Mit dem HI-Virus infiziert zu sein, wird von Laien häufig gleichgesetzt mit dem Makel einer quälenden, den Alltag einschränkenden Erkrankung. Dabei kann der heutige Stand der Medizin den Betroffenen ein "fast normales" Leben ermöglichen - wäre da nicht noch immer die oft berechtigte Angst Aidskranker, von ihrer Umwelt stigmatisiert zu werden.
Die HIV-Diagnose damals und heute
Jan* weiß seit fünf Jahren, dass er HIV-positiv ist - und seit fünf Jahren hat er nur ein Ziel: "Normalität erreichen". Der heute 30-Jährige erfuhr im Rahmen einer medizinischen Regeluntersuchung an einer ausländischen Universität von seiner Infektion. Wo er sich infiziert hat, weiß er nicht. Natürlich, berichtet er rückblickend, habe er zunächst panisch reagiert, schließlich standen auf einen Schlag eine Reihe von Fragen im Raum: 'Wie geht es jetzt weiter, wie wird mein Freund reagieren, kann ich mein Studium weiterführen' und und und. Schneller als erwartet fand er sich - gemeinsam mit seinem Freund - in einer HIV-Schwerpunktpraxis in Berlin-Schöneberg wieder. Dr. med. Heiko Jessen, der dort tätige Allgemeinmediziner und Experte für die Viruserkrankung, erklärte Jan alles, was es nun für ihn zu wissen galt.
"Nachdem die Patienten durch mich oder andere Ärzte von der Diagnose erfahren, brauchen sie erst einmal seelischen Beistand", weiß Jessen. Gut sei, gleich eine Vertrauensperson zu kontaktieren, damit der Betroffene nicht alleine dasteht. Doch trotz des ersten Schocks, den die Diagnose auslöse, macht Jessen all seinen Patienten Mut. Denn mit HIV zu leben, sagt der Arzt, bedeute längst nicht mehr, auf sein Ableben zu warten. "Die Lebenserwartung wird vergleichbar der mit anderen chronischen Erkrankungen." Das sei vor 13 Jahren - damals gab es noch keine Kombinationstherapien - anders gewesen. "Damals ging es um die Behandlung von Schwerstkranken und Sterbenden."
Der "fast" normale Alltag
Jan startete bereits wenige Wochen nach der Erstdiagnose mit der Therapie, denn seine Werte machten ein zügiges Eingreifen erforderlich. Drei Tabletten morgens und drei abends musste er schlucken, die Nebenwirkungen ließen nicht lange auf sich warten. Nach mehreren Monaten starken Durchfalls wechselte er in Absprache mit Jessen das Präparat - und ist bis heute sehr zufrieden. "Bis auf ab und an komische Träume und etwas stärkeres Schwitzen merke ich nichts", erzählt Jan. Weder leide er unter Depressionen, noch müsse er auf irgendetwas verzichten. Kleine Einschränkung: die Urlaube. Dort sei es manchmal aufgrund der Zeitverschiebung mit der Einnahme der Medikamente etwas "nervig", doch daran hat Jan sich gewöhnt. Unterm Strich hat er sich relativ schnell klar gemacht, dass "Alltag wirklich Alltag sein kann".
Entgegen vieler Vorurteile können sehr viele HIV-Patienten all das tun, was auch gesunde Menschen gerne machen: Ins Schwimmbad gehen, in die Sauna, Sport treiben, was auch immer. "Natürlich sind noch immer viele Ängste innerhalb der Bevölkerung vorhanden", sagt Dr. med. Jörg Gölz, Arzt in einer weiteren Berliner Schwerpunktpraxis am Kurfürstendamm. "Doch diese Ängste haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun." Natürlich sollten sich HIV-Patienten regelmäßigen Untersuchungen unterziehen und einmal im Vierteljahr einen Bluttest machen lassen. Und natürlich sei beim Geschlechtsverkehr der Gebrauch von Kondomen ein Muss. Doch durch die heutige Vielfalt an Therapieoptionen, sagt Gölz, seien in der Regel die nächsten 20 Jahre vom Zeitpunkt der Erstdiagnose an gesichert. Außerdem, das unterstreichen sowohl Gölz wie auch sein Kollege Jessen, komme die Forschung jeden Tag einen Schritt weiter.
Vorsicht beim Arzt
Einzig beim Arzt - vor allem auch bei nicht HIV-bezogenen Behandlungen wie beim Zahnarzt - müssen die Patienten einige Sicherheitsvorkehrungen beachten. Nicht nur zu ihrem eigenen Schutz, sondern auch dem des Behandlers. Jeder HIV-Patient hat zunächst ein festgeschriebenes Recht auf Behandlung. Eine Weigerung des Arztes gilt nicht nur als fragwürdig, sondern auch unnötig, da bislang von keiner Ansteckung bei der Zahnbehandlung eines HIV-Patienten berichtet wurde. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl von zahnmedizinischen Problemen, die ihren Ursprung in der Infektion selbst haben. Ist also akuter Versorgungsbedarf vorhanden, muss der Arzt entweder selbst behandeln oder dem Patienten eine echte Alternative bieten können. Im Extremfall kann ein anderes Verhalten als unterlassene Hilfeleistung gelten.
Nicht jeder HIV-Betroffene geht offensiv mit seiner Kranheit um und meldet diese bei der ersten Arztvorstellung. Verpflichtet dazu ist er nicht, auch wenn dies die Fairness vielleicht gebieten würde. Am sinnvollsten ist es, sich als Patient vor der Behandlung bei Zahnärztekammer nach einer ensprechenden Schwerpunktpraxis zu erkundigen. So entstehen erst gar keine Probleme und der Patient kann sich in den besten und erfahrensten Händen wähnen.
Eines bleibt: die Stigmatisierung
Obwohl die Krankheit Jans Leben äußerlich kaum zu beeinflussen scheint, trägt er in seinem tiefsten Innern eine ständige Sorge mit sich herum: die Sorge, Freunde, die Familie, wer auch immer, könnten ihn bemitleiden oder ausstoßen, wüssten sie um den HI-Virus in seinem Körper. Aus diesem Grund wissen nur sehr wenige Menschen, wie es um Jan steht. "Ich habe keine Lust, mich bei jedem zu fragen, wie er oder sie darauf reagiert", erklärt der 30-Jährige. Mitleid sei das Letzte, was er wolle.
Von einer ähnlichen Reaktion einer Patientin berichtet Jessen. Die 50-Jährige Hausfrau war durch ihren Mann infiziert worden, denn der führte, wie sie erfuhr, ein Doppelleben. Weder ihren Kindern, geschweige denn ihren Enkelkindern möchte die Frau von der Erkrankung erzählen, aus Angst, von diesen nicht mehr akzeptiert zu werden.
Experte Gölz erklärt diesen inneren Prozess Betroffener mit den folgenden Worten: "Betroffene denken, sie seien nicht mehr ideal". Deshalb unterteile sich ihre ganze Welt in Personen, die es wissen und solche, die es nicht wissen.
*Name frei erfunden