Die Medizinische Universität Graz verhilft mit einer Kombination aus Operation, Trainingsprogramm und speziellen Sehtests blinden Menschen zu einem neuen Orientierungssinn.
Es hört sich nicht nur großartig an, das Konzept ist auch international einzigartig: Mit einer Kombination aus Operation, durchgängigem Trainingsprogramm und speziell entwickelten Sehtests gibt die Medizinische Universität Graz blinden Menschen ihre Orientierung zurück. "Blinden dazu zu verhelfen, dass sie wenigstens Licht-Schatten und Konturen erkennen können, ist eine wichtige Aufgabe in unserem Projekt", betont Rektor Gerhard Franz Walter. So wird mit den Forschungsarbeiten von Michaela Velikay-Parel die Vision, blinden Menschen mit Retinopathia pigmentosa zu einem Orientierungssehvermögen zu verhelfen, Realität.
Keine Heilung für Retinopathia pigmentosa
Rund 30.000 bis 60.000 Menschen leiden in Österreich und Deutschland an der Netzhauterkrankung "Retinopathia pigmentosa". Diese erbliche Krankheit führt bei 30 Prozent der Betroffenen zur Erblindung, für die es noch keine Heilung gibt. Die Grazer Wissenschaftler rücken der Retinopathia pigmentosa nun zu Leibe: "Mit der Entwicklung und dem Einsatz aktiver Implantate wird in der Augenheilkunde ein völlig neues Kapitel aufgeschlagen", macht Andreas Wedrich, Vorstand von der Grazer Universitäts-Augenklinik, bewusst. Ziel ist es, dem Patienten die Orientierung in fremder Umgebung zu erleichtern. Die Patienten werden im Forschungszentrum "Artificial Vision Center", einem neuartigen Sehlabor, nach einem, auch im internationalen Vergleich, völlig neuartigen Konzept behandelt.
Chip stimuliert Netzhaut
Eine Chipimplantation schafft zunächst die technischen Voraussetzungen zum Sehen. Das Retina-Implantat ist der erste Schritt in Richtung Orientierungssinn. Mithilfe elektrischer Reizungen wird die Netzhaut stimuliert, um so Lichtwahrnehmungen hervorzurufen. Sie ersetzen die fehlenden Photorezeptoren. Ein kleiner Kamerachip, der an einer Brille montiert ist, nimmt die Bildinformation auf. Sie wird über ein Kabel zu einem Pocketprozessor umgeleitet, der irgendwo an der Kleidung des Blinden befestigt ist. Dort wird die Bildinformation umgewandelt, reduziert und mit einem Retina-Encoder zu Stimulationsbefehlen umgearbeitet. Diese Information wird wieder an die Brille geleitet und von dort über Infrarot an das Auge gesendet. Das Retina-Implantat empfängt die Daten, wandelt sie in elektrische Impulse um und gibt sie an den Stimulationsteil der an der Netzhaut fixiert ist, weiter. Mit diesem System sind die "technischen Voraussetzungen" geschaffen, Lichtsignale zu erkennen.
Gehirn lernt, die Reize zu erkennen
Anschließend wird mit einem durchgängigen Trainingsprogramm und neu entwickelten Sehtests den Patienten der Umgang mit dem neuartigen Sehen vermittelt. Der Erfolg des neu gewonnen Sehens ist abhängig vom anschließenden Trainingsprogramm." Mit dem Einsetzen eines Netzhautimplantats beginnt für die Patienten eine neue Herausforderung: Da die elektrische Reizung der Netzhaut völlig neu ist, muss das Gehirn erst lernen, diese Reize zu einem sinnvollen Bild zusammenzufügen", beschreibt Michaela Velikay-Parel die Problematik. Sie hat mit ihrem Team das Trainingsprogramm entwickelt. Bislang gab es in der Augenheilkunde keine geeigneten Testmethoden, um die Verbesserung dieses neuen Sehens und deren praktische Bedeutung überprüfen zu können. Die neuen Tests wurden mit dem Ziel entwickelt, zunächst die Werte vor der Implantation und dann den Verlauf der Sehentwicklung mit dem Implantat zu ermitteln.
Neue individuelle Seheindrücke
Die elektrischen Reize müssen individuell an jeden einzelnen Patienten angepasst werden, um eine optimale Information zu liefern. Dafür ist eine mehrstufige Trainingsphase notwendig: Zuerst wird das Erkennen von Lichtpunkten und einfachen Mustern trainiert. Für den Blinden entsteht dadurch ein Seheindruck im zweidimensionalen Raum. Die Überprüfung der Sehleistung erfolgt anhand eines neuen Testsystems, in dem an eine große Wand Punkte oder Muster projiziert werden. Die weiteren Übungsschritte dienen der Erfahrung des dreidimensionalen Raums. Blinde Menschen besitzen ein besonders gutes Vorstellungsvermögen und können durch Ertasten Gegenstände gut erkennen. So bringen implantierte Menschen die ertastete Erfahrung mit den neuen Seheindrücken in Zusammenhang. Dadurch gewinnt das neue Sehen für den Blinden eine praktische Bedeutung. Mit dem Erkennen von Licht und Umrissen gewinnt ihre Unabhängigkeit enorm.