mühsam zusammen kratzen, weil es noch keine systematische medizinische Aufarbeitung der Zusammenhänge gibt.