Die Zeiten, in denen Radiotherapeuten einem bösartigen Tumor mit voller Strahlenwucht zuleibe rückten, sind vorbei. Dank intensitätsmodulierter Behandlung brennt der Tumor, und nebenan merkt niemand was. Neue Algorithmen erhöhen die Präzision des Verfahrens noch weiter - aber erstattet wird es immer noch nicht.
Die Idee ist so einfach wie genial: Statt mit einer Strahlenkanone frontal auf einen Tumor drauf zu halten, wird die einfallende Dosis durch einzelne, motorgesteuerte Blei-Blenden, die sich im Strahlenfeld umherbewegen wie die bei einem Mobile, exakt reguliert. Dadurch bleibt zwar das Zielgewebe immer im Strahlenfokus, nicht aber benachbarte, gesunde Gewebe, die nur sehr viel niedrigere Dosisstärken abkriegen. "Intensitätsmodulierte Radiotherapie" heißt dieses Verfahren, und es ist seit einigen Jahren überall auf der Welt auf dem Vormarsch.
Algorithmen mit Hirn schonen Speicheldrüsen und Co
"In Deutschland können zwei Drittel der Universitätskliniken dieses Verfahren mittlerweile prinzipiell anbieten", sagte Professor Winfried Budach von der Klinik für Strahlenheilkunde am Universitätsklinikum Düsseldorf. Die meisten dieser Häuser arbeiten mit kommerziell erhältlicher Software, die die Bestrahlungsfelder berechnet. Nicht ideal, wie Budach meint. In Düsseldorf wurde deswegen jetzt das Hyperion-System in Betrieb genommen, eine bisher kommerziell nicht erhältliche Software der Abteilung für Medizinische Physik der Universität Tübingen, wo Budach vor seinem Wechsel nach Düsseldorf Oberarzt war. "Einer der Vorteile ist, dass bei diesem System für normale Gewebe die genauen Dosis-Nebenwirkungsbeziehungen hinterlegt sind", so Budach im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter. Das System "weiß" also, welche Strahlendosis das umgebende Gewebe eines Tumors verträgt beziehungsweise was passiert, wenn bestimmte Dosisstärken überschritten werden. Damit kann der Computer die Bestrahlungsfelder sehr viel präziser aufeinander abstimmen. Bei einer Bestrahlung von Tumoren im Hals oder Kopf können so beispielsweise die Speicheldrüsen geschont werden - für den Patienten ein Segen, denn das erspart ihm quälende Mundtrockenheit. Und bei bösartigen Geschwulsten in der Nähe des Spinalkanals kann auf das Rückenmark sehr viel mehr Rücksicht genommen werden als bisher.
Mal kein Kasino: Monte Carlo
Der zweite Vorteil von Hyperion liegt in der Art der Dosisberechnung. Ihr liegt eine so genannten Monte Carlo-basierte Dosisverteilung zu Grunde, bei der mit Protonen-Simulationen gearbeitet wird. "Damit können die Wechselwirkungen besser beschrieben werden, was wesentlich realistischere Vorhersagen für die tatsächlich im Gewebe auftretende Dosis erlaubt", so Budach. Vor allem an den Grenzflächen von Luft und Knochen oder Knochen und Wasser wird die Bestrahlungsplanung dadurch exakter. "Dort sagen bisherige Bestrahlungsplanungssysteme nicht so ganz die Wahrheit", so Budach. Doch egal ob moderne Software oder nicht: In der Regelversorgung angekommen ist die intensitätsmodulierte Strahlentherapie bisher nicht. Der Grund ist, wie so oft, das Geld. "Weder im EBM noch in der GOÄ gibt es bisher Zusatzentgelte für das intensitätsmodulierte Verfahren", beklagt Budach. Damit erhält ein Strahlentherapeut, der sich die Mühe der exakteren Dosisberechnung macht, genauso viel Geld wie einer, der das nicht tut. Ein Strahlentherapeut, der seinen Patienten in der Regelversorgung regelmäßig die intensitätsmodulierten Therapien anbieten wollte, würde pleite gehen, denn der Zeitbedarf ist derzeit etwa vier- bis fünfmal höher als bei der Standardbestrahlung.
Klinken putzen beim Gemeinsamen Bundesausschuss
In dieser Rechnung ist freilich noch Luft: So wird in Düsseldorf derzeit jeder Bestrahlungsplan einmal getestet, um die tatsächlich auftretenden Dosisstärken an repräsentativen Stellen zu messen. Doch selbst wenn in Zukunft auf diese zusätzliche Sicherheitsmaßnahme verzichtet werden könnte, würde das Verfahren immer noch zwei- bis dreimal länger dauern als die Standardtherapie. Die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie und der Berufsverband der Strahlentherapeuten haben sich deswegen aufgemacht, um beim Gemeinsamen Bundesausschuss Klinken zu putzen. Es gibt ein laufendes Verfahren, dass, so die Hoffnung, im nächsten oder übernächsten Jahr endlich den erwünschten Abschluss finden soll.