Das neue Ersttrimester-Screening zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche kann Risiken für Fehlbildungen und Chromosomenstörungen beim Embryo bereits im sehr frühen Stadium aufdecken. Das Ergebnis, anhand einer "Ampelgrafik" in Grün, Gelb, Rot ablesbar, kann Eltern und Ärzte beruhigen und Entscheidungen für weiterführende Diagnostik erleichtern.
Wird unser Kind gesund sein? Diese Frage treibt nicht nur ältere Mütter über 35 Jahre um, die heute mit 21,8 Prozent doppelt so häufig wie noch im Jahr 1991 entbinden, sondern zunehmend auch jüngere Frauen. Aus den unterschiedlichsten Gründen möchten sie möglichst frühzeitig Gewissheit über die gesunde Entwicklung ihres Ungeborenen erhalten. Die drei Ultraschall-Untersuchungen, die in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen sind, reichen vielen Frauen daher nicht. "Im Durchschnitt werden bei Schwangeren sieben bis acht Sonografien durchgeführt, doch im 2. Trimenon kommt die Organdiagnostik oftmals zu spät", sagt Professor Eberhard Merz, Chefarzt der Frauenklinik am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt-Main.
Anlehnung an das englische System
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) belegt dies mit Zahlen aus dem Jahr 2005: Bei 142.228 Schwangeren über 35 Jahre wurde bei 80 Prozent der Frauen eine weiterführende, invasive Diagnostik durchgeführt mit einer iatrogenen Abortrate von 11.038. Die Risikoanalyse kann durch dieses neue Screening-Verfahren erheblich erleichtern werden und beispielsweise eine Chorionzotten-Biopsie oder Amniozentese überflüssig machen. "Diese Punktion ist ab dem 35. Lebensjahr mit einer steigenden Verlustrate behaftet", kommentiert dazu Professor Bernd-Joachim Hackelöer, Leiter der Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Asklepios Klinik, Hamburg-Barmbeck.
Das Ersttrimester-Screening umfasst, neben den gängigen Ultraschallparametern und dem exakten Schwangerschaftsalter, die Scheitel-Steiß-Länge, die Bestimmung der fetalen Nackentransparenz sowie die beiden biometrischen Daten der Schwangerschaftshormone freies β-HCG (Human Chorionic Gonadotrophin) und PAPP-A (Pregnancy associated plasma protein) aus dem mütterlichen Blut. Außerdem kann zusätzlich der sonografische Nachweis über das fetale Nasenbein in die Kalkulation mit aufgenommen werden. Da die Wertigkeit der Risikoanalyse entscheidend von der Software abhängt, hat die DEGUM mit der assoziierten "Fetal Medicine Foundation" (FMF) Deutschland in Anlehnung an das nicht bislang gängige englische Rechenprogramm ein eigenes erstellt. Dem "Prenatal Risk Calculation"-Berechnungsprogramm (PRC) liegt ein Eichkollektiv aus den Jahren 2004 bis 2006 zugrunde. Es wurde mit dem aktuellen Gerätestandard erhoben und entspricht in seiner Alterszusammensetzung der derzeitigen demografischen Lage in Mitteleuropa. Die Auswertung beruht auf 70.030 abgeschlossenen unauffälligen Schwangerschaften sowie aus 312 Fällen mit Trisonmie 21 und weiteren 139 Trisomien 13 und 18.
Die Ampelfarbe zeigt das Risiko
Aus diesen Daten wurde ein "deutscher Algorithmus" entwickelt. Dieser ist in drei Gruppen unterteilt. Neben den beiden Gruppen mit hohem und niedrigem Risiko (wie im englischen Programm) existiert im deutschen PRC eine weitere, dritte Gruppe mit intermediärem Risiko. Alle Daten können auf einen Blick durch eine übersichtliche Ampelgrafik (Rot, Gelb, Grün) dargestellt werden. Zeigt das Kalkulationsergebnis "rot", liegt ein deutliches Risiko für eine Chromosomenstörung vor, zeigt es "grün", ist von einem sehr geringen Risiko auszugehen. Zeigt das Ergebnis "gelb", ist abzuwägen, ob weitere Interventionen notwendig sind. Sowohl bei rot und gelb sollte die Schwangere in ein Pränatalzentrum der Stufe II oder III zur weiteren Abklärung überwiesen werden. "Mit dem neuen Ersttrimester-Screening lassen sich, bei konsequenter Umsetzung über 85 Prozent der Chromosomenanomalien bereits im 1. Trimenon aufdecken. Die invasiven Eingriffe können deutlich reduziert und gleichzeitig etwa 80 Prozent der eingriffsbedingten Aborte vermieden werden", so Professor Merz. Allerdings, so die Experten der DEGUM, gehöre dieses Früh-Screening in die Hand zertifizierter Gynäkologen, die die Qualifikationskriterien der Fachgesellschaft hinsichtlich Gerätestandard und Labor erfüllen.
Seit Februar 2007 kann mit dem Programm gearbeitet werden. Die zertifizierten Gynäkologen/Gynäkologinnen mit entsprechender Qualifikation nach DEGUM-Kriterien (Stufe II) sind im Internet bei der FMF und der DEGUM nach Postleitzahlen geordnet zu finden. Derzeit besitzen rund 3.500 niedergelassene Frauenärzte- und -ärztinnen diese Zusatz-Qualifikation. Die Kosten, die derzeit noch nicht von der GKV sondern nur von der PKV übernommen werden, liegen pro Screening bei rund 100 Euro.
Wie aussagekräftig die Ergebnisse des deutschen PRC-Screenings sind, zeigt folgende Auswertung: Die Entdeckungsraten für Trisomie 21 liegen, nach einer ersten Studie des Instituts für klinische Genetik und Zytologie Nordrhein bei 86,9%. Das britische Programm errechnete dafür 85,6%. Bei dem geringen Risiko errechnete das deutsche eine Unauffälligkeit von 3,9%, das englische lag bei 14,4%. Das neue hinzu kalkulierte intermediäre Risiko lag bei 9,2%. Da eine pränataldiagnostische Untersuchung oftmals eine sehr starke psychische Belastung für die Schwangere oder das Paar bedeuten kann, kann eine kompetente psychosoziale Experten-Beratung in einer Beratungsstelle sehr hilfreich sein. Beispielsweise über die Online-Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder den Beratungsstellen von pro familia.