Weil die Ärzte die Justiz fürchten, könnten Rabattverträge in Probleme geraten. Wer bei einem Generikum aut idem zulässt, haftet für eventuelle Komplikationen, wenn der Apotheker das Präparat ersetzt. Pharmazeuten erinnern deswegen an die Leitlinie zur Substitution. Doch einigen Ärzteverbänden reicht das nicht.
Seit der Gesetzgeber mit der letzten Gesundheitsreform das Tor für Rabattverträge geöffnet hat, sind die oligopolartigen Strukturen auf dem deutschen Generikamarkt gehörig ins Wanken geraten. Zwar gab es vor allem bei den AOK-Verträgen anfangs Probleme mit der Verfügbarkeit der Präparate. Die aber sind langsam im Abklingen begriffen. Den anvisierten Millioneneinsparungen im deutschen Gesundheitswesen steht demnach nichts mehr im Wege. Oder doch?
BGH: Arzt muss aufklären. Immer.
Ein kürzlich ausgesprochenes Gerichtsurteil des Bundesgerichtshofs bringt derzeit einige Unruhe in die Rabattlandschaft. In dem Verfahren wurde ein Arzt verurteilt, der eine Herzpatientin bei einer Arzneimittelumstellung von dem Antiarrhythmikum Propafenon auf die Substanz Amiodaron nicht angemessen aufgeklärt hatte. Die Patientin erlitt eine Woche nach Beginn der Medikation einen plötzlichen Herztod. Sie konnte reanimiert werden, behielt aber kognitive Störungen zurück. Es handelt sich dabei um eine seltene, aber mögliche Komplikation der Amiodaron-Therapie. Der Arzt hatte darüber nicht explizit informiert. Er machte zwar geltend, dass die Vorbehandlung unwirksam gewesen sei, und dass das Risiko einer tödlichen Rhythmusstörung "nach Amiodaron" wahrscheinlich geringer war als "vorher". Das aber ließen die Richter nicht gelten: Über spezifische Risiken bei einem Therapiewechsel müsse aufgeklärt werden, und außerdem könnten Risiken bei einem Therapiewechsel nicht einfach verrechnet werden, so die Begründung. Neu ist diese Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs ganz und gar nicht. Dass sie trotzdem gerade jetzt für Wirbel sorgt, liegt an den Rabattverträgen, bei denen Ärzte, sich verpflichten, jene Generika einzusetzen, für die die Krankenkasse des Patienten einen Rabattvertrag abgeschlossen hat. Der Arzt kommt dieser Verpflichtung beispielsweise nach, in dem er "aut idem" zulässt, und der Apotheker gibt dann eines der rabattierten Präparate aus, was allen Beteiligten wiederum einen kleinen finanziellen Bonus beschert. Das Problem: Der Arzt verliert damit zwar nicht die Kontrolle über die verabreichte Substanz, wohl aber über das verabreichte Präparat. Für Komplikationen haftet er aber weiterhin, und nicht etwa der Apotheker, der das Präparat ausgibt.
Gesundheitsrisiko Rabattvertrag?
Relevant ist das im Zusammenhang mit Rabattverträgen deswegen, weil sich die Bioverfügbarkeit der Generika teilweise deutlich unterscheidet. Der Wechsel von einem Generikum auf ein anderes ist pharmakologisch gesehen problematischer als der von einem Originalpräparat auf ein Generikum, weil sich die Generika am Original orientieren und die Abweichungen hier in beiden Richtungen möglich sind. Dr. Kuno Winn, der Chef des Hartmannbunds, warnt deswegen vor unkalkulierbaren Risiken der Rabattverträge. "Jeder Arzt, der aut idem zulässt, steht voll im Haftungsrisiko - ohne zu wissen, welches Medikament der Apotheker dem Patienten aushändigt", betont Winn, und weiter: "Bei der gültigen Rechtslage bedeutet das im Klartext: Der Arzt ist gehalten, durch die Teilnahme an Rabattverträgen Kosten für die Gemeinschaft der Versicherten zu senken, steht aber für etwaige Risiken persönlich voll in der Haftung. Das ist unakzeptabel." Winn hat deswegen ein Schreiben an die Bundesgesundheitsministerin aufgesetzt, in dem er sie dazu auffordert, Lösungen zu erarbeiten. Und ziemlich unverhohlen droht er damit, den Mitgliedern seines Verbands zu empfehlen, die Rabattverträge zu boykottieren.
Blick in die Leitlinie kann helfen
Allerdings: Das von Winn angesprochene Problem ist streng genommen nicht erst durch die Rabattverträge über die Ärzte gekommen. Einige Pharmazeuten reiben sich angesichts der Tiraden denn auch ein wenig verwundert die Augen. Die aut idem-Praxis gibt es seit Jahren, und die damit verbundenen Probleme wurden längst diskutiert. Schon im Jahr 2002 hat die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft beispielsweise ihre Leitlinie Gute Substitutionspraxis vorgelegt, in der den Ärzten Regeln für den Umgang mit aut idem an die Hand gegeben werden. Vorsicht ist demnach immer dann geboten, wenn Präparate mit einer geringen therapeutischen Breite substituiert werden. Das zumindest ist eine relativ klare Regel. Und natürlich steht den Ärzten immer auch der Weg offen, gezielt ein Rabattvertragspräparat zu verschreiben, wenn sie eine "blinde" Substitution durch den Apotheker verhindern wollen, gegebenenfalls dann in einer zunächst niedrigeren Dosis. So ein Riesenproblem ist die Sache damit vielleicht doch nicht.