Seit dem EuGH-Urteil fühlen sich die deutschen Apotheken von einer unfairen Preiskonkurrenz durch ausländische Onlineapotheken bedroht. Manche Apotheker befürchten, dass Medien falsche Behauptungen und verzerrte Fallbeispiele nutzen, um die Öffentlichkeit zu manipulieren.
Apotheken sind Hüter einer besonderen Ware: Arzneimittel. Diese sind nicht nur besonders, weil sie einer Beratung bedürfen, sondern auch, weil ihre Verfügbarkeit für die Bevölkerung wichtig und im Krisenfall sichergestellt sein muss. Seit dem EuGH-Urteil dürfen Apotheken in der Europäischen Union deutschen Patienten Rabatte auf ärztlich verordnete Arzneimittel gewähren. Deutsche Apotheken sind hingegen an die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) und weitere Gesetze gebunden, die entsprechende Rabatte untersagen. Wollen deutsche Vor-Ort-Apotheker von ihren Vorteilen überzeugen, werden ihnen häufig ihre finanzielle Verstrickung und die steigenden Verdienststatistiken zum Verhängnis. Die Bundesvereinigung Deutscher Apotheker Verbände (ABDA) und verbundene Unternehmen wie der Wort und Bild Verlag initiieren Aktionen für die Bevölkerung. Diese sollen dazu dienen, Vorurteile zu widerlegen, die Umsatzstruktur aufzuschlüsseln und das Image zu fördern. Einzelne Apotheker kommentieren verstärkt unter Artikeln, um den Bemühungen ihrer Standesvertretung Nachdruck zu verleihen, indem sie im Netz ihre Situation persönlich schildern. Verschiedene Artikel, die sich mit dem EuGH-Urteil befassten, darunter auch ein Artikel von DocCheck, dienten mir als ergiebige Informationsquelle, die im Folgenden darüber Aufschluss geben soll, was Apotheker derzeit beschäftigt.
Das Gesetz sieht vor, dass Apotheken als Einzelunternehmen, Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder Offene Handelsgesellschaft (OHG) firmieren dürfen, um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Apothekeninhaber haften dabei persönlich und führen ihre Apotheken – vergleichbar mit einem Franchisesystem – nach vorgegebenen Bedingungen. Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, Apothekeninhaber seien normale Unternehmer. Allerdings gibt es einen eklatanten Unterschied: Die Rahmenbedingungen sind gesetzlich vorgegeben, beispielsweise in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), dem Heilmittelwerbegesetz (HWG), der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) und dem Arzneimittelgesetz (AMG)). Innerhalb dieses restriktiven unternehmerischen Rahmens sehen sich Apotheker vornehmlich als Heilberufler. Auf Betriebswirte hingegen können Apotheken wie klar abgesteckte Spielfelder wirken: Es liegen griffige Zahlen zu RX- und OTC- Umsätzen vor, die „optimiert“ werden können. Innerhalb dieser Debatte versuchen Apotheker darzulegen, aus welchen Gründen das bestehende Apothekennetzwerk mehr Wert ist als die Summe seiner Teile.
Apotheker informieren dazu über die im Apothekenalltag stetig steigenden fachlichen und bürokratischen Anforderungen. Sie sehen es als selbstverständlich, dass sie neben der Arzneimittelberatung eine Art detektivischen Blick für die Stimmigkeit der verschiedenartigen ärztlichen Verordnungen haben. Der Einsatz aller Sinne in Kombination mit der persönlichen Beziehung zum Kunden vermindere so das Risiko von Arzneimittelinteraktionen, Wechselwirkungen oder Wirkstoffverwechslungen. Sie korrigieren fehlerhafte Internetrecherchen von Patienten. Auch die steigende Anzahl von Hilfsmittelverordnungen wird in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen koordiniert. Fast unsichtbar erfolgen daneben diverse Handlungen: Arzneimittel-Kontingentierungen und Lieferengpässe, Milchpumpen- oder Inhalatorenverleih, Blutdruck- und Blutwertmessungen, Anmessen von Bandagen und Kompressionsstrümpfen, Nacht- und Notdienste nach den Bedingungen des Nacht und Notdienstfond (NNF), Botendienste, Umgang mit kühlpflichtigen Arzneimitteln, Ansetzen von Antibiotikasäften, Einüben komplizierter Darreichungsformen mit dem Patienten, geduldige wie strapaziöse Aufklärungsarbeit zu Festbetrags- und Rabattarzneimitteln sowie den möglichen Retaxationen, Einhaltung der Arzneimittelbevorratung für Krisenfälle, Umsetzung compliancefördernder Maßnahmen und vieles mehr. Der subjektive persönliche Eindruck der Mitarbeiter ist, dass mit dem steigenden Zeitdruck der Ärzte die Patienten vermehrt das Gespräch in Apotheken suchen.
Die Apothekenmitarbeiter berichten, dass sie diese Tätigkeiten gerne machen, Knackpunkt sei jedoch das Vergütungssystem. Viele dieser Tätigkeiten werden über eine Mischkalkulation finanziert. Umsatz machen Apotheken schwerpunktmäßig mit der Belieferung ärztlicher Verordnungen, für die Krankenkassen Beratungshonorare zahlen. Mit dem Beschluss des Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetz (AM-VSG) vom 10.03.2017 wurde vom Bundesgesundheitsministerium jüngst zwar eine Erhöhung des Honorars für zwei Dienstleistungen verabschiedet.Für die Anfertigung von Standard-Rezepturarzneimitteln erhalten Apotheken nun eine zusätzliche Fixpauschale über 8,35 Euro. Das Honorar für dokumentationsaufwändige Betäubungsmittel steigt von 0,26 Euro auf 2,91 Euro. Jedoch äußern einige Apotheker ihren Unmut darüber, dass diese Vergütung die gestiegenen Kosten in keiner Weise abdecke.
Der Umsatzanstieg mit rezeptfreien Arzneimitteln und Gesundheitsmitteln in Versandapotheken betrug im Jahr 2015 8,8 %, oder 663 Mio. Euro. Wird in Zukunft ein größerer Teil ärztlicher Verordnungen von ausländischen Onlineapotheken beliefert, brechen deutschen Apotheken Marktanteile weg. Die Mischkalkulationen seien dann nicht mehr auskömmlich, so die besorgten Apotheker. Standardisierte Vorgänge – wie beispielsweise die Belieferung von Rezepten – sind von virtuellen ausländischen Mitbewerbern relativ einfach auszuführen und lukrativ. Die nicht digitalisierbaren und personalintensiven Dienstleistungen wie beispielsweise der Nacht- und Notdienst würden dann ohne finanziellen Ausgleich auf den Vor-Ort-Apotheken lasten. Als Alternative zur bisherigen Mischkalkulation, wird in manch einem Kommentar die Option erwähnt, die Beratungshonorare von ärztlichen Verordnungen abzukoppeln. So könne jede Beratungsdienstleistung in Form einer eigenständigen Position abgerechnet werden, und dieses die Apotheken von ärztlichen Verordnungen unabhängiger machen. Die Apotheke als niedrigschwelliger Anlaufpunkt im Gesundheitswesen könne somit den steigenden Beratungsbedarf auf finanziell stabilen Beinen durchführen.
Apotheker äußern zudem ihr Unverständnis darüber, dass deutsche Krankenkassenbeiträge in ausländischen Gesundheitssystemen landen und die Mehrwertsteuer in andere Mitgliedstaaten abgeführt wird. Besonders aufgrund der im Ausland oftmals niedrigeren Besteuerung von Arzneimitteln ziehen sie Vergleiche zu Konzernen wie Amazon, Apple oder Google, die mit ihren geschickt gewählten Firmensitzen steuerliche Unterschiede zwischen Ländern ausspielen. Vielen unbescholtenen Patienten seien solche Steuerunterschiede und Preisdetails nicht bewusst, und es verzerre das wahrgenommene Preis-Leistungsverhältnis.
Apotheker verstehen nicht, warum manche Patienten in Fallbeispielen von ihren Einsparungen berichten. Oft handele es sich um zuzahlungsbefreite Patienten, die deshalb auch nicht von Boni profitieren können. Andere Medien berichten über Einsparungen bei mehrkostenpflichtigen Arzneimitteln. Die Zahlung des Differenzbetrages zum Festbetrag bilde im Apothekenalltag jedoch eher die Ausnahme, heißt es in manch einem Kommentar. Apotheker finden es zudem unfair, wenn anstelle der Versichertengemeinschaften der einzelne Patient von den Boni profitieren würde. Ordnungsgemäß stünde den Krankenkassen und damit allen Beitragszahlern die Ersparnis zu. Im gleichen Zusammenhang kommt die Frage auf, welche verkaufspsychologische Wirkung zukünftig von den verminderten Arzneimittelpreisen ausgehen wird. Eigentlich solle die Zuzahlung den Patienten ein Gefühl dafür vermitteln, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel Geld kosten.
Generell äußern viele Apotheker, dass sie nichts gegen den Arzneimittelversandhandel haben. Der deutsche Versandhandel und beispielsweise auch Drogerien, gehören schon lange zu den üblichen Mitbewerbern und beschränke sich eher auf das OTC-Sortiment. Das EuGH-Gesetz hat jedoch ein Dilemma hervorgebracht, und ließe Vor-Ort-Apothekern, denen der Fortbestand ihrer Apotheke wichtig ist, keine andere Wahl, als für das Rx-Versandverbot zu plädieren. Zudem informieren Apotheker, dass sie per Botendienst schneller Rezepte beliefern können als der Versandhandel. Sollte eins der vielen von Rabattverträgen geforderten Arzneimittel nicht vorrätig sein, so trifft dieses nach wenigen Stunden mit einer der vielen Großhandelsbelieferungen in der Apotheke ein. Die Einzigartigkeit am Botendienst einer Vor-Ort-Apotheke sei jedoch, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgeliefert werden können, auch wenn die ärztlichen Verordnungen noch nicht im Original vorliegen. Gehört der Botendienst zum pharmazeutischen Personal, so kann dieser die ärztliche Verordnung bequem beim Patienten zuhause entgegennehmen und ihn beraten. Ein Onlineversandhändler darf das Arzneimittel hingegen erst dann losschicken, wenn ihm die Verordnung im Original vorliegt. So wundern sich Apotheker, wie beispielsweise Amazon’s Prime Now Versprechen zur „Same-day-delivery“ für verschreibungspflichtige Arzneimittel überhaupt einzuhalten sei. Überdies erstrecke sich solch ein Service meist lediglich in ohnehin infrastrukturell gut ausgebauten Ballungszentren. Apotheken in strukturschwachen Gebieten hingegen seien schon längst dazu übergegangen, Arzneimittel per Botendienst nach Hause zu liefern. Erhielten solche Landapotheken Konkurrenz aus dem Versandhandel und könnten wirtschaftlich nicht weiterbestehen, spitzt sich die schwächelnde Gesundheitsversorgung auf dem Land erst recht zu. Laut Apothekern können außerdem Qualitätseinbußen bei dem Versand der sensiblen Fracht auftreten. Ein Lieferauto könne Temperaturschwankungen ausgesetzt sein, Nachbarn könnten Pakete entgegennehmen.
Derzeit gibt es in Deutschland circa 20.000 Apotheken, in denen über 160.000 Menschen tätig sind. Die Angst um den Arbeitsplatz wird in diversen Beiträgen thematisiert. Einige enttäuschte Apothekenmitarbeiter fragen sich zudem, ob die Öffentlichkeit einen Unterschied zwischen drohenden Arbeitsplatzverlusten in Kleinbetrieben und Großkonzernen mache. Ihnen kommt es vor, als seien die Medien aufmerksamer und milder gestimmt, wenn Großkonzernen wie Tengelmann wirtschaftliche Schieflagen mit Arbeitsplatzverlusten drohen. Meiner Meinung nach zeigen die zahlreichen Kommentare im Internet, dass es der Mehrzahl der Apotheker nicht darum geht, die digitale und globale Revolution aufzuhalten, sondern darum, faire und soziale Rahmenbedingungen zu schaffen, um an einer wichtigen Schnittstelle zum Patienten ihr Potenzial weiterhin nutzbringend zu entfalten.