Warum zum Teufel gibt es immer mehr Allergiker? Anhänger der "Hygiene-Hypothese" glauben, dass es daran liegt, dass sich moderne Stadtkinder nicht mehr genug im Schmutze suhlen. Berliner Allergologen verteilen deswegen täglich Fäkalkeime oral. Es könnte klappen.
Die Daten, die neuseeländische Forscher um Professor Innes Asher von der Universität Auckland kürzlich in der Fachzeitschrift The Lancet publizierten, bestätigen den Eindruck, den viele haben: Die Zahl der Kinder mit Allergien steigt weltweit. Wurden entsprechende Thesen lange mit dem Hinweis darauf gekontert, dass es in der Vergangenheit ganz andere Probleme gegeben habe und deswegen keiner so genau hingesehen habe, so sprechen neue Studien eine andere Sprache.
Der Pollenflug durch den NasenraumDas globale Schniefen und Keuchen
Die Neuseeländer haben in 56 Ländern Daten von über einer halben Million Kindern ausgewertet, 7962 davon aus Deutschland. Innerhalb von nur fünf Jahren nahm die Prävalenz von Asthma-Beschwerden hier zu Lande in der Gruppe der sechs- bis siebenjährigen Kinder von 9,6 auf 12,8 Prozent zu. Die Heuschnupfen-Quote stieg von 5,4 auf 6,9 Prozent, und der Anteil von Kindern mit Neurodermitis ging von 6,7 auf 7,9 Prozent hoch. Ein ähnliches Bild ergab sich bei den 13- bis 14jährigen: 17,5 Prozent berichten über Asthma-Symptome, 15 Prozent über Heuschnupfen und 7,7 Prozent über Neurodermitis. Die Quoten fünf Jahre zuvor lagen bei 14,2 Prozent, 14,4 Prozent und 7,1 Prozent.
Woran liegt das? Allergologen der Charité Berlin gelten schon seit längerer Zeit als Anhänger der so genannten Hygienehypothese. Sie besagt, dass Kinder, die weniger mit Keimen konfrontiert sind, häufiger Allergien und atopische Erkrankungen entwickeln. Gedeckt ist dies durch epidemiologische Beobachtungen, wonach Kinder aus Dörfern im Bayerischen Wald, die Kinder von türkischen Immigranten in Berlin sowie die Kinder aus Anthroposophen-Familien seltener Allergien entwickeln als andere. Gerade bei den Anthroposophen wurde die niedrigere Allergie-Inzidenz von interessierten Kreisen mitunter auch auf einen geringeren Antibiotika- oder Antipyretika-Konsum beziehungsweise auf niedrigere Impfquoten zurück geführt. Eine groß angelegte schwedische Befragung unter Kindern in Steiner-Schulen lieferte dafür aber keinen Anhalt.
Nicht nur sauber, sondern rein? Vielleicht keine so gute Idee...
Was bleibt, ist die Hygiene-Hypothese. Um sie zu testen, haben Charité-Wissenschaftler um Professor Eckard Hamelmann im Jahr 2005 eine große Untersuchung gestartet, die jetzt kurz vor dem Abschluss steht. Über 600 Kinder wurden bisher in die Studie aufgenommen. Die Hälfte erhält dreimal täglich ein paar Tropfen eines natürlich nicht infektiösen Extrakts aus Escherichia coli-Bakterien und Streptococcus faecalis. Es handelt sich um zwei von vielen Keimen, die im Darm leben und die auch typischerweise in Misthaufen oder an ähnlichen Orten vorkommen. Die These ist, dass eine regelmäßige Stimulation des Immunsystems mit diesem Cocktail die Inzidenz an Neurodermitis und Allergien im Vergleich zur Kontrollgruppe, die Placebo-Tröpfchen erhält, verringert.Favorit unter den "Allergiekillern" war lange Zeit das in den genannten Bakterien enthaltene Endotoxin, gewissermaßen der bakterielle Sparringspartner für ein noch reifendes Immunsystem. "Mittlerweile gibt es aber auch Untersuchen, die für andere Bakterien ebenfalls günstige Effekte nahe legen", so Hamelmann im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter. Der Wissenschaftler geht deswegen jetzt eher davon aus, dass es eine diffuse Immunstimulation ist, die die schützende Wirkung haben könnte, und nicht so sehr die Interaktion mit nur einem einzigen oder einigen wenigen Antigenen.
Schluck für Schluck zurück zur Natur
Ob was dran ist an der Hygiene-Hypothese wird sich bald zeigen: "Es gibt erste Auswertungen, die nicht von uns, sondern von dem Unternehmen gemacht wurden, das die Studie organisiert, um abzuschätzen, ob sich der Aufwand lohnen könnte", berichtete Hamelmann, "diese ersten Daten sehen sehr vielversprechend aus." In den nächsten Wochen wird die Rekrutierungsphase nach dann 630 Kindern abgeschlossen. Mindestens sieben Monate, idealerweise bis zu drei Jahre, sollen die Kinder nachbeobachtet werden. "Wir werden die Studie voraussichtlich Ende des Jahres entblinden und dann erste offizielle Ergebnisse vorlegen können", so Hamelmann. Sollten die wirklich positiv ausfallen, dann könnte im Kinderuntersuchungsheft irgendwann vielleicht neben den diversen Impfungen auch noch die Einnahme eines Misthaufen-Cocktails auftauchen. Na dann: Prost.