Gehört das Bücherwälzen in der Bibliothek bald der Vergangenheit an? Immer mehr Studenten lernen digital. Wir stellen euch die neuesten Trends vor, die das Büffeln für medizinische Prüfungen revolutionieren könnten.
Heutzutage lernen viele Medizinstudenten gerade zu Beginn ihres Studiums noch mit Fachbüchern in der Bibliothek. Die meisten steigen dabei irgendwann auf kurz gebündelte Informationen wie beispielsweise die medi-learn-Skriptenreihe oder die Endspurt-Hefte des Thieme-Verlags um, probieren online die Prüfungsfragen aus oder integrieren das Flexikon in ihre Lernroutine. In der Klinik gibt es dann einen deutlichen Favoriten unter den meisten Medizinern: Inzwischen bereiten sich 95 Prozent aller angehenden Ärzte mit dem Programm Amboss auf das zweite Staatsexamen vor. Zu jeder Staatsexamensfrage lässt sich in kleinen Häppchen die relevante Information einblenden und damit nicht nur am Computer ankreuzen, sondern gleichzeitig auch lernen. „Man muss heute zum Lernen nicht mehr in Bibliotheken sitzen und Bücher wälzen. Das geht digital viel besser“, erklärt einer der Gründer den Erfolg des Programms. Amboss macht es vor, andere machen es nach. Überall tauchen neue Angebote auf, die das Lernen im Medizinstudium erleichtern sollen. Über dicken Büchern in der Uni-Bibliothek zu schmökern, gehört wohl bald der Vergangenheit an – vor allem digitale Lernhilfen sind stark im Kommen. DocCheck stellt euch die neuesten Trends rund um das zukünftige Lernen von Medizinstudenten vor.
Eine besondere Lernhilfe, die gerade für akustische Lerntypen sehr nützlich ist, bietet die Firma meditorium an. Wer nach einem langen Unitag keine Lust mehr auf Lesen von Fachliteratur hat oder nebenbei beim Joggen, Kochen oder in der Bahn lernen möchte, findet hier die optimale Prüfungsvorbereitung. meditorium bietet medizinische Podcasts zum Download an, in denen Medizinstudenten gut verständlich die wichtigsten Fakten und Erklärungen zum jeweiligen Fachgebiet eingelesen haben. Nebenbei werden auch noch Merkhilfen für komplizierte Sachverhalte genannt und in Kürze die wichtigsten Dinge zusammengefasst. Ideal für Studenten, die viel mobil unterwegs sind und die Zeit dennoch sinnvoll zum Lernen nutzen wollen. Die zwei Gründer Luk und Schiwi sind selbst Ärzte und hatten die Idee zur App in einer stressigen Prüfungsphase. Sie nahmen sich selber Lern-Podcasts auf und tauschten sie untereinander. „Wir waren damals so begeistert von den didaktischen Vorteilen, dass wir dachten: das müssten wir richtig systematisch aufbauen und vielen Studenten zugänglich machen.“ Wenn die Studenten am Ende des Semesters keine Energie mehr haben, selbst aktiv zu lesen und Informationen aufzunehmen, wünschen sie sich zur Abwechslung mal wieder berieselt zu werden und etwas leicht verständlich erklärt zu bekommen. Genau hier greift meditorium an. Während die Vorlesungen zur Zeit der Prüfungsvorbereitung meistens schon längst vorbei sind und zudem sehr viele prüfungsirrelevante Informationen enthalten, versuchen die Podcasts in 5 bis 20 Minuten das Examensrelevante aus einem Fach prägnant zusammenzufassen und den Studenten zu vermitteln. „Weniger Bib – mehr Zeit in der Sonne“ lautet das Motto der beiden Gründer, die sich bewusst für reine Audioaufnahmen entschieden haben, damit man sie auch beim Sport, in der Bahn oder in der Badewanne hören kann. Jede Aufnahme ist in weitere Unterabschnitte zu Klinik, Diagnostik und Therapie gegliedert, die man mithilfe der App auch einzeln anhören oder zu seiner persönlichen Wiederholungsplaylist hinzufügen kann.
Während meditorium auditive Pauker unterstützt, ist der nächste Trend etwas für die visuellen Lerner unter euch. Visual Learning nennt sich eine Technik, die vor allem Gedächtniskünstler anwenden, um sich möglichst viel Stoff in möglichst kurzer Zeit zu merken. Perfekt also auch für das Medizinstudium. Auf der Seite von SketchyMedical wird erklärt, wie dieses Schnellmerksystem funktioniert. Man stellt sich zunächst Bilder zu den Lernbegriffen vor, die man in einer ausgedachten Geschichte dann als Objekte in einem Raum platziert und so erhält man eine Skizze im Kopf, die man viel einfacher behält als Wörter. Viele kennen das ja, meistens weiß man noch, was wo auf einer Seite stand, als man es gelernt hat. Was da aber genau stand, wissen wir oft nicht mehr. In einem erstellten Merkbild weiß man, dass im Bild dieses oder jenes Symbol dargestellt war und kann sich so besser an den Stoff erinnern. Will man sich beispielsweise das Antibiotikum Rifampicin merken, stellt man sich ein Korallenriff unter Wasser vor. Das Korallenriff ist blau und rot, was für die Wirksamkeit im grampositiven und -negativen Bereich des Antibiotikums steht. Stellt man sich nun noch vor, dass neben dem Riff eine Likörflasche steht – als Symbol für die Liquorgängigkeit – , ist das Bild komplett. Aber keine Sorge, ihr müsst euch das natürlich nicht alles selber ausdenken. Andere Studenten haben sich bereits Geschichten und Bilder ausgedacht, die euch in Videos Schritt für Schritt gezeigt und erklärt werden und ihr merkt euch am Ende nur das Bild. Solche visuellen Eselsbrücken gibt es auch in deutscher Form. Auf der Seite meditricks.de wird euch dasselbe Konzept von Paul von Poellnitz näher gebracht. Ob die Lernlandschaft dadurch in Zukunft revolutioniert wird? In Australien gibt es mittlerweile sogar erste Studien, die zeigen, dass visuelle Kunst im Curriculum des Medizinstudiums die Beobachtungs- und Zuhörfähigkeiten, Teamwork sowie analytisches unf reflektives Denken fördert. Mit der Fähigkeit, sich ein detailliertes Bild vom Patienten zu machen, können Kliniker visuelles und klinisches Wissen vereinen, um so leichter medizinische Pathologien zu diagnostizieren. Getreu dem Motto „je mehr einer schaut, desto mehr sieht er“ wird an der Bond University School of Medicine in Queensland ein Workshop angeboten, in dem Medizinstudenten kleine Filme, Gedichte oder Bilder erstellen können, um visuelle Denkstrategien zu medizinischen Krankheitsbildern zu erlernen. Und das hat noch einen weiteren Vorteil: „Der Workshop hat mich wieder daran erinnert, warum ich mich entschieden habe, Medizin zu studieren. Das vergisst man leicht, wenn man nur lernt, lernt, lernt. In diesem Workshop hatte ich Zeit, nachzudenken und zu reflektieren. Es brachte mich zum Umdenken – meine treibende Kraft fim Studium ist es, Arzt zu werden und nicht nur für Prüfungen zu büffeln“, so ein Teilnehmer des Programms. Hat das Konzept durchschlagenden Erfolg, könnte es auch an anderen Medizinuniversitäten angeboten werden, vielleicht sogar irgendwann bei uns.
Wer sich die neuesten Projekte von amerikanischen Softwarefirmen zum Thema „Lernen der Zukunft“ anschaut, wähnt sich zunächst wohl eher in einem Science-Fiction-Film. Studenten mit riesigen schwarzen Brillen auf der Nase können in Echtzeit die menschliche Anatomie studieren, indem sie ein virtuelles menschliches Skelett in ihren eigenen vier Wänden anfassen und auseinandernehmen. Vor kurzem hat Microsoft die neue HoloLens Development Edition auf den Markt gebracht, mit der es die bisherige Art des Unterrichts komplett revolutionieren will. Gerade im Medizinstudium kann Virtual Reality völlig neue Perspektiven des Lernens eröffnen. Beispielsweise kann man sich alle Muskeln des Menschen auf einmal anzeigen lassen und so genau verstehen, wo welcher Teil am Knochen ansetzt, aber auch nach Belieben die verschiedenen Schichten des virtuellen Körpers wegschieben und tiefer gelegene Strukturen sichtbar machen. So wird das kompliziert wirkende Bild aus dem Anatomie-Atlas ein plastisches 3D-Modell zum Anfassen und Experimentieren. Man kann live den Herzschlag und Bluttransport über Vorhöfe, Kammern und Gefäße nachvollziehen oder sich die verschiedenen Pathologien anschaulich darstellen lassen. Gleichzeitig kann man die HoloLens aber auch zum Trainieren der körperlichen Untersuchung oder zur Vorbereitung auf Operationen nutzen. Es können Patienten mit verschiedensten Krankheiten simuliert werden. Auch die US-Firma 3D 4 Medical hofft, das Lernen mittels Hologramm-Technik zu verändern. Wann die Technik im Medizinstudium zum Einsatz kommen wird, steht noch nicht fest. Sie befindet sich gerade erst im Anfangsstadium. Ob die Präp-Kurse an Leichen wohl bald der Vergangenheit angehören? https://www.youtube.com/watch?v=SKpKlh1-en0&feature=youtu.be
Eine neue spannende Entwicklung aus dem 3D-Drucker präsentierte vor kurzem der Forscher Richard Arm von der Nottingham Trent University. Er entwickelte einen 3D-Silikon-Dummy, der wie ein echter Mensch wirkt. Arm wurde von einem befreundeten Chirurgen gefragt, ob er ein Herzmodell für eine Übung entwickeln könnte. Daraus entstand die Idee, doch gleich eine ganze menschliche Puppe für eine OP-Simulation zu kreieren. Mit Kunstblut gefüllt, kann dieser Dummy mit Skalpell geöffnet und operiert werden. Das Besondere ist, dass sich die OP wie bei einem echten Patienten anfühlt, da jedes Organ aus Silikongel und -fasern nach dem Vorbild von echten CT-Bildern 3D-gedruckt wurde. So sehen die Organe wie Herz und Lunge nicht nur echt aus, sondern fühlen sich auch echt an, indem die verschiedenen Härtegrade von Herzklappen und Arterien körpergetreu simuliert wurden. Der Dummy kann sogar Luft eingeblasen bekommen, um eine echte Atmung zu imitieren. „Das Ziel ist es, angehende Chirurgen möglichst gut auf OPs im echten Leben vorzubereiten, indem wir möglichst realistisch die menschliche Anatomie und Umgebung darstellen. So können sie ihre chirurgischen Fähigkeiten trainieren und das postoperative Outcome der Patienten wird verbessert“, erklärt Arm. Doch die OP-Simulation an der Puppe kann auch genutzt werden, um die Medizinstudenten mental auf ihre Aufgabe vorzubereiten, irgendwann einen menschlichen Körper aufzuschneiden. Vielleicht werden solche Dummys eines Tages auch Einzug in das Studium halten, um von Anfang an die Anatomie und Physiologie daran zu studieren. Noch ist der Prototyp des sogenannten „Thorax-Trauma-Trainers“ in der Entwicklung. Es wird aber daran gearbeitet, auch Gehirn, Augen, Pankreas und weitere Organe des Menschen für OP-Vorbereitungen zu simulieren. Der komplette Dummy wird voraussichtlich ab Dezember 2017 verfügbar sein. In diesem Video könnt ihr sehen, wie realistisch der Körper aussieht: https://www.youtube.com/watch?v=DVIcSpyeXqk
Es bleibt abzuwarten, welche dieser Lerntrends sich durchsetzen und welche wieder in der Schublade verschwinden. Vielleicht lernen Medizinstudenten irgendwann in einer voll virtualisierten Welt aus künstlichen Dummys, vielleicht geht der Trend aber auch zum Bücherlernen zurück. Eventuell werden sich auch die Dozenten mehr anstrengen, ihre Vorlesungen und Seminare interessanter zu gestalten, um den Studenten beim Lernen behilflich zu sein. So wie ein Dozent der Sichuan Universität im Westen Chinas. Er verwendet eine gänzlich unkonventionelle Methode, um Studenten vor Langeweile in Vorlesungen zu bewahren. Mithilfe von digitaler Gesichtserkennung analysiert er, welche Teile seiner Vorlesung die Studenten langweilen und wie er diese spannender gestalten kann. Dazu werden die Gesichter der Studenten gefilmt und ein Programm analysiert, ob diese interessiert-aktiv, neutral oder gelangweilt schauen. Nach der Auswertung kann der Professor sehen, wann seine Studenten mehr Interaktion brauchen. Seiner Meinung nach lernen die Studenten dann am erfolgreichsten, wenn sie im Unterricht mitmachen und aufmerksam sind. Jeder Student muss letztlich für sich die beste Art des Lernens finden. Durch die zahlreichen neuen Angebote wird das Büffeln zwar nicht weniger, aber zumindest angenehmer.