Ärzte fahren alle Porsche und haben ein Haus am Strand? Dr. Frank U. Montgomery schafft die Gerüchte aus der Welt. Es sieht nicht gerade rosig aus bei den Ärzten, deutschlandweit werden sie als Mangelware gehandelt. Aber nicht verzweifeln, es gibt einen Silberstreif am Horizont.
Im Zuge der kürzlich ausgestrahlten Reportage mit dem Titel "Ärzte Mangelware", trafen wir uns mit Dr. Montgomery, um über die verheerenden Zustände in Deutschland zu sprechen.
MS: Herr Dr. Montgomery, in der Reportage wurde das Schicksal einer erzgebirgischen Gemeinde vorgestellt, welche händeringend einen Nachfolger für ihren scheidenden Kinderarzt sucht. Dies ging so weit, dass der Bürgermeister einem potentiellen Nachfolger eine renovierte, bezugsfähige Villa im Ort schenken würde - zudem wäre der pensionierte Kinderarzt bereit, seine komplette Praxis symbolisch an seinen Nachfolger für 1 Euro zu verkaufen. Kann man diese Entwicklung noch als "normal" bezeichnen? Dr. Montgomery: Seit etlichen Jahren weisen wir die politisch Verantwortlichen darauf hin, dass Deutschland auf einen dramatischen Ärztemangel zusteuert. Bisher hat die Politik getreu dem Motto "nichts sehen, nichts hören, nichts sagen" diese berechtigten Hinweise einfach ignoriert. Gesundheitsreformen sind zu reinen Einspar- und Kürzungsmaßnahmen ohne jegliche Zukunftsperspektiven verkommen. Dafür muss sich Deutschland schämen.
MS: Quintessenz des Berichtes war, dass sich trotz der genannten "Boni" kein junger Kinderarzt finden lässt, der sich bereit erklären würde, in der ostdeutschen Provinz eine Praxis zu übernehmen. Woran kränkelt denn der Osten Deutschlands in Bezug auf seine Ärzte?Dr. Montgomery: Das Problem des Ärztemangels zeigt sich nicht nur im ambulanten, sondern auch im stationären Bereich, wie eine aktuelle Umfrage des Marburger Bundes belegt. Hauptgründe für diese Nachwuchsprobleme sind Arbeitsüberlastung, schlechte Vergütung und Perspektivlosigkeit. Insbesondere im Osten der Republik müssen wir für Ärztinnen und Ärzte mit die schlechtesten Arbeitsbedingungen registrieren. Sowohl Politik als auch Arbeitgeber müssen endlich erkennen, dass sich Ärzte nicht endlos ausbeuten lassen und dass Medizin nicht nach reinen marktwirtschaftlichen Prinzipien ökonomisierbar ist. Ärzten muss ihr Beruf und ihre Berufung wieder Spaß machen. Und dazu zählen in erster Linie eine anständige Vergütung und deutlich mehr Zeit für die Patienten.
MS: Alsangehende Ärzte bekommen wir die Arbeit an der Universität nur sehroberflächlich die Entwicklungen in der Gesundheitspolitik mit. Trotzder hohen Nachfrage nach Medizinstudienplätzen liest man von einemerschreckenden Ärztemangel in Deutschland, sowie von düsterenZukunftsprognosen für unser Gesundheitswesen. Wo sehen Sie die größten Defizite, Hochschulabsolventen die Arbeit im eigenen Land (wieder) schmackhaft zu machen? Dr. Montgomery: Die besagte Umfrage des Marburger Bundes hat die Ursachen der Ärzteflucht klar benannt: Extreme Arbeitsüberlastung aufgrund gesetzeswidrig überlanger Arbeitszeiten, millionenfach unvergütete Überstunden, unzureichende Arbeitszeiterfassung und kaum Möglichkeiten, Familie und Beruf zu vereinbaren. Mit unseren arztspezifischen Tarifverträgen wollten wir diesen unerträglichen Zustand beenden. Leider mussten wir feststellen, dass gezielter Tarifbruch der Arbeitgeber auf der Tagesordnung steht. Aber ich möchte auch die Politik nicht unerwähnt lassen. Mit ihren Gesetzen und Beschlüssen trägt sie dazu bei, dass für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung mit ausgeruhten und motivierten Ärzten einfach viel zu wenig Geld da ist. Die jüngst verkündete gesetzliche Steigerungsrate für die Klinikbudgets von gerade mal 0,64 Prozent ist ein Hohn.
MS: Das hoheSozialprestige des Arztberufs motiviert viele, Medizin zu studieren.Andererseits werden Ärzte aber auch mit Sportwagen, Solarienbräune undteuren Armbanduhren verknüpft. Sind denn die Arbeitsrealität und dietatsächlichen Verdienste der Ärzte immer noch nicht im Bewusstsein derBevölkerung angekommen? Dr. Montgomery: Sicherlich herrscht dieses falsche Bild über den Arztberuf noch in Teilen der Gesellschaft vor. Spätestens jedoch seit den erfolgreichen Ärztestreiks im vergangenen Jahr ist dem überwiegenden Teil der Bevölkerung klar geworden, dass ärztliche Arbeitskraft von den Arbeitgebern gnadenlos ausgebeutet wird.
MS: Abschließend, ganz allgemein gefragt: Was würden Sie, als Gastsredner in einem Hörsaal vor angehenden Ärzten, zum Thema "Medizinstudium" sagen? Was wären Ihre Motivationen und Tipps für die nächste Generation von Medizinern in Deutschland? Dr. Montgomery: Ich würde den angehenden Jungärzten trotz der schlechten Arbeitsbedingungen raten, den Arztberuf auch weiterhin anzustreben. Vor allem würde ich ihnen jedoch ans Herz legen, sich berufs- und gewerkschaftspolitisch zu engagieren. Das hat die jetzige Ärztegeneration sträflich vernachlässigt. Was man alles bewegen kann, wenn man sich persönlich engagiert, haben die Ärzteproteste und Arbeitskämpfe gezeigt. Das war nur der Anfang. Der Marburger Bund baut seine Schlagkraft und Verhandlungsposition permanent aus. Hierfür brauchen wir streitbare und engagierte Ärztinnen und Ärzte, die die Entscheidung über die Qualität ihrer Arbeitsbedingungen nicht anderen überlassen wollen.
MS: Herr Dr. Montgomery - wir danken Ihnen herzlich für das Interview!