Neue Entwicklungen in Endokrinologie und Reproduktionsmedizin stand auf der Agenda der diesjährigen Mainzer Endokrinologietage. Thematisiert wurden unter anderem die Endometriose und die Reproduktionsmedizin aus Sicht der Religion. Eingeladen hatte das Kinderwunschzentrum der Universität Mainz unter der Federführung von Professor Dr. Franz Fischl. Eine Zusammenfassung.
Im Mittelpunkt des dreitägigen Kongresses stand die Assistierte Reproduktion (ART) bzw. der unerfüllte Kinderwunsch mit spannenden Fachbeiträgen und Diskussionsrunden. International anerkannte Referenten beleuchteten die ART aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Neben medizinisch, wissenschaftlichen Erkenntnissen der Fortpflanzungstechnologie wurde dem gesellschaftlichen Diskurs ebenso Rechnung getragen wie Themen aus angrenzenden Fachdisziplinen. Rund 200 Teilnehmer aus Deutschland, Schweiz und Österreich nutzten den Kongress, um den State of the Art der Reproduktionsmedizin aus erster Hand zu erfahren, sich über praxisrelevante Anwendungen zu informieren und sich mit Kollegen auszutauschen.
Kinderwunsch bei Endometriose
Auch DocCheck war bei dem Mainzer Kongress vor Ort.Zu den wichtigsten Aspekten mit fachübergreifender Thematik zählte u.a. dieEndometriose. Bis heute ist die Ursache für die Wucherungen derGebärmutterschleimhaut nicht geklärt. Zur Zeit werden zweiEntstehungstheorien diskutiert: Implantations- und Metaplasietheorie.Professor Dr. Adolf Eduard Schindler,Direktor des Instituts für Medizinische Forschung und Fortbildung,erläuterte in seinem Vortrag die unterschiedlichen Ansätze: "Wir habenmehrere Theorien über die Entstehung der Endometriose. Favorisiert wirddie Verschleppungstheorie, bei der durch retrograde Menstruation endometriale Zellen in den Bauchraum gelangen und sich dort implantieren. Einen anderen Weg verfolgt die Metaplasietheorie. Laut diesem Ansatz ensteht Endometriose nicht nur im Bauchraum, sondern auch an anderen Stellen des Körpers wie z.B. der Lunge, also vor Ort. Es gibt eine ganze Reihe von Theorien, eine eindeutige Ursache jedoch haben wir noch nicht gefunden." (O-Ton Prof. Schindler)
Welche Rolle die Endometriose bei unerfülltem Kinderwunsch spielen kann, dazu referierte Professor Jörg Keckstein, Chefarzt der Frauenklinik im österreichischen Villach. "Man hat lange geglaubt, dass der unerfüllte Kinderwunsch auf rein biochemische Reaktionen oder eine veränderte Ovulation zurückzuführen ist. Aktuelle Daten zeigen jedoch, dass durch die von der Endometriose ausgelösten Verwachsungen und Verklebungen die Funktion der Organe so stark gestört wird, dass theoretisch eine Kinderlosigkeit eintreten kann.", so Keckstein. (O-Ton Prof. Keckstein)
Barrieren der State of the Art-Medizin
Professor Fischl, Chef-Organisator der Endokrinologie Tage und Direktor des Kinderwunschzentrums, stand für einige Fragen zur Verfügung. Die wichtigste: Was steht als State of the Art-Medizin auf der Agenda? Prof. Fischl: "State of the Art sind IVF und ICSI. Bei der klassischen weiblichen Indikation in-vitro, bei männlichen Störungen ICSI, bei dem die einzelnen Samenzellen in die Eizelle eingebracht werden. Diese Verfahren kann man noch erweitern durch MESA bzw. TESE." (O-Ton Prof. Fischl)
Innovative Technologien machen Paaren mit Kinderwunsch Hoffnung, solange beispielsweise Gesetzgeber oder Krankenkassen mitspielen. In Deutschland bremst das Embryonenschutzgesetz die Forschungsaktivitäten, die Kosten der künstlichen Befruchtung werden nur zu 50 Prozent von den Kassen getragen. Wer kann sich überhaupt noch eine ART-Maßnahme leisten? Laut Professor Fischl muss ein Mittelweg gefunden werden. Er fordert liberalere Gesetze, da durch die Beschränkungen in Mitteleuropa die Forschung stark eingeschränkt werde. Doch auch für die betroffenen Patienten wünscht er sich, dass die heutigen Rahmenbediungen eine Überarbeitung erfahren. "Ich würde mir wünschen, dass die Relationen in der Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen optimiert werden. Gewisse Beschränkungen, wie z.B. eine Altersgrenze sind sinnvoll, jedoch sollte Paare im kinderfähigen Alter eine Unterstzützung in Form einer zumindest anteiligen Kosenübernahme gewährt werden." (O-Ton Prof. Fischl)
Glaubensbedingte Barrieren
Als Highlight war das "Round Table" zum Thema"Reproduktionsmedizin im Lichte der Weltreligionen" angekündigt worden. Im Podium diskutierten- in der Reihenfolge der Standpunkte von kritisch bis liberal - eineKatholikin, ein Protestant, eine Muslima aus Österreich, ein Rabbinerund eine Buddhistin. Überraschend aufgeschlossen gegenüber derkünstlichen Befruchtung zeigte sich die Vertreterin des Islam. DieEinstellung zur Wissenschaft ist positiv, so die Muslima,weil mit ihrer Hilfe ein von Gott gewolltes, gesundes Leben möglichist. Und weiter: "Die Einstellung zur In-vitro-Fertilisation (IVF) istauch deswegen positiv, weil die Mutterschaft eine wichtige Rolle in dermuslimischen Gesellschaft spielt und unfruchtbare FrauenDiskriminierung befürchten müssen. In Ägypten gibt es bereits einenIVF-Boom."
Ähnlich liberal ist die Einstellung im Judentum, denn dieZeugungsfähigkeit gilt als Segen und erfüllt das höchste Ziel, die Fortpflanzung. Anders als für Christen und Buddhisten entsteht Lebenlaut jüdischem Glauben erst mit der Geburt. Für Juden hat daher derSchutz der Mutter einen höheren Wert als der des Embryo. Abweichend zuden anderen Religionen, so der Rabbiner, ist auch eine heterogene IVF,z. B. mit Fremdsamen aus der Datenbank, zulässig. Die katholischeKirche vertritt erwartungsgemäß die abweisendste Haltung zum Thema ART. Doch, so Professor Fischl, in der Praxis wird dieEntscheidung für oder gegen die assistierte Reproduktion, abgesehen vonwenigen Ausnahmen, unabhängig von religiösen Dogmen getroffen.