Lange galt er als typisch "männlich." Inzwischen erleiden deutlich mehr Frauen einen Herzinfarkt. Und der wird häufig zu spät erkannt: Nur dreißig Prozent der Patientinnen haben klassische Symptome. Beim Rest überwiegt ein Komplex an Symptomen - bekannt als "Eva-Infarkt." Mehrdeutigkeit mit fatalen Folgen.
Evas Herzen werden immer anfälliger: Laut Statistischem Bundesamtbeträgt heute der Anteil von kardiovaskulären Erkrankungen an derGesamtsterblichkeit bei Frauen 49,3 Prozent, bei Männern 38,1 Prozent.Vor allem "die Sterblichkeit am akuten Infarkt ist bei Frauen in allenAltersgruppen höher," so die Expertin Professor Vera Regitz-Zagrosek, Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) an der Charité Berlin.
Frauen, die neue Risikogruppe. Das zeigt auch das Berliner Herzinfarktregister(BHIR), in dem seit 1999 Daten zur stationären Therapie vonHerzinfarktpatienten gesammelt und ausgewertet werden: 2004 fielen rund87.000 Frauen und 78.000 Männer dem Infarkt zum Opfer. LautRegitz-Zagrosek, die seit 2002 die Professur fürFrauengesundheitsforschung Schwerpunkt Kardiologie hält, steigt dasInfarktrisiko besonders bei den 35- bis 54jährigen - um bis zu 55Prozent.
Dennoch: In einer Umfrage des Emnid-Instituts, die 2005 im Auftrag der "Initiative Frauenherz"bei 531 Frauen zwischen 45 und 75 Jahren durchgeführt wurde, werteten61 Prozent der Befragten den Herzinfarkt als "typisch männlichesProblem". Vier von fünf Frauen gingen zudem davon aus, dass sie diegleichen oder sogar besseren Chancen haben, einen Infarkt zuüberstehen.
Der Eva-Infarkt
Warum sind Frauenherzen so gefährdet? Unter anderem deshalb, weil sich eine KHK bei Frauen anders zeigt und per Angiogramm nicht unbedingt festzumachen ist. Vor allem die Anzeichen des weiblichen Herzinfarktes sind eher untypisch. Wie eine Studie der University of Arkansas for Medical Sciencesergab, treten die klassischen Leitsymptome eines Infarktes nur bei runddreißig Prozent der Patientinnen auf. Statt heftigem Druck im Brustkorbund starkem Engegefühl haben die meisten vielmehr Schmerzen imOberbauch und zwischen den Schulterblättern, begleitet vonKurzatmigkeit, Schweißausbrüchen, heftiger Atemnot, Übelkeit undErbrechen. Dieser Symptomenkomplex tritt meist schon einen Monat vordem kardiovaskulären Ereignis auf und ist sehr mehrdeutig - was den"Eva-Infarkt" auch so tückisch macht.
Denn die Symptome werden häufig falsch interpretiert, so Dr. BritaLarenz von der "Initiative Frauenherz", einem Zusammenschluss ausKardiologen, Hausärzten, Sport und Ernährungsmedizinern: "Damit gehtwertvolle Zeit, die über Leben und Tod entscheidet, verloren." DassFehldeutungen wie vermeintliche Magen- oder Atembeschwerden imklinischen Alltag sehr häufig sind, bestätigt auch Regitz-Zagrosek.Umso mehr bei medizinischen Laien: Frauen mit akutem Herzinfarkt wendensich im Schnitt bis zu einer halben Stunde später an einen Notarzt alsMänner - überlebenswichtige Minuten verrinnen. Mit der Konsequenz, dassmehr als die Hälfte der weiblichen Patienten ihren ersten Infarkt nichtüberleben. Tun sie es doch, schweben sie weiter in Gefahr: DieÜberlebenschancen von Frauen nach einem Infarkt sind um ein Drittelschlechter als die von Männern.
Risikofaktor weiblich
Gleichberechtigung - im Sinne einer Gleichbehandlung - lässt in derKardiologie wie auch in anderen medizinischen Fachgebieten auf sichwarten. Bereits 1991 wies die US-amerikanische HerzmedizinerinBernadette Healy in einer Studie nach, dass weibliche KHK-Patientenschlechter versorgt werden. Healys Befund aus den Neunzigern hat bisheute reichhaltige Bestätigung gefunden.
So zeigen beispielsweise die Daten einer Studie der Universität Bremen,die unter Leitung des Gesundheitsexperten Gerd Glaeske die Versorgungvon 1,4 Millionen Versicherten der Gmünder Ersatzkasse unter die Lupenahm, das mit männlichen KHK-Patienten anders umgegangen wird.Cholesterinsenkende Arzneimittel erhalten nur 35 Prozent der weiblichenInfarktpatienten, bei Männern sind es dagegen 55 Prozent. Auch diemedikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln wird bei Frauen seltenerdurchgeführt als bei Männern.
Dass von den stetigen Fortschritten in der Kardiologie eher Männer profitieren, belegt auch die REACH-Studie:Frauen mit koronarer Herzkrankheit werden weniger intensiv medikamentösbehandelt als Männer. Die internationale Meta-Analyse umfasst Daten vonüber 63.000 Patienten im Alter über 45 Jahren aus mehr als 40 Ländern.Deren Auswertung wurde erstmals auf dem kardiologischen Jahreskongress2005 in Paris präsentiert und zeigte, dass Frauen wenigerThrombozytenhemmer, wie beispielsweise Azetylsalizylsäure, aber auchweniger Statine erhalten. Invasive Techniken werden bei Frauen seltenerangewandt, selbst wenn man Patientinnen mit eindeutigen Symptomenberücksichtigt. Bei entsprechender Indikation erhielten nur 35 Prozent der Frauen einen Stentoder Bypass, verglichen mit 42 Prozent der Männer. Frauen erreichenzudem seltener die empfohlenen Therapieziele der internationalenLeitlinien - sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention.Doch es ginge auch anders, wie eine Untersuchung zeigt, die 2003 vomDeutschen Herzzentrum München und der 1. Medizinischen Klinik Rechtsder Isar durchgeführt wurde. Diese kam zum Ergebnis, dass sich dieÜberlebenschancen weiblicher Infarktpatienten durch die heuteverfügbaren Maßnahmen durchaus verbessern lassen. Worauf wartet dieKardiologie also noch?