Nikotinersatztherapien gelten als unersetzliche Hilfe beim Ausstieg aus der Sucht - eine Ansicht, die Wiener Forscher in einer neuen Studie widerlegen konnten: Kaugummi, Pflaster & Co. können sogar schädlich sein.
Kaugummi, Pflaster, Nasenspray, Inhalatoren und Tabletten: Seit 20 Jahren kommen Nikotinersatztherapien für die Raucherentwöhnung zum Einsatz. Sie sollen jene Entzugssymptome lindern, die mit der Zigarettenabstinenz einhergehen und dem Raucher helfen, dem Zwang zur Zigarette zu widerstehen. Die Nicotine Replacement Therapy (NRT) wurde mit zusätzlichen Nikotinpräparaten und neuen Indikationen erweitert, obwohl Langzeitstudien keine überzeugenden und messbaren Erfolge gezeigt haben. Dennoch gelten Ersatztherapien als unersetzliche Hilfe beim Ausstieg aus der Sucht - eine Ansicht, die von Forschern der Medizinischen Universität Wien in Zusammenarbeit mit einer internationalen Gruppe anerkannter Toxikologen in einem Critical Review nun widerlegt wurde.
Wirkungslos und schädlich
Nikotinersatztherapien sind nicht länger das Mittel der Wahl zur Rauchentwöhnung. Im Gegenteil: Die Folge ihrer Anwendung sind Mehrfachabhängigkeiten und die Prolongierung der Nikotinsucht. Die neue, im US-"Journal of Health Psychology" publizierte Studie zeigt, dass Ersatztherapien oft nicht nur wirkungslos bleiben, sondern sogar schädlich sein können. Nikotinersatzprodukte setzten die Erweiterbarkeit der Arterien herab, fördern Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Niere und der Netzhaut und kann zu Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren führen. Nikotin fördert auch verschiedene Krebserkrankungen. Es kann die Vermehrung von Tumorzellen verstärken, ihre Absterben dagegen hemmen. "Außerdem kann es die Neubildung von Gefäßen anregen, die den Tumor mit Blut versorgen. Alle drei Vorgänge beschleunigen das Tumor-Wachstum und können damit die Krebsentstehung fördern. Eine längerfristige Zufuhr von Nikotin könnte daher den Rückgang des Krebsrisikos verhindern, der sonst bei erfolgreicher Entwöhnung eintritt", so Univ.-Prof. Dr. Rolf Schulte-Hermann ehemaliger Leiter des Instituts für Krebsforschung der MedUni Wien.
Kritisch für Schwangere und Jugendliche
Als besonders problematisch hat sich die Anwendung von Nikotinersatztherapien bei Schwangeren und Jugendlichen im Teenager-Alter erwiesen. Die Substitutionstherapie wurde zwar im Vorjahr in Großbritannien von den British Health Services offiziell empfohlen, von den Forschern jedoch vehement kritisiert, denn die toxische Wirkung von Nikotin wird unter den Tisch gekehrt. "Für Schwangere und junge Menschen, deren Organismus sich noch in Entwicklung befindet, bedeutet Nikotin auch in der Form von Ersatzprodukten eine Gefahr", so der Internist und Umwelthygieniker Univ.-Prof. Dr. Manfred Neuberger von der MedUni Wien, der gemeinsam mit Schulte-Hermann an der Internationalen Studie mitgearbeitet hat. "Nikotin besetzt Rezeptoren im Nervensystem und führt zu einer Vermehrung dieser Rezeptoren im Gehirn und anderen Organen. Bei Schwangeren kann sich sowohl das Nikotin aus der Zigarette wie das aus Ersatzprodukten schädlich auf die Entwicklung des Fötus auswirken und die Reifung von Lunge und Gehirn stören." Der perinatale Einfluss von Nikotin erstreckt sich auf das 'Sudden Infant Death Syndrome' (SIDS), auf die 'Attention Deficit Hyperactivity Disorder' (ADHD), auf Probleme in Gemütszustanden, Benehmen, Denken und Lernen der Kinder. Sie sind in weiterer Folge im jugendlichen Alter besonders anfällig für Depressionen und frühzeitige Nikotinsucht.
Verantwortungsvoller Umgang
Im Gegensatz zu Großbritannien ist in vielen anderen europäischen Ländern die Substitutionstherapie für Personen unter 18 Jahren und für Schwangere laut Arzneimittelinformation nicht empfohlen, oder deren Gebrauch als Kontraindikation festgehalten. Die Forscher der MedUni Wien fordern zum verantwortungsvollen Umgang mit der Nikotinersatzprodukten auf. "Wir sind uns alle einig, dass die Tabakepidemie gestoppt werden muss", so Neuberger. "Aber Rauchen kann nicht beseitigt werden, wenn nicht gleichzeitig die Nikotinsucht überwunden wird. Wenn aber Nikotinprodukte weiterhin allgemein zugänglich bleiben und sogar Ungeborenen, Kindern und Jugendlichen aufgedrängt werden, wird die Nikotinsucht mit ihren tragischen Folgen für die Menschheit auf unbestimmte Zeit in die Zukunft fortdauern".