Wo und wie schnell Wirkstoffe ins Blut gelangen, war bislang nicht immer klar. Mithilfe magnetisierbarer Tabletten können Forscher deren Weg durch den Körper ohne Nebenwirkungen für den Probanden genau verfolgen.
Manche Tabletten wandern schnell durch Magen und Darm und geben ihren Wirkstoff gleichmäßig ab, andere verbringen hingegen viel Zeit in den ersten Abschnitten des Verdauungstraktes und legen erst später an Tempo zu. Für Mediziner ist es wichtig, diese Eigenschaften zu kennen. Denn die Wirkung einer Arznei hängt nicht nur von der Dosis ab, sondern auch davon, wo sie im Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird.
Um den Weg einer Tablette von außen zu verfolgen, waren Forscher bisher darauf angewiesen, die Arznei radioaktiv zu markieren. Das macht die Experimente problematisch. Denn als Probanden dienen gesunde Menschen - und die dürfen aufgrund der Strahlenschutzbestimmungen in Deutschland nicht ohne guten Grund radioaktiver Strahlung ausgesetzt werden. Entsprechend wenige Erkenntnisse gibt es bislang über die Absorption von Tabletten.
Mit einer neuen Methode, die Forscher der Universität Greifswald und der Berliner Charité zusammen mit dem Berliner Institut der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) entwickelt haben, könnte sich das bald ändern. Magnetkräfte sollen künftig dabei helfen, den Weg von Tabletten zu verfolgen. Bislang haben die Forscher ihr Verfahren nur experimentell genutzt. Zusammen mit der Oberurseler Firma Socratec wollen sie nun herausfinden, ob es sich auch für klinische Tests eignet.
Magnetische Markierung
Die ersten Experimente machte Werner Weitschies, Professor für Pharmazie an der Universität Greifswald, vor rund zehn Jahren. Er hatte die Idee, Tabletten mit einer geringen Menge einer magnetisierbaren Substanz anzureichern - Eisenoxid beispielsweise. In einem starken Magnetfeld lässt sich die Tablette daher magnetisieren. "Sie wird in einen kleinen Magneten umgewandelt", sagt Weitschies. Danach lässt sich das Magnetfeld der Pille auf seinem Weg durch den Körper solange verfolgen, bis sich die Tablette aufgelöst hat. Weitschies zufolge handelt es sich um ein sanftes Verfahren: "Eisenoxid ist nicht giftig und daher für die Probanden völlig unbedenklich."
Das Magnetfeld einer derart präparierten Tablette ist sehr schwach. Zum Vergleich: Haftmagneten etwa, mit denen Notizzettel an der Kühlschranktür befestigt werden, erzeugen ein hunderttausendmal stärkeres Magnetfeld. "Wir brauchen daher hochempfindliche Sensoren, um das Magnetfeld der mit Eisenoxid präparierten Tabletten überhaupt nachzuweisen", sagt Weitschies. Der Messraum muss zudem gut abgeschirmt sein, damit das Messergebnis nicht durch Magnetfelder aus der Umgebung oder das Erdmagnetfeld verfälscht wird. Einen solchen gibt es bei der PTB in Berlin. Der Raum ist ungefähr drei mal vier Meter groß und von mehreren Schichten einer speziellen Metalllegierung umgeben. Diese Abschirmung füllt den Rest des 15 Meter hohen würfelförmigen Gebäudes aus.
Die Messungen sind eine Geduldprobe für die Versuchsteilnehmer. Sobald der Proband die Tablette eingenommen hat, muss er sich in den Messraum unter die hochempfindlichen Sensoren eines Magnetfeld-Detektors legen. Das Experiment dauert sechs bis 24 Stunden - je nachdem, wie schnell die Tablette zerfällt. "Der Proband muss aber nicht die ganze Zeit unter dem Gerät liegen - er kann sich alle Viertelstunde die Füße vertreten", sagt Henning Blume, Geschäftsführer von Socratec. Das fördere die Bewegungen des Magen-Darm-Traktes und mache die Messungen wirklichkeitsgetreuer.
Die Sensoren erfassen das Magnetfeld der Tablette 250-mal pro Sekunde. Eine spezielle Software wandelt die aufgezeichneten Messwerte in dreidimensionale Bilder um. Zusammen mit seinen Kollegen hat er bereits einige neue Erkenntnisse gewonnen: "Tabletten, die mit wenig Flüssigkeit oder in liegender Position eingenommen werden, können in der Speiseröhre stecken bleiben und dort zerfallen", sagt Blume. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass die Tabletten nicht gleichmäßig durch Magen und Darm transportiert werden. "Die meisten Tabletten bewegen sich ruckartig", hat Weitschies herausgefunden. "Sie werden innerhalb weniger Sekunden um zehn bis 50 Zentimeter von einem Ort zum nächsten transportiert und verbleiben dort manchmal bis zu 30 Minuten."
Unbekannte Zerfallsrate
Drei Jahre lang wollen die Forscher von Socratec das Verfahren nun erproben. Dabei soll es optimiert und zu einer Standardmethode in der Arzneimittelentwicklung weiterentwickelt werden. Socratec testet im Auftrag von Pharmafirmen in klinischen Studien die Verträglichkeit von Medikamenten an gesunden Probanden. Im Rahmen dieser Studien soll das Magnetic Marker Monitoring zum Einsatz kommen.
"Wir wollen unter anderem die Frage beantworten, warum Tabletten unterschiedlich schnell zerfallen - je nachdem ob sie vor dem Essen oder danach eingenommen werden", sagt Blume. Bei einigen Bluthochdruckpräparaten mit dem Wirkstoff Nifepidin ist das zum Beispiel der Fall. Ihre Konzentration im Blut ist zehnmal so hoch, wenn sie nach dem Essen genommen werden. Erklären können sich die Forscher das Phänomen bislang nicht.
Weitschies hat sich inzwischen ein neues Ziel gesetzt. "Bislang können wir den Weg unterschiedlicher Tabletten, die der Proband gleichzeitig einnimmt, nicht parallel verfolgen", sagt der Pharmakologe. "Wir empfangen immer nur ein einziges großes Signal." Er will die Software nun so verändern, dass sie Signale von bis zu fünf unterschiedlichen Tabletten einzeln aufzeichnet. Von dem verbesserten Monitoring könnten die vielen Patienten profitieren, die mehrere Präparate zugleich einnehmen müssen.