Mit den Methoden der Gentechnologie verstehen wir immer besser, warum manche Medikamente nicht wirken. Arzt und Apotheker werden in einigen Jahren wohl nur mehr Medikamente verordnen, die zum Genprofil ihres Patienten passen.
Klaus Lindpaintner, einer der führenden Köpfe beim Schweizer Pharmaunternehmen Roche, begründet mit Zahlen, warum es in Zukunft keine Medizin für alle mehr geben soll: 10-30 Prozent aller ACE-Inhibitoren wirken nicht oder unzureichend, bei Beta-Blockern sind es 15-25 Prozent, bei trizyklischen Anti-Depressiva 20-50 Prozent. Untersuchungen der Technologieberatung Booz Allen Hamilton zeigen, dass etwa 30 Prozent der Mittel bei der medizinischen Versorgung falsch eingesetzt werden, weil die Patienten nicht "zielgruppengerecht" behandelt werden. Dr. Michael Rühl, Gesundheitsexperte des Unternehmens, sieht ein Einsparpotential von weltweit 250 Milliarden Euro. Die personalisierte Medizin wird in den kommenden zehn Jahren zur Routine werden, so Booz Allen Hamilton.
Auf dem Weg zur personalisierten Medizin
Wie viel vom Wirkstoff im Blut ankommt, wie lange er dort bleibt und welcher Anteil davon auch wirklich den Zielort erreicht, bestimmen Enzyme, deren Gene nicht selten polymorph sind. So zum Beispiel auch bei Warfarin, einem Antikoagulans, das allein in den USA rund zwei Millionen Menschen einnehmen. Zu hoch dosiert, verursacht der Wirkstoff Blutungen, oft auch im Gehirn. Nach Insulin ist es damit für die meisten Notarzt-Einsätze aufgrund von Arzneimittel-Nebenwirkungen verantwortlich. Gemeinsames Merkmal der meisten dieser Patienten: Ihr Gencode sieht bei den Genen CYP2C9 und VKORC1 anders aus als beim "Normalpatienten" der Dosierungsanweisung. Für den Warfarin-Patienten und seinen Arzt hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA seit August eine Hilfe im Beipackzettel zugelassen. Er zeigt anhand von Studiendaten, wie der Abbau des Wirkstoffs vom Genotyp abhängt. FDA-Kommissar Andrew von Eschenbach: "Die Änderung im Beipackzettel ist ein weiterer Schritt bei unserem Engagement für eine personalisierte Medizin". Nur wenige Tage später gab die Behörde auch das 'ok' für einen entsprechenden Gentest für die Warfarin-Therapie.
Wer in diesen Tagen die aktuelle Ausgabe von "Lancet Oncology" liest, findet gleich zwei Beispiele auf dem Weg der DNA-Tests in den klinischen Alltag. In einer multizentrischen Studie überprüften Wissenschaftler um Herve Bonnefoi aus Bordeaux die Genauigkeit einer Voraussage eines Genchips für die Behandlung von Östrogen-Rezeptor-negativen Brustkrebs. So ist die Therapie mit wirkungsvollen, aber sehr teuren Taxanen nur bei Patienten mit guter Prognose sinnvoll. Auf der Basis der Gen-Prognose von Tumorproben, so die Autoren, ließe sich die Erfolgsrate einer vollständigen Remission von 44 auf 70 Prozent steigern. Den Einsatz eines kommerziellen Brustkrebs-Genchips (Mammaprint) im täglichen Klinikbetrieb beschreibt eine holländische Arbeitsgruppe im gleichen Heft.
Schlüsselenzym CYP2D6
Geht es nicht um die Bestimmung von Tumormarkern, sondern um den Metabolismus von Medikamenten, so spielen vor allem Polymorphismen im Cytochrom P450-System eine große Rolle. Dabei kontrolliert das Gen CYP2D6 den Meatbolismus von Medikamenten, die meist in der "Blockbuster"-Gruppe rangieren. Zu den Substraten des Enzyms gehören Natriumkanalblocker wie Lidocain, Antidepressiva wie Haloperidol, Analgetica wie Codein oder Betablocker. Schon sehr früh hat die Diagnostiksparte von Roche darauf reagiert und seit 2004 einen Testkit für die Varianten dieses Enzyms auf dem Markt .
Bereits seit 2003 möchte die FDA genetische Daten bei der Zulassung entsprechender Arzneimittel sehen. Europa ist mit der EMEA noch etwas hinterher. Jedoch wird auch hier fleißig darüber diskutiert und daran gearbeitet. Im November gab nun auch die Europäische Arzneimittelbehörde Empfehlungen für Erhebung pharmakogenetischer Studiendaten heraus. Damit die Entwicklung zur genom-massgeschneiderten Medizin nicht nur auf die großen Wirtschaftsräume beiderseits des Atlantiks beschränkt bleibt, gibt es auch eine Initiative, Information über verbreitete Haplotypen in unterentwickelten Ländern zu verbreiten. Die Datenbank der PGENI (Pharmacogenetics for every Nation Initiative) umfasst bis jetzt rund 150 wichtige Gene für den Metabolismus von Arzneimitteln in 104 Staaten.
Welche Auswirkungen wird der schrittweise Einzug der Pharmakogenetik und Pharmakogenomik in die Therapie haben? Ersetzt der Gentest in Zukunft die Anamnese und nimmt dem Arzt die Entscheidung über die beste Therapie ab? Die Tübinger Bioethikerin Lilian Marx-Stölting hat sich in in ihrer Dissertation mit diesem Thema beschäftigt. Darin schreibt sie: "Der genetische Aspekt ist immer nur ein Aspekt, und er kann auf keinen Fall die Gespräche zwischen Arzt und Patient ersetzen. Viele Nebenwirkungen gehen auf die mangelnde Mitwirkung von Patienten an der Therapie zurück, die etwa Einnahmevorschriften nicht beachten."