Psychischer Stress bringt den Lebensmotor aus dem Takt. Wie sehr zum Beispiel Depressionen, fehlende Geborgenheit und Konflikte ans Herz gehen können, haben zahlreiche Studien gezeigt: Die Leiden der Seele schwächen den Lebensmuskel. In der Versorgung von Herzpatienten ist eine Kursänderung angesagt. Herausforderung für die Kardiologie...
Herzerkrankungen sind noch immer mit Abstand die Todesursache Nummer eins - ungeachtet aller Fortschritte in kardiologischer Prävention und Therapie. Was die Herzen kränkt, sind nicht allein Ernährungssünden, Übergewicht, Bewegungsmangel oder zu viele Zigaretten. Nicht einmal die Hälfte aller Fälle lassen sich durch die konventionellen Risikofaktoren für die Herzgesundheit erklären. Emotionaler Stress, Depressionen, Ängste, Aggressionen und Trauer gehen nicht minder ans Herz: "Auf die Dauer bewirken psychosoziale Stressoren eine Herzschädigung", so Professor Jochen Jordan, Leiter der ersten Klinik für Psychokardiologie in Bad Nauheim.
Risikofaktor psychischer Stress
Die enorme gesundheitliche Brisanz der Allianz von Herz und Psyche ist hinreichend belegt. Zahlreiche Studien zeigen, dass psychosoziale Stressoren wie vor allem Depressionen eigenständige Risikofaktoren darstellen. Diese können Entstehung und Verlauf von koronaren Herzerkrankungen entscheidend beeinflussen und die Prognose erheblich verschlechtern: "Ihre quantitative Bedeutung ist gleichzusetzen mit der von körperlichen Faktoren wie Bewegungsarmut oder Zigarettenkonsum", warnt Jordan. Nach seinen Worten gehen von psychischem Stress "eindeutig Reaktionen mit Krankheitswert auf den Organismus aus." Denn wird das autonome Nervensystem jahrelang intensiv aktiviert, resultiert daraus eine Dysregulation der Herz-Kreislauf- und Stoffwechselfunktionen. Was den Hypothalamus in Daueralarm hält, steigert Herzfrequenz und Blutdruck, vermehrt Cholesterin und Triglyzeride, fördert die Aggregationsneigung der Thrombozyten, erhöht den Sauerstoffbedarf des Herzens, vermindert die Variabilität der Herzfrequenz und schwächt das Immunsystem.
Multipler Stress für das Herz... Er kann Prozesse in Gang setzen, die mit Blaulicht in die Intensivstation führen - wie der sprunghafte Anstieg plötzlicher Herztode nach dem großen Erdbeben in Los Angeles 1994 zeigte. Nur eines von vielen Indizien. So finden sich unter Herzkranken auch überdurchschnittlich viele Patienten mit Depressionen - nahezu ein Viertel leidet darunter. Weiter zeigte sich, dass fehlender "social support" die Gefahr erhöht, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken: Kontaktarmut und soziale Isolation steigern beispielsweise das Infarktrisiko um das Dreifache. Auch die Redewendung vom "gebrochenen Herz" besitzt eine medizinische Grundlage, wie die Broken-Heart-Studie ergab.
Die Sterblichkeitsrate an Herzerkrankungen lag bei Witwern im ersten halben Jahr nach dem Tod der Ehefrau um 40 Prozent höher als bei verheirateten Männern gleichen Alters und Risikoprofils. Dass eine feste emotionale Bindung besonders für Männer ein klarer Schutzfaktor ist, bestätigt auch Jordan: "Single-Männer haben ein 2,9-fach erhöhtes Infarktrisiko." Koronarschädigende Effekte zeitigt auch Frust am Arbeitsplatz. Fehlende Anerkennung und geringe Eigenverantwortung - "Gratifikationskrise" genannt - gelten in der Psychokardiologie als Risikosituation.
Kardiologie auf neuen Wegen
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse etablierte sich die Psychokardiologie. Sie identifizierte psychischen Stress als bedeutenden Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten und machte dieses Wissen für eine integrierte Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen verfügbar. Psychokardiologische Strategien kombinieren laut Jordan konventionelle kardiologische Methoden mit tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und Verhaltensmedizin: "Die Koronarpatienten werden in einem integrativen Netzwerk versorgt." Dieses umfasst auch Ernährungsumstellung, Raucherentwöhnung, Körpertherapie, biofeedback-gestütztes Entspannungstraining und Programme zum gezielten Stress-Management.
Das Konzept hat Erfolg: Inzwischen wurde die erste deutsche Klinik für Psychokardiologie auf dem Kerckhoff-Campus in Bad Neuheim eröffnet und an der Universität Göttingen eine Schwerpunktprofessur Psychokardiologie eingerichtet. Inhaber dieses bundesweit bislang einzigen Lehrstuhls ist Professor Christoph Herrmann-Lingen. Die Kosten für psychokardiologische Behandlungen müssen die Patienten noch selbst tragen - die gesetzlichen Krankenkassen zahlen derartige Angebote bislang nicht. Nur Privatversicherte bekommen je nach Kasse einen Teil der Kosten zurückerstattet.