Spätestens mit der SARS-Krise wurde der Nutzen des Internets beim Management von Epidemien evident. Auf der neuen Webseite Whoissick.org können Bürger jetzt mit Hilfe von Google Maps zu Hobby-Epidemiologen werden. Hypochonder aller Länder, vereinigt euch!
Ein Schnupfen. Noch einer. Fieber. Der Nachbar auch. Gliederschmerzen. Der ganze Stadtteil liegt danieder. Grippe. Alle Jahre wieder. Bei Erkrankungen, die so berechenbar sind wie die saisonale Grippe, sind epidemiologische Daten zur Krankheitsinzidenz vor allem für Ärzte interessant, die diese Erkrankungen behandeln. Die in Deutschland installierten Grippesurveillance-Systeme wie das Sentinel-System oder das RealFlu-System erfüllen genau diesen Zweck. Im Falle bedrohlicher Epidemien aber würde man gerne ein klein wenig früher Bescheid wissen. Wenn sich irgendwo in einem Haus, einer Straße oder einer Einrichtung typische Symptome häufen, dann könnten die Alarmglocken klingeln, noch bevor endgültige Diagnosen gestellt wurden.
Basisdemokratisches Krankheits-Mapping
Die Pandemiepläne der Bundesländer tragen diesem Punkt insofern Rechnung, als Einrichtungen wie zum Beispiel Kindergärten dazu angehalten sind, bei sich häufenden Symptomen wachsam zu sein beziehungsweise die Einrichtung gegebenenfalls zu schließen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die kürzlich ins Netz gestellte Webseite Whoissick.org. Das Konzept ist genial nahe liegend: Wer krank ist, kann sich bei der Seite anmelden und seine Symptome eintragen. Mit Hilfe der frei verfügbaren Funktionen von Google Maps wird aus diesen Informationen dann ein Eintrag auf einem Stadtplan beziehungsweise einer Landkarte generiert, und zwar genau an der Stelle, an der sich der Kranke befindet. Nun kann sich jeder Besucher diese Landkarten ansehen und daraus im Idealfall ablesen, welche Art von medizinischen Problemen gerade wo umgehen. Mit einem bemerkenswert einfach zu bedienenden Statistik-Tool können die Informationen auch grafisch ausgewertet werden. Damit wird es beispielsweise möglich, in einem beliebig ausgewählten Kartenausschnitt nachzuschlagen, wie viele Personen wann in den letzten Wochen bestimmte Symptome angegeben haben, um daraus dann Rückschlüsse auf ein eventuell gehäuftes Auftreten bestimmter Erkrankungen zu ziehen.
Ein Tummelplatz für Hypochonder
So weit die Theorie. Whoissick.org hat mit diesem simplen Konzept innerhalb weniger Wochen enorme Klickzahlen generiert, vor allem in den USA. In Deutschland wird die Seite bisher nur vereinzelt genutzt, am meisten im Raum Berlin, in Frankfurt und im Ruhrgebiet. Wer sich die einzelnen, natürlich anonymen Patienten ansieht, der findet Leute, die ernsthaft daran interessiert scheinen, ihre Beschwerden mitzuteilen. Er findet aber auch eine erhebliche Zahl an offensichtlichen Hypochondern, Witzbolden oder Betrunkenen. In Berlin-Kreuzberg beispielsweise findet sich ein mitteilungsbedürftiger Mitbürger, der in mehreren Posts berichtet, er habe beim Grillen zu viel gesoffen und fühle sich jetzt "totally sick". Einträge wie diese haben in einigen englischsprachigen Ländern eine breite Diskussion über Sinn und Unsinn von Whoissick.org entfacht. Der Vorwurf, der unter anderem von dem Koordinator des australischen Influenzasurveillance-Programms in die Diskussion geworfen wurde, lautet im Kern, dass die Daten wertlos seien, weil sie nicht professionell erhoben würden und damit der Manipulation Tür und Tor öffneten. Statistische Auswertungen, die auf derart dubiosen Daten beruhten, seien letztlich Pseudowissenschaft. Andere Einwände zielen darauf ab, dass eine auf subjektiven Symptomen statt auf definitiven Diagnosen oder zumindest objektiven Befunden basierende Epidemiologie nicht genug Trennschärfe besitze, um überhaupt irgendwelche sinnvollen Aussagen zu ermöglichen.
Mit Algorithmen gegen den Datenmüll?
Durch viele dieser Argumente schimmert eine gewisse Arroganz des Experten durch, was denn auch erwartungsgemäß einige vehemente Verteidiger der Webseite auf den Plan gerufen hat, die sich vor allem in diversen Weblogs tummeln. Ein Blick in die Blog-Suchmaschine Technorati oder in die Googles Blog-Suche belegt den erheblichen Diskussionbedarf. Nüchtern betrachtet spricht eigentlich wenig dagegen, die Möglichkeiten und Grenzen des Werkzeugs auszuloten, beispielsweise in der nächsten Grippe-Saison. Wer eine bevölkerungsbasierte Epidemiologie auf Basis von Selbstmeldungen möchte, wird mit Hypochondern und Witzbolden leben müssen. Aber mathematische Algorithmen zu entwickeln, die diese Art von Einträgen als Hintergrundrauschen wegfiltern, und das resultierende Werkzeug dann bei irgendeiner Epidemie einfach einmal an der Wirklichkeit zu testen, könnte einen Versuch wert sein. Wenn sich ein lokaler Ausbruch dadurch auch nur ein, zwei Tage früher entdecken lässt, ist es die Sache vielleicht schon wert...