So langsam erreicht der Widerstand gegen den Arzneimittelversand hohe deutsche Politebenen. Das NRW-Sozialministerium will der Sache einen Riegel vorschieben. Und jetzt behauptet auch noch das BKA, dass der illegale Arzneimittelhandel durch die Onlineapotheken zugenommen habe. Deutsche Versender wehren sich gegen solche Pauschalurteile.
Werden die Uhren demnächst doch noch einmal zurück gedreht? Zahlt sich das Beharrungsvermögen der pharmazeutischen Berufsdiplomaten von der ABDA am Ende doch aus? Knickt die Politik ein? Es ist noch nicht lange her, da schienen in Sachen Arzneimittelversand alle Schlachten geschlagen. Aber das Thema verschwand nicht aus den Schlagzeilen. Es köchelte auf kleiner Flamme weiter. Jetzt könnte aus dem kleinen Feuerchen sogar wieder ein Flächenbrand werden.
Jeder fünfzigste Arzneimittelkunde shoppt im Internet
Ein paar Zahlen: Seit der Arzneimittelversand in Deutschland im Januar 2004 gesetzlich erlaubt wurde, haben nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) rund 1800 Apotheken, also knapp jede zehnte, eine Versandhandelserlaubnis beantragt. "Aber nur wenige betreiben einen Versandhandel im großen Stil", betont BVDVA-Vorsitzender Johannes Mönter. 15 bis zwanzig große "Player" sieht er am Start. Alle Versender zusammen erwirtschaften derzeit laut BVDVA rund zwei Prozent des gesamten Arzneimittelumsatzes. Unter "Big Playern" versteht Mönter Apotheken, die den Versand im industriellen Maßstab angehen, also mindestens tausend Aufträge pro Tag abwickeln. Dazu zählen die Apotheken Zur Rose und Sanicare, aber auch Versender wie die Berg-Apotheke, Apotal und Fortuna. Versandapotheker nehmen für sich in Anspruch, dass sie vor allem chronisch kranken Menschen günstigere Angebote machen können, dass sie mindestens genauso gut beraten wie die Offizinapotheken, dass es Meldesysteme für Arzneimittelrisiken gibt und dass beispielsweise Arzneimittelrückrufe besser zu bewerkstelligen sind, weil die Kundendaten bekannt sind. All das hat bisher viele Politiker überzeugt, gerade auf Bundesebene. Doch jetzt rudern einige Landespolitiker zurück. Prominentestes Beispiel ist der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU), der eine Gesetzesinitiative angekündigt hat, die darauf abzielt, den Versand von rezeptpflichtigen Arzneimitteln über das Internet zu verbieten. Es existiert auch schon ein Gesetzesantrag, den aber der Koalitionspartner FDP nicht mittragen möchte.
Bundespolizisten warnen vor Arzneimittelfälschungen
Allerdings signalisierte das bayerische Gesundheits- und Sozialministerium Unterstützung, sodass der Antrag eventuell auch ohne FDP in den Bundesrat kommen könnte. Kritik kam aus dem Saarland, wo Sozialminister Josef Hecken, ebenfalls CDU, hinter der NRW-Initiative weniger Sicherheitsbedenken als eher erfolgreiche Lobbyarbeit der Apothekerverbände vermutet. Hintergrund der NRW-Initiative ist eine Studie des Bundeskriminalamts, die seit ein paar Tagen auch online eingesehen werden kann. Dort stellen die obersten deutschen Polizisten fest, dass der illegale Arzneimittelhandel seit Legalisierung des Online-Versands Anfang 2004 zugenommen habe. Nun ist eine Korrelation bekanntlich noch lange keine Kausalität, und tatsächlich ist mit dem gesunden Menschenverstand schwer nachzuvollziehen, warum ein Verbot des Versands rezeptpflichtiger Arzneimittel aus den kontrollierten und sicheren deutschen Versandapotheken irgend einen Einfluss auf den illegalen Versandhandel von Anbietern aus Übersee haben sollte. Darauf macht auch BVDVA-Chef Johannes Mönter aufmerksam, der anmerkt, dass die EU-Kommission gerade Qualitätsstandards für europäische Versandapotheken formuliert, die sich stark an dem orientieren, was in Deutschland längst Standard ist: "Die Wahrscheinlichkeit, sich in einer deutschen, zugelassenen Versandapotheke eine gefälschte Arznei zu bestellen, ist Nullkommanull", so Mönter.
Der Verbraucher steht ziemlich dumm da
Das von Laumann und Co an dieser Stelle gebrachte Gegenargument lautet, dass die generelle Freigabe des Versands die Patienten zu Online-Einkäufen ermuntere, und dass entsprechend die Gefahr von Einkäufen bei dubiosen Anbietern aus Unwissenheit steigt. Das Problem an diesem Argument ist freilich, dass der Verbraucher dabei als ziemlich dusselig da steht, was erfahrungsgemäß keine günstige Ausgangsposition für eine Gesetzesinitiative ist. Ohnehin wird sich die Situation grundlegend ändern, wenn in Deutschland elektronische Rezepte eingeführt werden. Denn dann lässt sich kanalisieren, bei welchen Versandapotheken ein Kunde auf Kassenkosten Rezepte einlöst. Der Verdacht liegt also nahe, dass hier Steuergelder mit einer populistischen Gesetzesinitiative verbraten werden, der in ein paar Jahren ohnehin der Boden entzogen wird.