In der Schweiz sollen in Zukunft genetische Tests zur optimalen Wahl der Therapie und zur verbesserten Einstellung der Behandlung von komplexen Krankheiten eingesetzt werden können. Der Clou: Je nach genetischer Veranlagung könnte ein Patient Medikamente schneller oder langsamer abbauen, die Pille nach Maß rückt näher. Vor Missbrauch schützt schon heute das so genannte Gendiagnostikgesetz.
Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer, für die Medien war dieNews perfekt: Die Wirksamkeit der Potenzpille Viagra, teilte das Teamum Herbert Rübben , Direktor der Urologischen Klinik am Essener Uniklinikummit, hänge möglicherweise "stark von der genetischen Disposition derPatienten ab". Tatsächlich hatten die Wissenschaftler herausgefunden,dass die Wirkung von Viagra durch das gen GNB3 bestimmt wird dasErbfragment kodiert für ein Protein, das die Signalübertragung inZellen steuert. Erst die Details offenbarten die Nuancierungen imgenetischen Zusammenspiel zwischen Pille und Mensch: Lediglich dieTräger der so genannten TT-Variante wiesen in 91 Prozent aller Fälleeinen Therapieerfolg auf, bei den anderen Patienten schlug dieLustpille nur jeweils in 50 Prozent der Fälle an.
Doch Forscher Rübbens Gentest zur Pille lieferte neben der good Newsfür die TT-Träger die schlechte Nachricht hinterher. "Unter derTherapie mit Viagra kommt es zu einem Blutdruckabfall und zu einemAnstieg der Herzfrequenz. Ist dieser Effekt zu stark, kann esschwerwiegende Probleme mit dem Kreislauf geben", erklärte Rübben umdann zu vermuten, dass bei TT-Trägern besonders starkeKreislaufwirkungen auftreten könnten.
Gentest vor Potenzpille
Als ob das nicht verwirrend genug gewesen wäre, riet der angesehenPharmakologe zur allgemeinen Vorsicht in Sachen Pillenlust, denn: "Diemöglicherweise genabhängigen Kreislaufwirkungen von Viagra, aber auchdie der neuen potenzfördernden Medikamente Levitra und Cialis solltenim Hinblick auf Risikopatienten unbedingt untersucht werden." DieForscher, teilte schließlich noch die Uniklinik mit, "können sichvorstellen, dass vor der Verschreibung solcher Medikamente beiRisikopatienten zukünftig ein Gentest vorgenommen wird".Pharmakogenetisch spannend, nur: was ist mit solchen Informationen imAlltag anzufangen?
Heute, fast vier Jahre nach der spektakulären Veröffentlichung im renommierten US-Fachblatt "Journal of Urology",verfügt die Schweiz über ein bereits etabliertes Gendiagnostikgesetz.Das in Europa nahezu einzigartige Regelwerk soll den Umgang mit demWissen und den diagnostischen Möglichkeiten rund um das humane Erbgut in ethisch vertretbare Bahnen lenken.
Tatsächlich kam das bereits im Jahr 2004 von den Räten abgesegnete"Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen" (GUMG) zurrechten Zeit. Denn von den rund 25.000 humanen Genen sind heute mehrals die Hälfte entschlüsselt, für etwa 200 Gene bieten Schweizer LaboreGentests an. Fast 1000 Untersuchungen im Jahr finden dazu statt, beiKosten, die teilweise von den Kassen übernommen werden - oder aber derPatient selber tragen muss. Bis zu 4000 Franken schlägt dieGendiagnostik je nach Untersuchung zu Buche, auch finanziell betrachtetein lukratives Geschäft.
Doch auf der Analysenliste des Eidgenössischen Departements des Innernstehen lediglich eine Handvoll von DNA-Tests als Pflichtleistungen,darunter für:
Allerdings rät das Institut für Medizinische Genetik der Universität Zürich,selbst in diesen Fällen vor jeder Gendiagnostik die Kasse des Patientenanzufragen. Denn trotz Angabe als Pflichtleistung sei nichtgewährleistet, dass die Kosten "automatisch übernommen" würden.Recht auf Nichtwissen ist juristisch verankert
Zudem müssenÄrzte wissen, dass der Patient laut GUMG ein Recht auf Nichtwissen hat- sogar in letzter Sekunde. Der Grund: Für die meisten feststellbarenKrankheitsveranlagungen gibt es zwar Wahrscheinlichkeitsprognosen füreinen eventuellen Ausbruch - aber bei weitem nicht immer eine Therapie.Fälle wie das androgenitale Syndrom etwa, die als Mutationbei ungeborenen Mädchen unbehandelt zur Vermännlichung führt, sich aberim Mutterleib teilweise erfolgreich therapieren lassen kann, bleibeneher die Ausnahme.
Wünscht der Patient also nach Aussprechen eines Verdachts durch denArzt keine weitere Aufklärung mehr, muss sich der Mediziner gemäßArtikel 18 GUMG daran halten. Auch darf der Patient sowohl denVerdacht, als auch ein bestehendes Ergebnis seinen Angehörigenvorenthalten. Der Arzt muss das respektieren. Von einerAufklärungspflicht des Patienten gegenüber privater Versicherungenentbindet das GUMG indes nicht. Was man als Arzt jedoch seinenPatienten mit auf dem Weg geben kann ist die Information, dassAbschnitt 5 des Gesetzes den allgemeinen Grundversicherungen untersagt,Untersuchungsergebnisse oder Auskünfte über familiäre Belastungeneinzuholen.
Gerade für niedergelassene Ärzte mutiert die Gendiagnostik damit zurethischen und Herausforderung. Der Mediziner avanciert zum umfassendenBerater, und muss es laut GUMG auch sein. Die in Bern tätigeCo-Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für medizinische Genetik(SGMG), Suzanne Braga, hat daher für ihre Kolleginnen und Kollegen imFachblatt "Sprechstunde" vor allem einen Rat parat: "Bei einempositiven Testresultat muss eine Präventions- oderBehandlungsmöglichkeit gegeben sein".