Die Erfolge sind noch wenig beachtet, doch unter Fachleuten gelten sie als spektakulär: Die sogenannte Kryoablation erweist sich nicht nur bei Patienten mit Nierenkrebs als vielversprechende Alternative zu bisherigen Therapien - das Verfahren könnte sogar die Palliativmedizin verändern.
Die Nachricht kam ausgerechnet am Totensonntag vollkommen unspektakulär daher - und hätte aus Sicht der meisten Krebsforscher weitaus mehr Beachtung verdient. Auf einer knappen Seite teilte die in Rochester/Minnesota angesiedelte Mayo Clinic mit, dass Nierenkrebspatienten, die sich vor zweieinhalb Jahren einer Kälteschocktherapie unterzogen hatten, immer noch lebten. Was Studienleiter Thomas Atwell anschließend auf der Jahresversammlung der Radiological Society of North America in Chicago hinzufügte, liest sich wie eine unglaubliche Geschichte: 89 von insgesamt 91 Tumoren ließen sich mit Hilfe der Kryoablation effektiv therapieren. Dabei schien die Größe der Krebsgeschwüre nebensächlich - zwischen 1,5 und immerhin 7,3 Zentimeter betrug der Durchmesser. Der "Durchschnittstumor", erklärte Atwell dem erstaunten Fachpublikum in Chicago, habe gar 3,4 Zentimeter ausgemacht.
So what? 62 Patienten gelten heute, rund 30 Monate nach der frostigen Attacke auf den Tumor, als krebsfrei - eine Sensation. Tatsächlich gilt das Verfahren, bei dem mit Hilfe einer hohlen Spezialnadel das Edelgas Argon den Tumor vereist, als vielversprechende Methode gegen bösartige Zellen. Dabei können Ärzte perkutan und CT-gesteuert, endoskopisch oder offen operativ vorgehen - doch immer verbleibt der anvisierte Tumor in der Niere, auch das Organ selbst wird nicht entfernt. Was jenseits des Atlantik zunächst in Studien verblüfft könnte im Falle des nachhaltigen Erfolgs hierzulande etlichen Tausend Patienten zu Gute kommen. Rund 17.000 Menschen, darunter 10.300 Männer und 6.400 Frauen, erkranken alljährlich an Nierenkrebs. In 90 Prozent der Fälle handelt es sich um Nierenzellkarzinomfälle, der Rest leidet an Tumoren der ableitenden Harnwege.
Kardiologie als Ideengeber
Kälte zu medizinischen Zwecken einzusetzen ist als Idee keinesfalls neu, nur: Bislang fiel die Methode eher in der Kardiologie auf. Die Technologie eignet sich dort nämlich zur Arrythmiebehandlung. Dabei wird das verantwortliche Herzmuskelgewebe unterkühlt, die sogenannte minimalinvasive Katheterablation gehört zu den gängigen Verfahren. Der Clou: Die Spitze des Katheters entzieht dem umliegenden Gewebe die Wärme. Je nach Katheter bringt die Katheterspitze Temperaturen von unter -75°C hervor. Dass Krebsmediziner auf die bekannten Erfolge der Kardiologie aufsatteln würden schien daher lediglich eine Frage der Zeit.
Die Ende November in Chicago vorgestellten Studienergebnisse freilich übertreffen die Erwartungen der kühnsten Optimisten - und kommen dennoch nicht ganz überraschend. So startete zum Beispiel das US-amerikanische National Cancer Institute (NCI) unlängst eine randomisierte Studie, die erstmals die Kryoablation mit der klassischen Strahlungstherapie vergleichen soll.
Schmerzlinderung: Kälte statt Strahlentherapie
Auf einen weiteren Segen des High-Tech-verabreichten Kälteschocks stießen neben Atwell auch andere Mediziner an der Mayo Clinic. 34 Patienten, bei denen verschiedene Krebsformen bereits zu extrem schmerzhaften Metastasen in den Knochen geführt hatten, berichteten 24 Wochen nach der durchgeführten Kryoablation über erheblich weniger Schmerzen - das Verfahren könnte sich dadurch, so die Hoffnung des Mayo Clinic Radiologen Matthew Callstrom, sogar als palliatives Mittel etablieren. Die in Wien ansässige Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe (CIRSE) wiederum weist auf ein weiteres Einsatzgebiet des Kälteschocks hin: als Behandlungstool bei Patienten mit Leberkrebs. Schlichte Zusammenfassung der Experten: "Um die Nadel bildet sich eine Art Eisball, der sich ausdehnt und die Tumorzellen abtötet".
Nachhaltig erfolgreich - und kostensenkend dazu
Dass Kryoablationen den Alltag der Medizin erobern werden scheint daher keine Frage des Ob, sondern des Wann. Für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) stand jedenfalls bereits in einem im Jahr 2005 erstellten Gutachten der DRG-Research Group fest, dass im kardiovaskulären Bereich die Kryoablation zunehmend an Bedeutung gewinnt, und sich ökonomisch rechnet. Zwar schlagen Ablationen bei Herzoperationen, zu denen auch die Kältevariante zählt, mit Zusatzkosten von rund 2000 Euro pro OP und Patient zu Buche. Doch die Kosten amortisieren sich laut DKG-Studie bereits im poststationären Bereich, wei ein Beispiel belegt. Bei 80 Prozent jener Patienten mit Vorhofflimmern, bei denen Ablationen angewendet werden, sind die Eingriffe "kurativ erfolgreich", wie das Gutachten attestiert. Erfreuliche Folge: Folgekosten fallen nicht mehr an.