Praxisgebühr und Co zeigen Wirkung: Einer aktuellen Umfrage zufolge therapiert sich der Deutsche zunehmend selbst. Wichtigster Konsultant ist der Apotheker. Der ist vielfach ein beliebterer Anlaufpunkt als der Arzt.
Die Deutschen, so lautet ein oft vorgebrachtes Vorurteil, interessierten sich nicht besonders für ihre Gesundheit. Jahrzehntelang gepampert durch ein über alle Maßen fürsorgliches Sozialsystem sei ihnen die Bereitschaft abhanden gekommen, auch selbst mal für ihre Gesundheit in die Tasche zu greifen oder überhaupt eigenverantwortlich etwas dafür zu tun.
Meine Gesundheit gehört mir!
Ein paar Haken hatte diese arg pauschale These schon immer. So deutet die sehr deutsche Liebe zu einer in großen Teilen aus Eigenmitteln finanzierten Alternativmedizin doch auf eine gewisse Bereitschaft hin, für die eigene Gesundheit Geld auszugeben. Nur für die Schulmedizin saß der Groschen bisher nicht so locker. Es bedurfte schon der bekannten gesetzlichen Zwangsmaßnahmen, der Einführung der Praxisgebühr und der weitgehenden Ausgrenzung der nicht-verschreibungspflichtigen Medikamente aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, um auch hier die Geldbeutel zumindest einen Spalt breit zu öffnen. In diesem Zusammenhang interessant ist eine neue Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach , die sich dem Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung widmet. Weil auch Daten aus Voruntersuchungen existieren, konnten die Demoskopen sogar einen Trend beschreiben, und der ist deutlich: Die Zahl der Menschen, die sehr auf ihre Gesundheit achten, wächst. Nicht schnell, aber doch kontinuierlich. Sagten im Jahr 2001 in einer Repräsentativbefragung 27 Prozent der Teilnehmer, dass sie sehr gesundheitsbewusst seien, waren es drei Jahre später 30 Prozent und weitere drei Jahre später, also jetzt, 33 Prozent. Parallel dazu wuchs die Zahl derer, die angaben, regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, von 35 auf 47 Prozent.
Apotheker schöpft den Rahm ab
Laut Befragung ist der Hauptprofiteur des Trends zu mehr Gesundheitsbewusstsein - und hier treffen sich die Demoskopie und die gesundheitspolitischen Weichenstellungen der letzten Jahre - nicht der Arzt, sondern der Apotheker: "Es ist eine verstärkte Tendenz zu mehr Selbstverantwortung und Selbständigkeit zu beobachten", so Allensbach, "Die meisten gehen heute nicht mehr mit jeder Kleinigkeit zum Arzt." In Zahlen: Nur 23 Prozent der Befragten erklärten, dass sie bei kleinen medizinischen Problemen generell zuerst zum Arzt gingen und sich nicht in Eigeninitiative Medikamente beim Apotheker holten. Satte 67 Prozent gaben an, sich in der Apotheke bei Kleinigkeiten zunächst einmal selbst Medikamente zu holen und sich gegebenenfalls dort beraten zu lassen. Als reine Reaktion auf die Praxisgebühr möchten die Wissenschaftler dies aber nicht verstanden wissen: "Der Trend läuft schon wesentlich länger. Anfang der 90er Jahre ging noch ungefähr jeder Dritte auch bei Kleinigkeiten gleich zum Arzt." Schon in den 90er Jahren sei in der Bevölkerung ein deutlicher Trend zu mehr Selbstmedikation zu verzeichnen gewesen, der sich nach der Jahrtausendwende fortgesetzt habe. 1992 beispielsweise erkläre nur rund jeder zweite, dass man nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gehen müsse.
Jeder Zweite fragt bei Schmerzen nicht den Arzt
Die Liste der bevorzugt in Eigenregie erworbenen Präparate deckt die üblichen Wehwehchen des Durchschnittserwachsenen ab. Ganz vorne rangieren Schmerzmittel, vor allem rezeptfrei nicht-steroidale Antiphlogistika, Aspirin und Paracetamol. Immerhin 48 Prozent der Befragten gaben an, solche Präparate in den drei Monaten vor der Befragung in der Apotheke ohne ärztliche Verschreibung benutzt oder erworben zu haben. Jeder dritte hatte sich Erkältungspräparate besorgt, jeder vierte Mittel zur Wundversorgung. Halsschmerzen und Mund-/Rachenprobleme rangieren ebenfalls weit vorne in der Selbstmedikations-Hitliste, außerdem Vitamine und Mineralstoffe sowie Hustenpräparate.