Schwerkranken Menschen darf der „Zugang zu einem Betäubungsmittel, das eine schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, in extremen Ausnahmesituationen nicht verwehrt werden“, entschied das Bundesverwaltungsgericht. Fraglich, warum bis zur Entscheidung zwölf Jahre vergingen.
Das Urteil schreckt nicht zuletzt die Ärzteschaft auf. Denn die in den Berufsordnungen (§ 16 der Musterberufsordnung - MBO) aufgestellten Verhaltensregeln verbietet es Ärzten, Patienten auf deren Verlangen zu töten oder ihnen Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Wer dagegen verstößt, riskiert Disziplinarmaßnahmen, gegebenenfalls sogar die Aberkennung der ärztlichen Approbation.
Ein schwer und unheilbar kranker Patient, der seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln kann, hat aus dem in unserem Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll. Im extremen Einzelfall kann sich daraus ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.
Entschieden wurde damit das langjährige Klageverfahren eines Ehemannes, dessen Frau nach einem Sturz auf der Treppe vor ihrem Haus eine hohe fast komplette Querschnittslähmung hatte. Vom Hals abwärts war sie gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Erschwert wurde ihre Situation durch starke Schmerzen aufgrund häufiger Krampfanfälle. Nach Einschätzung ihrer Ärzte hatte die 51-Jährige eine weitere Lebenserwartung von etwa 15 Jahren. Weil sie ihre Leidenssituation als unerträglich und entwürdigend empfand, hatte sie den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Ihr Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Erlaubnis zum Erwerb von 15 g Natrium-Pentobartital zum Zwecke der Durchführung eines Suizids wurde unter Verweis auf § 5 Absatz 1 Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz abgelehnt. Die Entscheidung auf den hiergegen eingelegten Widerspruch erlebte die Frau nicht mehr. Sie schied im Februar 2005 mit Hilfe des in der Schweiz ansässigen Vereins „Dignitas“ aus dem Leben. Kurz danach traf der ablehnende Widerspruchsbescheid ein. Den Weg in die Schweiz hätte sich die schwerkranke Frau gerne erspart. Die Belastungen waren für sie kaum hinnehmbar. Die Möglichkeit, in Ruhe zuhause zu versterben, blieb ihr durch die BfArM-Entscheidung verwehrt. Nach dem Freitod seiner Frau, betrieb der Ehemann das Klageverfahren in eigenem und im Namen seiner verstorbenen Frau. Dieses Klageverfahren wurde erst jetzt mit Urteil des BVerwG beendet.
Das BfArM ist eine selbständige Bundesoberbehörde, eine ihrer Aufgaben ist die Überwachung des (legalen) Verkehrs von Betäubungsmitteln. Wie dieser Fall landen Streitigkeiten gegen Behörden vor den Verwaltungsgerichten (VG). Das erstinstanzlich entscheidende VG Köln lehnte die Klage des Ehemannes ab, ebenso wie das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster, weil die Klage jeweils als nicht zulässig beurteilt wurde. In 2008 nahm aus gleichem Grund das danach angerufene Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Klage nicht an.
In jedem Klageverfahren prüfen die Richter aus Gründen der Prozessökonomie erst die Zulässigkeit der Klage, ehe in der Begründetheit der Klagegrund inhaltlich geprüft wird. Eine Klage die als unzulässig abgewiesen wird, wird nicht inhaltlich geprüft, weil es für das Urteil unerheblich ist. Der Ehemann hatte in eigenem und im Namen seiner Frau geklagt, beides wurde als nicht zulässig erkannt. Eine Verwaltungsklage im eigenen Namen kann nur erheben, wer die Verletzung eines ihm selber zustehenden Rechtes glaubhaft machen kann. Ein solches eigenes Recht des Ehemannes sahen die Richter nicht. Der BfArM-Beschluss könne nur Rechte der Ehefrau verletzt haben. Ein Recht des Mannes, die Klage im Namen seiner Ehefrau zu führen, scheide nach Ansicht der Gerichte ebenfalls aus. Grund war, dass es sich bei den infrage kommenden verletzten Rechten der Ehefrau um höchstpersönliche Rechte handele. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass nur derjenige sie einklagen kann, dem sie zustehen. Ein Dritter, z.B. der Ehemann, kann wegen der fraglichen Verletzung solcher Rechte seiner verstorbenen Ehefrau nicht in deren Namen klagen. Aus diesen Gründen wurde das Vorbringen des Ehemannes in dem gesamten Verfahren nicht inhaltlich geprüft. Einzig das VG Köln legte seine Rechtsauffassung in einem sogenannten „obiter dictum“ dar.
Nachdem der Mann hierzulande in allen Instanzen gescheitert war, legte er Beschwerde beim EGMR in Straßburg ein. Er beruft sich auf Artikel 8 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und behauptet, sein Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sei durch die Weigerung der innerstaatlichen Gerichte verletzt worden, weil diese nicht bereit waren inhaltlich zu prüfen, ob das BfArM seiner Ehefrau zu recht die Erlaubnis versagte, eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zu erwerben.
Das Gericht urteilte im Juli 2012, dass die ablehnende Entscheidung des BfArM und die Weigerung der VGe auf inhaltliche Prüfung der Sache, einen Eingriff in das Recht des Ehemannes auf Achtung seines Privatlebens aus Artikel 8 der Konvention darstellt. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und insbesondere der ungewöhnlich engen Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner verstorbenen Ehefrau sowie der Tatsache, dass er bei der Erfüllung des Wunsches der Betroffenen auf Selbsttötung unmittelbar einbezogen war, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass der Beschwerdeführer geltend machen kann, er sei von der Weigerung des Bundesinstituts, den Erwerb einer letalen Dosis Natrium-Pentobarbital zu erlauben, unmittelbar berührt gewesen.“ Hinsichtlich des Begriffs „Privatleben“ verweist das Gericht auf vorangegangene Urteile des EGMR. Einen Aspekt des Rechts auf Achtung seines Privatlebens nach Artikel 8 der Konvention beinhalte das Recht des Einzelnen, darüber zu entscheiden, wie und wann er sein Leben beenden möchte, wenn er zu einer freien Willensbildung in der Lage und fähig ist, entsprechend zu handeln. Das EGMR erkennt, dass der Ehemann ein Recht auf gerichtliche Kontrolle der streitigen BfArM-Entscheidung hat. Aus der inhaltlichen Wertung hält sich der EGMR aber raus, weil den beigetretenen Staaten insbesondere in Fragen des assistierten Suizids ein erheblicher Ermessensspielraum zustehe, wie sichergestellt wird, dass im Staat geltende Rechte und Freiheiten mit dem Zweck und den Zielen der Konvention in Einklang stehen. Wie groß der Ermessensspielraum sei, könne schon daraus abgelesen werden, dass von den 47 der Menschenrechtskonvention beigetretenen Staaten lediglich vier den Ärzten gestatten, eine tödliche Medikamentendosis zu verschreiben.
Danach erhob der Mann die Restitutionsklage (§ 580 Nr. 8 ZPO). Diese wurde nun inhaltlich geprüft, aber von den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung des BfArM, die beantragte Erlaubnis zu versagen, sei nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes richtig. Dadurch würde weder gegen Grundrechte noch gegen Rechte und Freiheiten nach der EMRK verstoßen. Erstmals das BVerwG als Revisionsinstanz hob diese Vorentscheidungen auf und erkannte die Ablehnung des BfArM als rechtswidrig. Die schriftliche Begründung des Urteils wird mit Spannung erwartet. Erst danach kann das Urteil des BVerwG fundiert inhaltlich diskutiert werden. Aber auch die bislang nur vorliegenden Pressemitteilung des Gerichts lässt aufhorchen, weil es wörtlich heißt: „Nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ist es grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Hiervon ist im Lichte des genannten Selbstbestimmungsrechts in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative - etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch - zur Verfügung steht.“
Bemerkenswert ist diese angerissene Begründung sowohl hinsichtlich der relevanten Norm des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) also auch bezüglich der erst in 2015 abgeschlossenen Diskussionen zum Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. In der Pressemitteilung heißt es, nach dem BtMG sei ein Erwerb von Betäubungsmitteln „grundsätzlich“ zum Zwecke der Selbsttötung nicht möglich. Mit dem Wort „grundsätzlich“ eröffnet das Gericht einen Ermessensspielraum im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, der sich aus dem Gesetzestext selber nicht ergibt. Hier heißt es: „Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn ... der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, … vereinbar ist.“ Eine Selbsttötung ist mit diesem Gesetzeszweck nicht vereinbar, also ist die Erlaubnis zu versagen. Es gilt ein „wenn – dann“ und kein „wenn – aber“. So verweisen auch die beiden auf die im wiederaufgenommenen Klageverfahren ergangenen Urteile des VG Köln vom Mai 2014 sowie des OVG Münster vom 19.08.2015, Az 13 A 1299/14 (Urteil OVG Münster frei verfügbar) auf diese zwingende Rechtsfolge. Das BVerwG sieht das anders.
Ausnahmen seien zu machen, so in der Pressemitteilung weiter, „in Extremfällen für schwer und unheilbar kranke Patienten, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative - etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch - zur Verfügung steht“. Im Zuge der jahrelangen Diskussion um die 2015 in das Strafgesetzbuch (StGB) eingefügte Norm „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ wurde gerade um das „ob“ und „wie“ möglicher Ausnahmen heftig gerungen. Der Gesetzgeber entschied sich gegen Ausnahmen und regelte in § 217 StGB Abs. 1: Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Abs. 2: Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahe steht. Der Suizid selber ist nach deutschem Recht nicht strafbar. Folge hiervon ist, dass die Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung nicht unter die Geltung des § 216 StGB fällt und nicht mit Strafe bedroht ist. Allerdings kann jemand strafrechtlich belangt werden, wenn er einer Person, die ihrem Leben ein Ende setzen möchte, ein tödlich wirkendes Mittel verschafft. Die schriftliche Urteilsbegründung wird spannend zu lesen sein. Zum einen zur Erklärung, des Ermessensspielraums im Rahmen des § 5 BtMG. Zudem müssen viele andere Punkte aufgearbeitet werden, rein exemplarisch seien genannt der § 217 StGB inklusive der Gesetzesbegründungen als auch § 216 StGB, wonach die Tötung auf Verlangen des Opfers unter Strafe gestellt sind und § 16 MBO das Eingangs angesprochenen Berufsrechts der Ärzte.
Das BVerwG stellte fest, dass die vom BfArM getroffene Entscheidung rechtswidrig war. Die beanstandete Entscheidung des BfArM fußte im Wesentlichen auf § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG: Die begehrte Erlaubnis sei zu versagen, da die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs (die Selbsttötung) nicht mit dem Zweck des Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, vereinbar ist. Das BVerwG schreibt in der Pressemitteilung, dass das BfArM in seiner Entscheidung das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht ausreichend gewürdigt habe. Unterstellt nach ausreichender Würdigung des Persönlichkeitsrecht der Betroffenen wäre eine Erlaubnis ausnahmsweise möglich, müsste im zweiten Schritt geprüft werden, ob die sich hier bietende Alternative – die begleitete Beendigung der palliativmedizinisch Beatmung – zumutbar gewesen wäre. Soll heißen: Diese Urteil bedeutet nicht, dass die Betroffene einen Anspruch auf Erlaubnis des Erwerbs des Betäubungsmittel durch das BfArM gehabt hätte.
Der Ehemann hätte aufgrund des Urteils einen Anspruch darauf gehabt, dass das BfArM unter Zugrundelegung der Argumentation des BVerwG erneut prüft, ob seiner Ehefrau Zugang zu einer tödlichen Dosis des Betäubungsmittels gewährt werden müsste. Zu klären wäre folglich, ob der verhandelte Fall
so dass trotz § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG die Erlaubnis zu erteilen wäre. Weil die Betroffene aber verstorben ist, lässt sich eine Prüfung im erforderlichen Umfang nicht mehr nachholen. Deshalb wird das BfArM diesen Fall trotz dieses Urteils nicht erneut prüfen. Das Urteil lässt daher viele Fragen offen, zumal die Begriffe „extreme Ausnahme“ und „zumutbare Alternative“ auslegungsbedürftig und wahrlich umfangreich auslegungsfähig sind.
Selbst wenn in Extremfällen der Patient also ein Recht auf Verordnung einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels hat, ist damit nicht gesagt, dass der Arzt bei der Einnahme des Mittels helfen darf. Denn wenn der Arzt einem Patienten bei dessen Selbsttötung beisteht, greift spätestens mit Eintreten der Bewusstlosigkeit des Suizidenten die Garantenpflicht des Arztes. Andernfalls macht er sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar – so zuletzt entschieden vom Hamburger Oberlandesgericht am 08.06.2016. Zu dem Aspekt wird die Urteilsbegründung schweigen, weil dieser Sachverhalt nicht Inhalt der Klage und damit nicht entscheidungsrelevant ist.