Mit B-Vitaminen gelang es in einer experimentellen Studie, den schädlichen Effekt kleiner Teilchen auf die DNA-Methylierung zu verringern. Über Nebenwirkungen machen sich die Forscher wenig Gedanken. Die Studie weist weitere Mängel auf.
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge wohnen 92 Prozent aller Menschen derzeit an Orten mit mehr als 10 Mikrogramm Luftschadstoffen pro Kubikmeter. Unzählige negative Effekte gehen auf feine oder ultrafeine Partikel zurück. Zwar ist es in den letzten Jahren gelungen, die durchschnittliche Belastung zu minimieren. Expositionsspitzenwerte treten an Tagen mit hohem Verkehrsaufkommen und ungünstiger Witterung immer noch auf. An der Columbia University forscht man deshalb aktuell an einer Pille, die vor den gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub schützen soll – eine praktische, wenn auch etwas absurde Vorstellung.
Schon vor Jahren zeigten Forscher um Carole Yauk, Ottawa, welche Auwirkungen Feinstaub auf das Sperma männlicher Mäuse haben kann. Sie exponierten Nager mit Mengen, die an befahrenen Straßen einer Großstadt auftreten. Dabei fanden sie deutlich mehr Mutationen als bei Vergleichstieren. Verändern sich Methylierungsprozesse im Ergbut, hat das Folgen für die Ablesung von Genen. Epigenetische Modelle könnten erklären, warum Feinstaub mit zahlreichen Erkrankungen assoziiert wird. „Die molekularen Grundlagen sind nicht vollständig aufgeklärt“, sagt Professor Dr. Andrea Baccarelli von der Columbia University. „Gleichzeitig fehlen uns individuelle Möglichkeiten“. Nun soll seine neue Studie zeigen, dass B-Vitamine Auswirkungen der Luftverschmutzung auf unser Epigenom verhindern können.
Baccarelli verabreichte zehn Probanden ein Placebo-Präparat oder Tabletten mit 2,5 mg Folsäure, 50 mg Vitamin B6 plus 1 mg Vitamin B12 pro Tag. Für die Studie hatte er gesunde Nichtraucher zwischen 18 bis 60 Jahren, die keine Medikamente oder Supplementationen einnahmen, rekrutiert. Plasma-Messungen, die vor und nach der Gabe von Verum oder Placebo aufgenommen wurden, zeigten, dass B-Vitaminpräparate die medianen Plasmakonzentrationen von Folsäure, Vitamin B6 und Vitamin B12 signifikant erhöht haben. Anschließend ließ Baccarelli alle Teilnehmer zwei Stunden lang per Gesichtsmaske Feinstaub einatmen. Seine Proben stammten von einer dicht befahrenen Straße aus der Innenstadt von Toronto. Pro Stunde lag das Verkehrsaufkommen bei 1.000 Fahrzeugen. Blutproben wurden gesammelt und mit dem Infinium Human Methylation 450K BeadChip gemessen. Seine überraschende Erkenntnis: Bei Teilnehmern mit B-Vitamin-Supplementation kam es zu 28 bis 76 Prozent weniger Änderungen der DNA-Methylierung.
Methodisch betrachtet hat die Arbeit mehrere Schwächen. Dazu gehört in erster Linie die kleine Zahl an Probanden. Auch die Feinstaubapplikation per Atemmaske sollte hinterfragt werden. Lässt sich Baccarellis Methode tatsächlich mit üblichen Emissionen vergleichen? Und nicht zuletzt bleiben die Autoren Antworten auf eine zentrale Frage schuldig: Welche unerwünschten Effekte hat die langfristige Einnahme von Supplementen? Baccarelli fordert deshalb auch in erster Linie politische Maßnahmen, um die Luftqualität zu erhöhen. Er spricht jedoch von einer „ergänzenden Möglichkeit, sich individuell vor den Folgen einer Feinstaubbelastung zu schützen“. Verlässliche Aussagen sind nur mit größeren Studien möglich.