Es geht um den Kick. Warum entsteht er und wodurch? Was passiert im Gehirn, wenn man süchtig wird? Zur Suchtentstehung gibt es viele Erklärungsmodelle. Siebzig Jahre nach der Entdeckung von Acetylcholin fanden die Wissenschaftler eine neue Rolle des Botenstoffs: Nicht Dopamin, sondern Acetylcholin macht Menschen süchtig.
Die Kernstruktur im basalen Vorderhirn, der Nucleus accumbens spieltdabei eine zentrale Rolle. Er bestimmt, wie wir uns fühlen. Univ.-Prof.Dr. Gerald Zerning-Grubinger und Univ.-Prof. Dr. Alois Saria von derAbteilung für Neurochemie an der Innsbrucker Universitätsklinik fürPsychiatrie gingen den biochemischen Ursachen der Suchtentstehunggenauer auf die Spur. Sie wollten wissen, welche Neurotransmitter imNucleus accumbens dafür verantwortlich sind, wenn Menschen Geschmack anSuchtmitteln finden. Die Ergebnisse lieferten völlig neue Einsichten: nicht der Neurotransmitter Dopamin, sondern Acetylcholin ist dafür verantwortlich, dass Menschen süchtig werden.
Acetylcholin steigt explosionsartig
Die Experimente mit Ratten zeigten, dass im Moment, in dem sich die Tiere für eine Droge interessieren, der Lernbotenstoff Acetylcholin freigesetzt wird. "Damit führen unsere Ergebnisse zu einer wesentlichen Erweiterung des Dogmas, dass die Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens der entscheidende neurochemische Faktor für Sucht ist", erklärt Zernig-Grubinger. Sein Arbeitsgruppe hat die Attraktivität des Suchtmittels auf einfache Weise im Mausversuch quantifiziert: Dr. Jose Crespo maß die Geschwindigkeit, mit der ein Versuchstier auf eine Kammer zulief, in der es eine intravenöse Drogen-Injektion mit Phentanyl erhielt. Gleichzeitig erfolgte eine Analyse der dabei freigesetzten Neurotransmitter mit Hilfe der Tandem-Massenspektrometrie. Sie trennt und bestimmt Moleküle physikalisch nach ihrer Masse.
Bereits innerhalb von fünf Versuchen verkürzte sich die Geschwindigkeit, mit der die Ratten den Weg zurückgelegt hatten, von drei Minuten auf zwei bis drei Sekunden. Der Anteil von Acetylcholin explodierte beinahe und stieg auf das Vierfache. Der Dopaminspiegel dagegen blieb in den ersten Lernerfahrungen gleich hoch. "Völlig suchtnaive Tiere reagierten richtig heftig", meint Zerning-Grubinger. "Wir fanden auch heraus, dass weder ein Maximalspiegel noch ein Minimalspiegel die Ausschwemmrate des Suchtmittels oder von Dopamin die Entscheidung des Versuchstieres beeinflussen, sich wieder Suchtmittel zu verabreichen." Sucht ist also nicht wie Spiegeltrinken, sondern eng mit Erinnerungen an frühere Suchterlebnisse verbunden. Sie bewirken die Wiedereinnahme des Suchtmittels. In den Versuchen lief allerdings nicht jede Ratte blitzschnell auf das Suchtmittel zu. Diese Tiere entwickelten offenbar andere Mechanismen mit Sucht umzugehen.
Wichtige therapeutische Konsequenzen
Verhängnisvoll für den Süchtigen ist also nicht nur die Erwartung der Wirkung einer Substanz, die als Suchtgedächtnis den Weg in die Abhängigkeit bahnt. "Jeder Mensch zieht aus seinen Erfahrungen seine eigene Bilanz", erklärt Zerning-Grubinger.
Die Erkenntnisse der Innsbrucker Forscher könnten mittelfristig völlig neue Therapiemöglichkeiten für Suchtkranke bringen. Sie sollen helfen Medikamente zu entwickeln, die als Hilfsmittel neben der Psychotherapie eingesetzt werden können. Die aufregendste Vision wäre eine Impfung gegen Sucht. Die Grundidee klingt einfach: Gezielte Intervention soll das Suchtgedächtnis beeinflussen. Die Innsbrucker hoffen nun auf eine intensive Zusammenarbeit mit der Alzheimerforschung, denn diese konzentriert sich seit langem auf den Botenstoff Acetylcholin.