Im Laufe einer malignen Tumorerkrankung entwickeln 25 Prozent der Patienten eine Depression. Dieser Zusammenhang wurde in mehreren Studien gezeigt. Nun stellt sich heraus: Die psychische Belastung durch die Erkrankung ist nicht der eigentliche Auslöser der schlechten Patienten-Stimmung. Die Neurotransmitter sind aus dem Gleichgewicht.
Lange wurde vermutet, dass sich eine pessimistische Einstellung negativ auf den Verlauf einer malignen Erkrankung auswirken kann. Untersuchungen haben nun aber bewiesen, dass organische Ursachen dahinter stehen. Eine Störung des Gleichgewichtes der Neurotransmitter stellt eine der Hauptursachen für die Entwicklung einer Depression dar. Vor allem ist die mangelnde Verfügbarkeit der Eiweißbausteines Tryptophan mit einer Depressionsneigung assoziiert: Tryptophanmangel beeinflusst die Bildung des Glückshormons Serotonin.
Die Tricks des Immunsystems
Die Entdeckung war ein Zufall: "Das Immunsystem macht alles Mögliche, um das Wachstum maligner Zellen zu hemmen", erklärt Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Dietmar Fuchs vom Institut für Biologische Chemie der Medizinischen Universität Innsbruck. Seine Arbeitsgruppe untersucht seit Jahren den Zusammenhang zwischen Immunreaktion, Tryptophanstoffwechsel und Psychologie. "Ein Großteil der Mechanismen zielt dabei auf die Hemmung des Zellwachstums ab, einer davon ist der Entzug von Tryptophan. Die Synthese von Serotonin geht von der Aminosäure Tryptophan aus: Sie wird durch das Enzym Tryptophan-(5)-Hydroxylase zu Serotonin metabolisiert. Daneben erfolgt auch eine Verstoffwechslung von Tryptophan über den Kynureninweg. Die Arbeitsgruppe konnte niedrige Tryptophan- und hohe Kynureninkonzentrationen im Plasma von Patienten mit malignen Tumoren nachweisen, vor allem dann, wenn die Tumorerkrankung schon fortgeschritten war.
In einer Untersuchung von Erwachsenen, welche an einer T-Zell-Leukämie erkrankt waren, beobachteten die Forscher, dass niedrigere Tryptophanspiegel auch mit einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit einhergehen. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei Patienten mit Dickdarmkarzinom und auch abseits von Tumorerkrankungen, wie bei der HIV-Infektion und verschiedenen Autoimmunkrankheiten. Dabei wiesen Patienten mit einer besseren Prognose einen weniger starken Tryptophanverbrauch auf.
Je aggressiver der Tumor, je stärker die Depression
"Ein Tumor entwickelt sich, wenn das Immunsystem zu schwach ist, um ihn abzuwehren", erklärt Fuchs. "Bei Tumorpatienten reduziert das Immunsystem die Verfügbarkeit von Tryptophan, indem es die Aminosäure abbaut, damit der Tumor nicht mehr wächst." Aufgrund des gemeinsamen immunologischen Hintergrunds wurden bei Patienten, die an malignen Tumoren leiden, erhöhte Neopterinspiegel, gleichzeitig aber erniedrigte Tryptophan- und Serotoninkonzetrationen im Plasma gefunden. Der Tryptophanabbau so wie die Neopterinproduktion scheinen umso stärker zu sein, je aggressiver ein Tumorgeschehen ist. Damit ist die Entstehung einer Depression umso wahrscheinlicher, je aggressiver ein Tumor ist. "Er belastet das Immunsystem stärker", so Fuchs.
Daraus resultiert eine stärkere Verarmung an Tryptophan. Es ist auch anzunehmen, dass erniedrigte Tryptophan- und erhöhte Neopterinspiegel schon vor der Diagnosestellung auftreten, denn diese Veränderungen sind im Plasma bereits zum Zeitpunkt der Diagnose und noch vor Beginn einer spezifischen Tumortherapie nachweisbar. Das würde bedeuten, dass ein vorliegendes aber noch nicht klinisch manifestiertes Tumorgeschehen schon zu einem Zeitpunkt zu einem verstärkten Tryptophanabbau führt, an dem der Tumor klinisch noch nicht nachweisbar ist.
Tumor löst Stimmungsschwankungen aus
"Wir können nicht sagen, ob durch den Tryptophan-Ausgleich auch die Prognose eines Tumors verbessert werden kann", erklärt Fuchs. "Die Grunderkrankung muss sicherlich mit etablierten Therapien behandelt werden." Fuchs geht es aber um Verständnis für despressive Tumorpatienten. "Es macht für die betroffenen Patienten einen Unterschied, wenn sie wissen, dass die Krankheit die Depression auslöst und nicht eine psychische Schwäche, was oft unterstellt wird."
Die Ergebnisse zeigen, dass ein maligner Prozess über eine Stimulation des Immunsystems und dem damit verbundenen gesteigerten Abbau von Tryptophan Stimmungsschwankungen auslösen kann und damit eine schlechte Nachricht vom Patienten weniger gut verarbeitet werden kann. Nicht die Depressionsneigung ist für die Entwicklung einer malignen Tumorerkrankung verantwortlich, sondern das Tumorgeschehen ist der Hintergrund für die Entwicklung einer pessimistischeren Lebenseinstellung. "Gelingt es, den Tumor zu heilen", so Fuchs, "würde sich der Tryptophanhaushalt normalisieren und langfristig die Depression von selbst ausheilen."