KVen - jeder hat eine. Zumindest jeder Kassenarzt. Deshalb galt die Selbstverwaltung bislang als zukunftssicherer Arbeitgeber. Doch spätestens seit dem 64. Bayerischen Ärztetag in Regensburg ist das weitere Schicksal der kassenärztlichen Vereinigungen ungewiss - nicht nur im Süden der Republik.
Der Beschluss des 64. Bayerischen Ärztetages von Regensburg Mitte vergangenen Monats hatte es in sich. Ungeahnt deutlich sprachen sich die Delegierten offen für etwas aus, was noch vor einem Jahrzehnt als Affront gegolten hätte. Die versammelten Ärzte unterstützten die Bemühungen "vieler vertragsärztlichen Gruppierungen über deren Forderung nach einer Änderung des Kollektivvertragssystems dahingehend, dass die Vertragsärzte mit ihrer Vertretung in den Berufsverbänden zu gleichberechtigten Vertragspartnern der Krankenkassen werden". Einfacher ausgedrückt: Gesetzliche Kassen können seit geraumer Zeit direkt mit den Leistungserbringern Verträge schließen - das de fakto Monopol der KVen ist damit Geschichte.
Tatsächlich beendete ein winziger Paragraph im Sozialgesetzbuch die bisherige Form der Selbstverwaltung. Denn § 73 c SGB V erlaubt es Krankenkassen der GKV, die Sicherstellung für einzelne Bereiche oder für die gesamte ambulante Versorgung zu übernehmen. Vor allem: Abschlüsse zwischen Kassen und Gemeinschaften von Vetragsärzten sind erlaubt. Für den Justiziar der KV Nordrhein, Horst Bartels, steht fest: "Der Gesetzgeber hat den KVen das Leben schwer gemacht".
Keine Existenzberechtigung?
Damit vollzieht sich eine kleine, von der Öffentlichkeit kaum beachtete Revolution innerhalb des deutschen Gesundheitssystems. Bislang nämlich war das Sachleistungsprinzip klar definiert. Als Gegenstück zum Kostenerstattungsprinzip der privaten Krankenversicherung müssen die Krankenkassen den Versicherten die Sach- und Dienstleistungen "in Natur zur Verfügung stellen", wie die Vorsitzende Richterin des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Ruth Schimmelpfeng-Schütte, erklärt. Doch die Konstruktion hat seit jeher ihre Tücken. Denn der Behandlungsansprüche der Patienten richtet sich an die Krankenkassen, die ihrerseits mit den KVen Verträge abschließen, damit die Vertragsärzte über Umwege an ihr Geld kommen. Eine Bezahlung über Bande, die innerhalb der KVen zu ständigen Verteilungskämpfen führt - insbesondere zwischen Haus- und Fachärzten. "Dieses Vergütungssystem ist nicht nur höchst kompliziert, sondern auch übermäßig aufwändig und bürokratisch. Es kostet viel Geld", erklärte Sozialrichterin Schimmelpfeng-Schütte schon vor drei Jahren vor versammelten Ärzten das System.
Nüchterne Zahlen geben der Juristin Recht - und stellen die Existenzberechtigung der KVen zumindest aus ökonomischer Sicht in Frage. Der Chef des Hausärzteverbandes (HVÄG) und Ex-KBV-Vorstand Ulrich Weigeldt schätzt die Verwaltungskosten der Kassenärztlichen Vereinigungen auf über 700 Millionen Euro pro Jahr, allein die 38 Vorstände mit Gehältern von rund 200.000 Euro schlagen dabei kräftig zu Buche.
Transparenz vergeblich gesucht
Auch der Berufsverband Deutscher Chirurgen (BDC) wies auf die horrenden Verwaltungskosten der KVen hin. Allein im Jahr 2002 "haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) rund 550 Millionen Euro von ihren Mitgliedern für die Verhandlungen mit den Krankenkassen, das Ausrechnen und Überweisen des Ärztehonorars und andere Leistungen erhalten", heißt es dazu in einer entsprechenden Publikation des BDC. Zwar fließt das Geld für die Verwaltung der KVen formal nicht aus dem Staatssäckel, sondern in Form von Mitgliedsbeiträgen der Vertragsärzte an die jeweilige KV. Doch das Prozedere erweist sich bei näherem Hinsehen als Milchmädchenrechnung: Kaum ein Vertragsarzt dürfte die Beiträge aus seinem ererbten Privatvermögen aufbringen - letztendlich sind es Gelder, die er via GKV-System als Vergütung für seine Arbeit erhielt. Auf diese Weise finanzieren die Pflichtversicherten durch ihre Mitgliedsbeiträge einerseits die Kassen der GKV. Vertragsärzte wiederum zahlen ebenfalls drauf, indem sie aus den eigenen, erarbeiteten Einnahmen die Mitgliedsbeiträge an die KVen entrichten.
Auf viel Transparenz gegenüber den Mitgliedern wird dabei offenbar kein Wert gelegt. Nach einem Geschäftsbericht zum Download sucht man auf vielen KV-Webseiten vergebens. Hier müssen sich die Mitglieder schon persönlich in die Geschäftsstelle bemühen, um Einsicht zu nehmen. Nur während der Öffnungszeiten versteht sich - honi soit qui mal y pense.
Veraltet und kompliziert
Den hohen Verwaltungskosten der KVen stehen allerdings noch höhere Verwaltungsausgaben der Krankenkassen gegenüber - rund 10 Milliarden Euro berappen die Pflichtversicherten allein für die Verwaltung "ihrer" Kassen. Auch dieses Mittel stehen demnach nicht für ärztliche Behandlungen zur Verfügung, obwohl die Versicherten den gigantischen Betrag aufbringen. "Das System der Selbstverwaltung ist hoffnungslos veraltet und weltweit einzigartig kompliziert", erklärt die Sachbuch-Bestsellerautorin und Medizinjournalistin Marita Vollborn die Schwäche der GKV, und: "Im Grunde sind KVen und die rund 250 gesetzlichen Kassen vollkommen überflüssig".
Das Ausland zeigt, dass es ohne KVen ginge. Ausgerechnet das hierzulande vielfach geschmähte britische Gesundheitssystem beispielsweise kommt ganz ohne KV-Pendant aus, auch gibt es auf der Insel keine 250 Krankenkassen. Einzig der staatliche, nationale Gesundheitsdienst NHS regelt die Belange von Ärzten und Patienten - die Lebenserwartung der Bevölkerung ist ebenso hoch wie in Deutschland.