Funktionelle Hirnschnitte verraten Wissenschaftlern heute viel über Gedanken und Gefühle. Abgesehen von Kriminologen und Neuro-Spannern interessieren sich vor allem Psychiater für die farbigen Bilder: Denn sie können bei der Diagnose helfen, die Wirksamkeit von Medikamenten anzeigen und Hinweise für neue Therapien liefern.
Bei dem Gedanken an die Filmschauspielerin Jennifer Aniston feuern einige Neurone bei einem Patienten des US-Bewußtseinsforschers Christof Koch vom California Institute of Technology besonders heftig. Erst als die Schöne auf einem Bild nicht mehr alleine, sondern zusammen mit ihrem Ex-Mann Brad Pitt zu sehen ist, verlieren die Nervenzellen spürbar an Erregung. Aufzeichnen konnte Koch diese Reaktion mit Hilfe von Elektroden, die bei einem Epilepsiepatienten kurz vor einem neurochirurgischen Eingriff ins Hirn eingebracht worden waren. Koch ist überzeugt, dass er theoretisch unterscheiden hätte können, ob der Patient gerade an Jennifer Aniston oder an seine Frau denkt. Gemacht hat er das nicht.
Ich sehe was, was du noch gar nicht weißt...
Das Beispiel illustriert die enormen Fortschritte, die die Neuropsychiatrie bei der Untersuchung von Hirnaktivitäten gemacht hat. Invasive Elektroden sind dazu längst nicht mehr nötig. Funktionelle Verfahren wie Positronenemissionstomographie oder Kernspin reichen aus, um Forscher zu Gedankenlesern werden zu lassen. Großes Aufsehen erregte kürzlich der Hirnforscher Professor John Dylan Haynes vom Berliner Bernstein Center for Computational Neuroscience mit einer Publikation in der Zeitschrift Current Biology. Anhand von funktionellen MR-Bildern sagte er bei Testpersonen vorher, ob sie zwei Zahlen, die ihnen präsentiert wurden, addieren oder subtrahieren würden. "In nachfolgenden Experimenten konnten wir zeigen, dass wir Gedanken sogar dann auslesen können, wenn sie noch gar nicht das Bewusstsein des Probanden erreicht haben", so Haynes kürzlich auf einem Symposium der Gottlieb Daimler- und Carl Benz-Stiftung in Berlin. Militärs und Kriminologen werden bei diesen Aussichten die Hände feucht. Und tatsächlich gibt es in den USA Unternehmen, die fMR-Geräte bereits als Lügendetektoren im Angebot haben. Andere nutzen die Erkenntnisse der modernen Neuro-Bildgebung, um mit Hilfe von Testpersonen unter dem Schlagwort Neuromarketing Produkte zu optimieren. Abgesehen von diesen moralisch zumindest diskussionswürdigen Ansätzen dürften die größten Potenziale der neuen Techniken aber im Bereich der klinischen Neuropsychiatrie liegen. Hier könnten die Verfahren dazu beitragen, korrekte Diagnosen zu stellen und die Behandlung der Patienten zu optimieren.
Film ab: Im MR sind selbst die grauesten Gedanken stets schön bunt
Ansätze gibt es bei praktisch allen psychiatrischen Erkrankungen: Egal ob ein Phobiker vom Ekel vor Spinnen überwältigt wird, Zwangsgestörte ihren Zwangsgedanken nachhängen oder Depressive von Trauer oder Gleichgültigkeit durchdrungen sind: In der funktionellen Bildgebung ist all das nur ein paar Rechenoperationen entfernt und immer wunderbar bunt darstellbar. Beispiel Depression: Mit Verfahren der so genannten experimentellen oder induzierten Traurigkeit können Neuropsychiater heute zeigen, dass bei Depressiven die neuronale Verarbeitung von Emotionen anders reguliert ist als bei Gesunden. Insbesondere scheinen evolutionsgeschichtlich alte Areale des limbischen Systems bei Traurigkeit über die Maßen aktiviert zu werden, wohingegen jüngere Regionen, die an höheren kognitiven Funktionen beteiligt sind und das Erlebte einordnen und bewältigen helfen, vergleichsweise weniger aktiv sind.
Zielfernrohr für die invasive Bildgebung
Auch Therapieerfolge sind darstellbar: "Wir wissen, dass Videosequenzen mit Spinnen bei Phobikern eine übermäßige Aktivierung der Insel und des anterioren Zingulums auslösten, die sich nach erfolgreicher kognitiver Verhaltenstherapie wieder normalisierten", sagt Dr. David Linden von der School of Psychology an der Universität Wales, "und bei Patienten mit sozialer Phobie wurde sowohl nach Psychotherapie als auch nach einer Behandlung mit Citalopram eine Verringerung der Aktivität des Mandelkerns gezeigt." Bei depressiven Patienten funktioniert das auch, wenngleich die Ergebnisse hier insgesamt komplexer und etwas widersprüchlicher sind: US-Psychiater haben über depressive Patienten berichtet, die zu Beginn der Therapie eine gestörte Verarbeitung affektiver Stimuli in der linken Inselregion und im linken vorderen Gyrus cinguli aufwiesen. Unter antidepressiver Medikation mit Venlafaxin normalisierte sich dieses auffällige Bild.
Die Beobachtungen sind so charakteristisch, dass die US-Psychiaterin Professor Helen Mayberg mittlerweile fMR-Bilder für ihre ersten Gehversuche mit der tiefen Hirnstimulation bei Depression nutzt. Bei sechs Patienten platzierte sie kürzlich die Elektroden im Bereich des anterioren Cingulus, dort, wo die nicht-invasive Bildgebung bei emotionalen Stimuli hyperaktive Areale vermuten ließ. Bei vier dieser Patienten besserte sich die Symptomatik dadurch. Die "Filme", die bei psychiatrischen Patienten ablaufen, könnten also künftig unmittelbar Eingang in die Therapieplanung finden.