Er ist modern und dezent, und anders als Chirurgen bisher doktort er nicht an der Anatomie des Verdauungstrakts herum: Mit dem Schrittmacher gegen Fettsucht rückt die Medizintechnikbranche erneut einer großen Volkskrankheit mit Hilfe von Elektroschocks zuleibe. Elektrode statt Skalpell: Der nächste Akt!
Die Beobachtung ist so alt wie die Magen-Darm-Chirurgie. In Zeiten, in denen Patienten mit Magenulzera noch häufiger operiert wurden als heute, war eine der gängigen Maßnahmen die chirurgische Vagektomie, also das Abtrennen des Nervus vagus. Primäres Ziel der Maßnahme: die Säureproduktion des Magens zu verringern. Aber im Nebeneffekt beobachteten die Chirurgen häufig, dass die Patienten weniger Appetit hatten, weniger Kalorien zu sich nahmen und an Gewicht verloren - zumindest so lange, bis sich der Körper mit Gegenregulationsmechanismen an die neue Situation angepasst hatte.
Schocktherapie für hungrige Mägen
Das US-Unternehmen EnteroMedics hat sich diese alte Chirurgenbeobachtung zu Herzen genommen und einen Schrittmacher entwickelt, der den Nervus vagus beidseits mit extrem hochfrequenten Elektroimpulsen traktiert. Auf diese Weise soll der parasympathische Hauptinnovator des oberen Gastrointestinaltrakts nicht komplett, sondern intermittierend lahm gelegt werden. Damit, so die Hoffnung, könnte die anti-adipöse Wirkung der chirurgischen Vagektomie erreicht werden, ohne jene Gewöhnungseffekte zu erzeugen, die bei der Operation auftreten. Die Methode ist als Alternative zu Magenresektionen und Gastric Banding-Eingriffen gedacht, bei denen die Nahrungsaufnahme durch chirurgische Zwangsmaßnahmen limitiert wird.
Verglichen mit diesen Ansätzen ist die VBLOC (Vagal Blocking for Obesity Control) genannte Methode geradezu zärtlich zu nennen. Fünf kleine Schnitte für eine minimalinvasive Operation werden angelegt. Laparoskopisch werden die beiden Elektroden an den Vagus-Nerven beidseits befestigt, und zwar an den Vagus-Hauptästen in der Nähe des Zwerchfells am gastroösophagealen Übergang. Die Kabel führen dann ähnlich wie beim Herzschrittmacher unter die Haut zu einem "Neuroregulator" getauften Implantat. Es kann durch den Arzt drahtlos eingestellt werden, benötigt allerdings eine Induktionsspule. Sie misst immerhin zwölf Zentimeter im Durchmesser und liegt der Haut von außen auf. Per Kabel ist sie an einen telefonhörergroßen Controller angeschlossen, der im Wesentlichen einen Akku enthält und der seinerseits am Gürtel befestigt werden kann.
Muskeln, Drüsen, Epithelien: Alle hören auf den Nervus vagus
Um die Effektivität des neuen Verfahrens zu testen, laufen derzeit klinische Studien an mehreren auf Adipositas spezialisierten Zentren. Wer außerhalb der USA wohnt und an einer der Studien teilnehmen möchte, kann sein Interesse online bekunden und erhält dann Informationsmaterial. Eine Garantie, dass die Sache funktioniert, gibt es naturgemäß nicht. Skepsis ist angebracht: Zwar gab es nach Angaben von EnteroMedics bisher noch keine Studien mit vergleichbarem Ansatz. Aber die gute, alte Vagektomie wurde durchaus schon bei adipösen Patienten mit dem Ziel der Gewichtsreduktion getestet und verworfen, weil die Effekte nicht anhielten.
Sollte es allerdings gelingen, durch die intermittierende Stimulation den Gewöhnungseffekt zu durchbrechen, dann spricht einiges für das Verfahren. Denn der Nervus vagus ist gleich an mehreren Prozessen beteiligt, deren Blockade den Appetit absenken könnte. So fördert die Vagus-Aktivität die Ausdehnung des Magens bei Nahrungsaufnahme und schafft damit Platz für mehr Nahrung. Sie stimuliert auch die Sekretion von Magensäure und Verdauungsenzymen. Eine Vagus-Blockade könnte demnach auf dem Umweg über eine Abschwächung neurohumoraler Impulse auch die zentrale Appetitregulation im Hypothalamus günstig beeinflussen.
Alles auf eine Karte
So richtig im Detail bekannt sind die Appetitregulation und der Anteil des Nervus vagus daran allerdings noch nicht. Für EnteroMedics ist die Sache also ein Vabanque-Spiel. Und das Unternehmen pokert hoch: Mit einem Börsengang sollen jetzt 86,25 Millionen US-Dollar akquiriert werden, um die Sache weiter voran zu treiben. Das solche Geschichten auch für potenzielle Investoren nicht ganz risikofrei sind, zeigt aktuell das Beispiel des Biotech-Unternehmens Paion. Dessen wesentliches Produkt, der mit vielen Vorschlusslorbeeren bedachte Wirkstoff Desmoteplase zur Lysetherapie bei Schlaganfall, fiel in einer Phase III.-Studie durch und schickte die Paion-Aktien Anfang Juni um 75 Prozent in den Keller.